Im Vereinigten Königreich im 17. und 18. Jahrhundert war die englische Oberschicht an der damals maßgeblichen Börse in London unter sich und bestimmte daher den Aktienverlauf allein. Und während man vor der Sommerpause sehr aktiv war, zog man sich in der heißen Jahreszeit aufs Land zurück, um sich vielfältigen Lustbarkeiten hinzugeben. Um diese in Ruhe genießen bzw. finanzieren zu können, wurden Aktienpositionen vorher verkauft. Nach der Sommerfrische kehrte man nicht zuletzt wegen geleerter Taschen an die Börse zurück, um diese über den September-Effekt wieder zu füllen.
Zudem waren damals internationale Einflüsse auf die Börse begrenzt. Die Geschicke der Welt bestimmte maßgeblich die britische Weltmacht. Zudem nahm die britische Politik wenig Einfluss auf das Börsengeschehen. Diese Struktur hielt auch noch lange an, als die USA als westliche Großmacht das Börsenruder übernahmen.
Heutzutage dagegen sind die Außeneinflüsse überwältigend. China, Indien, Kriege, der Nahost-Konflikt, Pandemien, Energiekrisen und allgemein die Globalisierung sorgen dafür, dass irgendwo auf der Welt immer irgendwas passiert, was als Schock- oder Freudeswellen ebenso in den klassischen Märkten ankommt. Schon deshalb sind westliche Saisonalitätsmuster so etwas wie Dinosaurier aus der guten alten Zeit des angelsächsischen Kapitalismus.
Sowieso hält sich heutzutage die Fiskal- und Geldpolitik nicht mehr zurück. Aus früheren Schiedsrichtern sind die eigentlichen Spielmacher auf dem Börsenfeld geworden. Die Staatswirtschaft ist ohnehin auf dem Vormarsch. So pausieren die uns Regierenden auch in der Sommerpause nicht. Im Sommerloch 2015 wurde die Griechenland-Krise gelöst, was dem
DAX anschließend ein Plus von 20 Prozent bescherte. Und im Mai 2022 nahm die Aktienrallye angesichts der üppigen Corona-Hilfsaktionen richtig Fahrt auf. Schade, wenn Anleger damals auf die Mai-Regel vertraut haben.