Die Krux mit den Anleihen

Henning Kirsch, Hansen & Heinrich AG, Frankfurt/ Main
Henning Kirsch / Bild: Hansen & Heinrich AG, Frankfurt/ Main
Es könnte so schön einfach sein: Die Leitzinsen der großen Zentralbanken EZB und FED sind mit leichter Verzögerung auf lange nicht mehr gesehene Höchststände geklettert und damit – etwas zeitversetzt , der gesamte Kreditmarkt. Ganz gleich, ob man nun auf der Gläubiger oder Schuldnerseite steht, es sind massiv Bewegungen entstanden, die einem Hören und Sehen vergehen lassen.
Inzwischen gibt es einen gewaltigen Swing von Equity in Fixed Income, doch scheint dieser Trend überwiegend von institutionellen Investoren wie Asset Managern, Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften getragen zu werden. Warum reagiert die Community der Privatanleger so allergisch gegen Umschichtungen? Schauen wir uns die Gewohnheit der vergangenen 10 bis 15 Jahre einmal etwas genauer an.
 
Der Begriff „Risikostreuung“ war vor der Finanzkrise 2008 gleichbedeutend mit der Allokation des Vermögens in verschiedene Assetklassen. Über Jahrzehnte galt beispielsweise nach der Faustformel ein Drittel Aktien, ein Drittel Zinspapiere, ein Drittel Gold sowie Immobilien Kapital als sinnvoll gestreut. Ob es nun die uralten Fonds wie der Investa, Concentra, Vermögensbildungsfonds I oder Uniglobal waren, spielte dabei eher eine Rolle, welchem Institut man sein Vermögen anvertraute oder welches Institut, sei es zum Beispiel mit einem Immobilienkredit, einen fest im finanziellen Griff hatte.

Zehn Jahre Aktienrallye

In den 2000ern kamen stärker offene Immobilienfonds anstatt von Immobilien dazu, doch auf der Zinsseite konnten dank einer jahrzehntelangen, positiven Zinserwartung stets mehr oder weniger attraktive Renditen generiert werden. Mit der Finanzkrise geriet das Schlachtschiff Fixed Income in eine gewaltige Schieflage, denn mit Griechenland rückte die Pleite eines ganzen Staates auf einmal in unmittelbare Nachbarschaft. Ja, es gab schon Argentinien, doch war das eher ein Sonderfall für Investoren, die unbedingt den Kick der hohen Zinsen unter kompletter Ausblendung des damit eingegangenen Risikos suchten, … und sich dann wunderten.
 
Ab der Finanzkrise 2008 mit den darauffolgenden Maßnahmen des Taperings, einhergehend mit stetigen Zinssenkungen, änderte sich nicht nur die Bewertung von Immobilienfonds, sondern geriet auch die Assetklasse Fixed Income mehr und mehr aus dem Fokus – und das nicht nur, weil die Zinsen sanken. Die Befeuerung der Kapitalmärkte mit Zentralbankgeld sorgte für eine zehnjährige, ungeahnte Rallye am Aktienmarkt, die – und jetzt kommt`s – das Verständnis für Risiko erheblich verschob.

Die Substanz zählt

Während der 2010er Jahre wurden Aktien immer stärker von den Bankinstituten als „sichere Anlagen“ eingestuft, ganze Fondsklassen, die zuvor risikobereiten oder sogar spekulativ motivierten Anlegern empfohlen wurden, bekamen plötzlich die Einstufung „risikoscheu“, ohne dass sich am Inventar etwas geändert hätte.
 
Wie konnte das geschehen? Nun, ein Grund war, dass man dem Kreditmarkt nicht mehr traute und nun die Substanz, die hinter einem Investment steckte, stärker als Indikator für „Risiko“ heranzog. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Eine Aktie ist schließlich eine Beteiligung an einem Unternehmen, während der Erwerb einer Anleihe ein Gläubiger/ Schuldner-Verhältnis begründet. Zufällig, könnte man meinen, gingen auch in der Goldilocks Ära der 2010er Jahre die Indexstände des DAX über die, noch in den späten 2000ern als unüberwindbare Grenze geltenden 8.000 Punkte bis auf das Doppelte davon hinaus. Dadurch entstand eine verlockende Verbindung von Rendite und „geringem“ Risiko, was dazu führte, dass die Einschätzung des Risikos mehr und mehr evidente Risiken bei Aktieninvestments ausblendete.
 
Die plötzliche Kehrtwende und Hinwendung zu der verschmähten Assetklasse Anleihen innerhalb von nur zwölf Monaten löste entsprechendes Befremden aus, auch wenn inzwischen klar geworden ist: Aktienrenditen (…und damit ist im Sprachgebrauch die Dividendenrendite gemeint...) und Anleihenrenditen sind aktuell so dicht beieinander, dass es sich mitunter für eine unbestimmte Zeit nicht mehr lohnt, die Dividendenrendite den Anleihenrenditen vorzuziehen.

Die Kapitalmärkte erfinden sich ständig neu

Aufklärungsarbeit ist also gefragt und das Verständnis, dass Anleihen wenig Kursphantasie bieten, also langweilige Investments sein können. Doch auch bei Aktien brauchen wir über Kursphantasie derzeit kaum zu sprechen, denn die früheren Trends funktionieren nicht mehr uneingeschränkt. Das wiederum liegt in einem gewaltigen, weltweiten Strukturwandel, erheblichen, substanziellen Branchenveränderungen und eben der Aufwertung der weltweiten Zinsen zur Abdämmung der Inflation begründet.
 
Warum also nicht wieder Anleihen mit guten Renditen ins Depot nehmen? Glauben Sie, liebe Investoren denn, dass eine einmal getätigte Chance/ Risikoentscheidung nicht veränderbar ist? Ist es das, was Ihnen Ihre Bank sagen möchte? Die Kapitalmärkte erfinden sich ständig neu, was für viele Investoren Stress bedeutet. Sollen also Anleger wieder eine Rolle rückwärts in Anleiheninvestments machen? Es klingt, als wenn die erste Ehe doch besser war als die Zweite, mit der Konsequenz, dass der Abschied von einer, über zehn Jahre gewachsenen, fehlgeleiteten Einschätzung von Portfoliorisiko aus der Sicht von Privatanlegern wie das Eingeständnis eines großen Fehlers vorkommen muss und auch vorkommt.
 
Umso mehr sollten Investoren diese Assetklasse wieder spürbar allokieren. Und wer einer Aktienromantik nachhängt und dies absolutistisch tut, verpasst gerade etwas, denn mit erwarteten Zinssenkungen oder Stabilisierungen werden auch die Anleihenrenditen korrigieren. Ob dann jedoch die Aktienmärkte wieder aus dem Keller kommen, ist überhaupt nicht klar. Wer sich jetzt für mehrere Jahre über ein professionell gemanagtes Zinsdepot bei einem Vermögensverwalter qualitativ hochwertige Anleihenrenditen sichert, trifft daher eine weise Entscheidung.
Diesen und weitere Vermögensverwalter mit ihren Meinungen und Online-Anlagestrategien finden Sie auf der V-Check-Website.
Henning Kirsch ist Vermögensverwalter bei der Hansen & Heinrich AG, Frankfurt/ Main. Henning Kirsch wechselte 2021 von der Deutschen Bank als Senior Berater Wealth Management zur Hansen & Heinrich AG.Vor seiner Zeit bei der Deutschen Bank war er jahrelanger Stabsleiter des Taktische Investments Strategieprogramms bei einer der größten Volksbanken Deutschlands. Er ist zertifizierter Wertpapieranalyst und Bankfachmann@FSFM.

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