Politische Börsen mit längeren Beinen

Felix Herrmann, ARAMEA Asset Management
Felix Herrmann / Bild: ARAMEA Asset Management
Die globale Konjunktur verbessert sich und die Inflation geht vielerorts zurück. Die Aktienmärkte könnten nach einer Frühjahrspause wieder Fahrt aufnehmen und am Rentenmarkt sehen wir insbesondere in den risikoreicheren Segmenten Renditepotenzial. Die Politik dürfte weiterhin die Marktentwicklung prägen.
Das Weltwirtschaftswachstum gewinnt an Momentum, nachdem es im vierten Quartal 2023 seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Auch in der Eurozone dürfte sich das Bild weiter aufhellen, wenngleich auf niedrigem Niveau. Gegen den Trend entwickeln sich die USA: Die größte Volkswirtschaft der Welt wächst zwar deutlich stärker als Deutschland, Frankreich & Co., kühlt sich jedoch derzeit etwas ab.
 
Während sich die Inflation in den USA als hartnäckig erweist, sinkt sie in vielen anderen wichtigen Industrienationen tendenziell weiter – mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass die Reallöhne angesichts weiterhin recht hoher Nominallohnzuwächse steigen. Der private Konsum ist und bleibt die wichtigste Säule des globalen Konjunkturaufschwungs, der sich in den kommenden Monaten fortsetzen dürfte.
 
In der Eurozone ist zudem der Export – einem schwachen Euro sei Dank – ein stützender Faktor. Und das trotz der Nachfrageschwäche aus China, wo man weiter mit einer sehr negativen Verbraucherstimmung zu kämpfen hat. Gegen ein merkliches Anziehen des Eurozonen-Wachstums spricht neben einer weiterhin restriktiven Geldpolitik vor allem die politische Gemengelage. Die Erosion der politischen Mitte in vielen Ländern der Eurozone bereitet den Unternehmen Sorgen: Investitionen werden zurückgehalten, was das zukünftige Wachstumspotenzial schmälert.
 
An der hohen Bedeutung der Politik für das Wirtschaftsgeschehen dürfte sich schon allein deshalb nichts ändern, da die US-Wahl ihren Schatten vorauswirft. Anders als eine bekannte Börsenweisheit besagt, könnten die politischen Märkte längere Beine haben. Wer auch in den USA gewinnen mag: Aufbruchstimmung wird keiner der beiden Kandidaten erzeugen können. Im Gegenteil: Es scheint vorgezeichnet, dass die Spaltung der US-Gesellschaft nach der Wahl nur noch größer wird. Stand heute ist ein Wahlsieg Trumps unser Basisszenario, da er in wichtigen Swing-States die Nase vorn zu haben scheint.

Die großen Zentralbanken bleiben vorsichtig

Erstmals seit Gründung der Währungsunion hat die Europäische Zentralbank (EZB) vor der US-Notenbank einen Zinssenkungszyklus gestartet. Und das aus guten Gründen, schließlich lässt das Makroumfeld in der Eurozone – trotz solidem Arbeitsmarkt – eher eine Lockerung der geldpolitischen Zügel zu als in den USA. Außerdem ist die Geldpolitik der EZB so restriktiv wie nie zuvor und der Weg zurück in das neutrale Terrain entsprechend weit. Dennoch werden EZB und Fed weiterhin sehr vorsichtig agieren und die Zinsen nur sehr dosiert senken können. Wir rechnen in der Eurozone mit insgesamt fünf bis sechs Zinssenkungen bis Ende 2025. Für die USA erwarten wir erst nach der Wahl eine erste Zinssenkung; womöglich sehen wir sie sogar erst im kommenden Jahr.

Riskantere Rentenmarktsegmente scheinen interessanter

Die Rendite 10-jähriger deutscher Bundesanleihen bewegt sich – mit kurzen Ausnahmen – seit Anfang 2023 zwischen 2,25 Prozent und 2,75 Prozent. Daran dürfte sich aus unserer Sicht auch dann nichts ändern, wenn die Leitzinsen weiter fallen. Zu invers ist die Zinskurve und zu gering weiterhin die Lauf-zeitprämie. Die Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen sind in Europa eng und in den USA noch enger. Die jüngste Spread-Ausweitung hat dem Markt etwas Luft verschafft. Da wir in den nächsten Monaten aber keine weitere Vergrößerung erwarten, dürften die riskanteren Segmente des Rentenmarktes auch in der zweiten Jahreshälfte outperformen.
 
Insgesamt verlief das erste Halbjahr am Euro-Rentenmarkt durchwachsen. Nachranganleihen waren wie von uns erwartet die stärkste Anlageklasse, gefolgt von Hochzinsanleihen. Anleihen von Schuldnern besserer Bonität erwirtschafteten bis dato kaum bis keinen Ertrag. Kurze Laufzeiten schnitten aufgrund des gestiegenen Zinsniveaus besser ab als lange. Dank weiterer EZB-Zinssenkungen erwarten wir generell Rückenwind für den Euro-Rentenmarkt in der zweiten Jahreshälfte – und darüber hinaus. In den USA lockt weiterhin das im Vergleich zur Eurozone hohe Renditeniveau. Da der US-Dollar aus unserer Sicht in den kommenden Monaten eher auf- als abwerten dürfte, bleiben US-Dollar-Beimischungen für uns gern genommene Portfolioergänzungen.

Europäische Aktien mit Bewertungsabschlag

Der Aktienmarkt hat sich im zweiten Quartal die von vielen erwartete Verschnaufpause gegönnt. Zuletzt belasteten das Ergebnis der Europawahl sowie die Neuwahlen in Frankreich vor allem europäische Aktien, während US-Titel im Juni wieder Fahrt aufnahmen. Ähnlich wie auf der Renten- gilt für uns auch auf der Aktienseite, dass diese Diskrepanzen Chancen darstellen und europäische Papiere im Zweifel nur noch attraktiver im Vergleich zu ihren US-Pendants geworden sind. Der Bewertungsabschlag europäischer im Vergleich zu US-Aktien liegt beim sektoradjustierten Kurs-Gewinn-Verhältnis mit 20 Prozent gefühlt schon auf absolutem (Euro-)Krisenniveau. Kein Wunder, dass die Zuflüsse in europäische Aktien bis vor kurzem wieder einmal über mehrere Wochen hinweg positiv waren. Wir erwarten eine Wiederaufnahme dieses Trends, sobald die Nachwirkungen der Wahl in Frankreich abgeklungen sind.
 
Gefahren lauern für den Aktienmarkt weniger auf der geldpolitischen Seite. Die Gefahr dürfte – wie am Rentenmarkt auch – in erster Linie auf der politischen Seite liegen. Insgesamt aber deuten Faktoren wie solide Unternehmensgewinne, viel Cash an der Seitenlinie, die Aussicht auf Zinssenkungen und starke Margen auf eine auch im zweiten Halbjahr gute Stimmung an den Aktienmärkten hin.
Felix Herrmann ist Chefvolkswirt von ARAMEA Asset Management