Sebastian Hofbeck / Bild: DJE Kapital AG
Die Themen Diabetes und Adipositas dominieren weiterhin im Healthcare-Sektor. Eine aktuelle Studie von
Goldman Sachs zeigt das unheimliche Potenzial, das allein der Markt für Adipositas-Medikamente – auch bekannt als Abnehmspritze – hat. Die Analysten der Investmentbank gehen davon aus, dass der Markt von knapp 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 auf mehr als 130 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 wachsen wird. Dementsprechend nachvollziehbar ist, dass viele Pharmaunternehmen in diesem Bereich forschen. In den vergangenen Monaten gab es einige positive Studiendaten zu Adipositas-Medikamenten. Die Hauptprofiteure sind aber weiterhin
Eli Lilly und
Novo Nordisk, die als einzige ihre Produkte Zepbound (Eli Lilly) und Wegovy
(Novo Nordisk) bereits vertreiben und noch einige Jahre allein auf diesem Markt sein werden, da die potenziellen Wettbewerber erst in frühen Forschungsphasen sind.
Das Wachstumspotenzial dieser beiden Pharmaunternehmen kann man auch an den aktuellen Verschreibungstrends ablesen. Sowohl die Verschreibungen für Diabetes- als auch Adipositas-Medikamente in den USA stiegen im ersten Halbjahr 2024 stark an: Zepbound und Wegovy erzielten ein Wachstum von mehr als 50 Prozent im Q2/2024 gegenüber Q1/2024. Dabei werden aktuell erst ca. fünf Prozent der adipösen Menschen in den USA mit den Medikamenten von
Eli Lilly oder
Novo Nordisk behandelt, international sogar noch deutlich weniger. Die größte Herausforderung für die beiden Unternehmen bleibt deshalb, diese enorme Nachfrage bedienen zu können. Dafür investieren Eli Lilly und Novo Nordisk viel Geld in Produktionskapazitäten und in die Übernahme anderer Unternehmen. Ob diese Investitionen ausreichen werden, bleibt abzuwarten. Beiden Konzernen zufolge wird es noch Jahre dauern, bis sie die gesamte Nachfrage bedienen können.
Produktionskapazitäten und breite Entwicklungspipeline von Vorteil
Die großen Investitionen in Produktionskapazitäten führen zu einem Wettbewerbsvorteil. Der Produktionsprozess ist aufwendig und schwierig zu skalieren. Die Herstellung des aktiven pharmazeutischen Materials, des Herzstücks eines Arzneimittels, wird in die Schritte Fermentation, Recovery und Purifikation unterschieden. Novo Nordisk sieht vor allem im Bereich Purifikation, also bei der Reinigung des Wirkstoffproteins von schädlichen Verunreinigungen, beispielsweise unerwünschten tierischen Proteinen, einen großen Vorteil, weil das notwendige Know-how über viele Jahre aufgebaut werden muss. Darüber hinaus dauert der Aufbau einer Fabrik nach Aussagen der beiden Unternehmen im besten Fall zwischen drei und vier Jahre. Ein weiterer Wettbewerbsvorteil für die beiden Konzerne sind die vielen erfolgreichen Studien zum Zusatznutzen der Behandlung. Novo Nordisk konnte unter anderem einen Vorteil für das Herz-Kreislauf-System in der SELECT-Studie zeigen: Das kardiovaskuläre Risiko adipöser Wegovy-Patienten reduzierte sich um 20 Prozent. Eine um 20 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erliegen ist ein starkes Argument. Dies führte zu einer erhöhten Kostenübernahme durch Krankenversicherungen in den USA. Vermutlich wird in Zukunft jedes Adipositas-Medikament eine Studie zum kardiovaskulären Zusatznutzen durchführen müssen, was teuer und aufwendig ist. Auch Eli Lilly konnte in einer kürzlich veröffentlichten Studie zeigen, dass ihr Molekül verschiedene Zusatznutzen hat, unter anderem bei Schlafapnoe. Darüber hinaus forschen die beiden Unternehmen bereits an den nächsten Generationen der Diabetes- und Adipositas-Medikamente und sind somit den potenziellen Wettbewerben wieder einen Schritt voraus. Die nächste wichtige Entwicklungsstudie von Novo Nordisk wird bereits Ende dieses Jahres erwartet. Dabei hofft Novo Nordisk einen Gewichtsverlust von mehr als 25 Prozent bei adipösen Menschen ohne Diabetes zeigen zu können. Die aktuellen am Markt verfügbaren Produkte erreichen einen Gewichtsverlust von „nur“ 15 bis 20 Prozent.
Ein Grund, warum die Aktienkurse von Eli Lilly und Novo Nordisk in der Vergangenheit stärker stiegen als die Aktienkurse vieler anderer Pharmawerte, ist die breite Entwicklungspipeline. Ähnliches gilt für verschiedene andere Unternehmen im Pharmasektor.
AstraZeneca konnte den Kapitalmarkt mit ihrer Vision 2030 begeistern. Das britische Unternehmen will bis zum Ende der Dekade einen Umsatz von mehr als 80 Milliarden US-Dollar erreichen, was einem durchschnittlichen Wachstum von über acht Prozent pro Jahr entspricht. Das wäre das beste Wachstum im Pharmasektor neben Eli Lilly und Novo Nordisk. Die wichtigsten Wachstumstreiber sollen hierbei die Sparten Onkologie, Biopharmaka und seltene Krankheiten sein.
US-Wahlkampf hemmt Pharma-Aktien
In der Vergangenheit entwickelten sich Pharma-Aktien in US-Präsidentschaftswahljahren unterdurchschnittlich zum restlichen Healthcare-Sektor. Ein Grund hierfür ist, dass die Reform des Gesundheitssystems oft Wahlkampfthema ist. Der Fokus lag dabei häufig auf der Reduktion der Kosten – sowohl für jeden einzelnen Versicherten als auch für das Gesundheitssystem im Allgemeinen. Die meisten Vorschläge hätten dadurch die Gewinne von Pharma-Unternehmen geschmälert. Auch im aktuellen Wahlkampf sind Medikamentenpreise wieder ein Thema, als der amtierende US-Präsident Joe Biden zusammen mit Senator Bernie Sanders einen Kommentar bei „USA Today“ veröffentlichte. In diesem Beitrag forderten sie, dass die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente deutlich gesenkt werden müssten. Dabei adressierten sie Novo Nordisk direkt, was zu einem kurzen Abverkauf der Aktie führte. Es ist allerdings, anders als in vorherigen Wahlkämpfen, nicht mit noch drastischeren Vorschlägen zu rechnen, da US-Präsident Joe Biden bereits im August 2022 den Inflation Reduction Act (IRA) unterschrieben hat.
Der IRA soll das staatliche Krankenversicherungsprogramm Medicare reformieren. Die Kernabsichten sind dabei eine Deckelung des Preisanstiegs von Arzneimitteln, die Begrenzung der maximalen Zuzahlung für Arzneimittel durch den einzelnen Versicherten sowie die Durchführung von sogenannten Preisverhandlungen zwischen dem Center for Medicare and Medicaid (CMS) und den betroffenen Pharmaunternehmen. Die Deckelung des Preisanstiegs von Arzneimitteln auf das Niveau der Inflation wird im Allgemeinen als unstrittig erachtet. Im Gegensatz dazu war die Begrenzung der Zuzahlung für die einzelnen Medikamente im ersten Halbjahr 2024 ein wichtiges Thema. Einige Pharma-Unternehmen haben vor den Auswirkungen im nächsten Jahr gewarnt. Gemäß Schätzung einiger Investmentbanken wird die Begrenzung der Zuzahlung die betroffenen Pharma-Unternehmen im Jahr 2025 mit bis zu drei Prozent weniger Umsatzwachstum belasten. Das liegt über den bisherigen Erwartungen und hat zu einer negativen Aktienkursreaktion der betroffenen Pharma-Unternehmen geführt. Die große Unbekannte bleibt die Auswirkung aus den sogenannten Preisverhandlungen. Bei diesen Preisverhandlungen kann das CMS auf eine Preisreduktion für ausgewählte verschreibungspflichte Arzneimittel drängen. Dieser Preisreduktion müssen die Pharma-Unternehmen zustimmen, da ansonsten erhebliche Strafen drohen. Aktuell laufen die ersten „Verhandlungen“ für die Preise ab 2026. Gemäß aktuellem Zeitplan sollen die Preise für die ersten zehn ausgewählten Medikamente im September 2024 verkündet werden. Erste Aussagen betroffener Unternehmen, unter anderem vom CEO von AstraZeneca, lassen darauf schließen, dass die Preisreduzierungen jedoch geringer als befürchtet ausfallen werden.
USA-China-Konflikt auch mit Auswirkungen auf Lieferketten
In den vergangenen Jahren hat sich China als wichtiger Markt für internationale Healthcare-Unternehmen entwickelt. Regulatorische Reformen und angehobene Qualitätsstandards haben den Marktzugang zu diesem riesigen Markt erleichtert. Gleichzeitig arbeiten inzwischen viele große, internationale Pharmaunternehmen mit Auftragsforschungsinstituten und Auftragsfertigern aus China zusammen, unter anderem da diese günstiger sind und den lokalen Markt einfacher adressieren können. Diese Zusammenarbeit möchten US-Politiker durch den „Biosecure-Act“ nun einschränken. Ab 2032 soll chinesischen Unternehmen, die als bedenklich eingestuft werden, der Zugang zu Bundesaufträgen genommen werden. Sollte der „Biosecure-Act“ tatsächlich in Kraft treten, würde das zu starken Veränderungen in den Lieferketten führen. Spricht man mit Pharma- und anderen Healthcare-Unternehmen, sehen diese bereits jetzt erste Auswirkungen. Ob und in welcher Form die chinesische Regierung ihrerseits darauf reagiert, bleibt abzuwarten.
Fazit
Eine Reform des US-Gesundheitssystems ist zwar aktuell noch kein großes Wahlkampfthema, das könnte sich im Laufe des Wahlkampfs jedoch noch ändern. Inwieweit das Investoren abschrecken wird, bleibt abzuwarten. Das größere Risiko kommt aber vermutlich aus den Ergebnissen der „Preisverhandlungen“ im Zuge des IRAs. Gleichzeitig sollte eine verstärkte Diskussion rund um das Gesundheitssystem den MedTech- und Life-Science-Unternehmen wie in der Vergangenheit helfen. Zugleich wird erwartet, dass China ein neues Stimulus-Paket auflegen wird, um die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln. Davon sollten auch Equipment-Hersteller im Healthcare-Sektor profitieren können. Insgesamt gilt es, diese Opportunitäten im zweiten Halbjahr zu nutzen, auch wenn das dominierende Thema in diesem Sektor mit großer Wahrscheinlichkeit Diabetes- und Adipositas-Medikamente bleiben.
Sebastian Hofbeck ist Analyst für den Sektor Healthcare bei der
DJE Kapital AG