Deutschland (k)ein Land der Zocker?

Matthias Hach, wallstreet:online Gruppe
Matthias Hach / Bild: wallstreet:online Gruppe
Endlich! Fast 20 Jahre hat es gedauert, bis die deutliche Delle der Aktionärszahlen in Deutschland nach dem „Neue-Markt-Schock“ überwunden war und das Sparen mittels Aktien wieder das Niveau der Jahrtausendwende erreicht hat. Laut dem Deutschen Aktieninstitut strömten im vergangenen Jahr 2,7 Millionen neue Aktionäre an die hiesigen Börsen. Mit 12,4 Millionen Anlegern haben wir somit fast wieder das Niveau der letzten großen Privatanleger-Hausse von 2001 (12,9 Mio.) erreicht. Zwei Jahrzehnte lang haben Sparer die Chancen am Aktienmarkt hartnäckig ignoriert. Die Zinsflaute, Strafzahlungen auf Bareinlagen und das Bewusstsein, dass die Renten bestenfalls auf einem sehr niedrigen Niveau sicher sind, bringen Sparer nun doch dazu, über alternative Anlagen nachzudenken.
 
Ein letzter Schubser in Richtung Finanzmärkte scheint die Corona-Pandemie mit ihrer allgemeinen Verunsicherung gewesen zu sein. Gerade die Jüngeren sind an den Börsen keine gebrannten Kinder und schätzen zudem die kostengünstige und digitale Abwicklung von Trades an den Aktienmärkten. Denn dank moderner Broker war es noch nie so einfach und günstig, sich an den Finanzmärkten zu engagieren. Transaktionen kosten (fast) nichts mehr, das umständliche Anstehen in der Filiale für die Postident-Identifizierung zur Eröffnung eines Online-Depots ist Geschichte und das Smartphone die neue Bankfiliale. Das Ergebnis ist berauschend: Eine neue Generation von Anlegern entdeckt die Welt der Wertpapiere.

Der Hype um Meme-Aktien

Auf einmal sind Bitcoin, Kryptos, SPACs und die sogenannten Meme-Aktien in aller Munde. Für die einen locken exorbitante Gewinne, für die anderen ist das alles Lug und Trug, bestenfalls maßlose Übertreibung. Schon kommen die Mahner und sehen das zarte Pflänzchen der aufkeimenden Aktienkultur durch wildes Zocken mit hochvolatilen Werten in Gefahr. Droht sich etwa die Geschichte des Neuen Marktes zu wiederholen? Kommt nach kurzer Euphorie das böse Erwachen in Form von herben Verlusten? Wir wollten es genauer wissen und haben die wallstreet:online-Community mit ihren mehr als 500.000 registrierten finanzaffinen Privatanlegern befragt.
 
Auf die Frage, ob Kaufempfehlungen für sogenannte Meme-Aktien wie GameStop, AMC, Blackberry und Windeln.de aus Finanzcommunities wie „WallstreetBbets“ eine Rolle für sie spielen, antwortete die Mehrheit der rund 4.000 Teilnehmern an der nicht repräsentativen Umfrage negativ: 33 Prozent gaben an, dass sie sich schlicht und ergreifend nicht dafür interessierten. Weitere 45 Prozent der Befragten haben zwar von Meme-Aktien gehört, den entsprechenden Empfehlungen folgen sie aber nicht.
 
Auf der anderen Seite sehen 16 Prozent die Empfehlungen durchaus als eine Chance, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, sofern sie frühzeitig davon erfahren. Nur 5 Prozent sahen in den Empfehlungen aus den Communities zu den Meme-Aktien tatsächlich eine valide Anlagestrategie, der sie auf jeden Fall folgten.

Reflektierte Privatanleger

Trotz der hohen Medienresonanz zu diesem neuen Trend und den enormen Kurssteigerungen von ein paar hundert Prozent, scheinen sich die Antwortgeber aus dem Bereich der Selbstentscheider darüber einig zu sein, dass diese Form der Anlage nichts für sie ist. Von einem neuen Zockertum kann also keine Rede sein, die besonnenen Stimmen überwiegen deutlich. Meme-Werte scheinen nicht die neue Telekom zu sein und GameStop ist nicht die neue Volksaktie, die von blauäugigen Anlegern einfach mal so aus Gier und Unverständnis über die Märkte blind gekauft wird. Deutsche Wertpapiersparer haben ihre Liebe zu Aktien und Wertpapieren zwar (wieder-)entdeckt, aber sie schauen nicht nur auf exorbitante Renditen, sondern sehen auch die Risiken, die mit solchen spekulativen Investments einhergehen. Aus meiner Sicht ist das ein gutes Signal für die neue Aktienkultur.
Matthias Hach ist Vorstandsvorsitzender bei der Berliner wallstreet:online-Gruppe, zu dem auch der Online-Broker „Smartbroker“ gehört. Das Unternehmen betreibt mehrere reichweitenstarke Börsenportale. Vor seinem Engagement bei wallstreet:online arbeitete Hach u. a. zuletzt als Bereichsvorstand Marketing, Digital Banking & Brokerage bei der Commerzbank AG und war vorher jahrelang Vorstandsmitglied und CMO der comdirect Bank AG.

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

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