Jenseits von US-Large-Caps – wie sollten sich Aktienanleger jetzt positionieren?

Nicolas Wylenzek, Wellington Management
Nicolas Wylenzek / Bild: Wellington Management
Die hohe Marktkonzentration bleibt eine Herausforderung für das zweite Halbjahr. Den Blick über den Tellerrand eines Long-only-Ansatzes zu heben, könnte eine Möglichkeit sein, der hohen Konzentration entgegenzuwirken. In diesem Umfeld spielt besonders ein qualitativer Ansatz eine wichtige Rolle. Insgesamt hat sich mit Blick auf die zweite Hälfte des Jahres 2024 die Erwartung einer harten Landung in die einer weichen oder vielleicht sogar keiner Landung gewandelt. Angesichts der wachsenden Konzentration auf den globalen Aktienmärkten – nicht nur nach Einzeltiteln, sondern auch nach Sektoren und Faktoren – müssen sich Anleger derzeit fragen: Wie stelle ich mich in einem entsprechend engen Markt auf?

Die Regionen im Überblick

Global
In der ersten Jahreshälfte erzielten globale Aktien positive Erträge. Dies ist vor allem auf die Erholung des Weltwirtschaftswachstums zurückzuführen: Die globalen Einkaufsmanagerindizes (PMI) zeigen, dass sich die Geschäftslage sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe deutlich verbessert hat. Die USA waren 2023 der wichtigste globale Wachstumsmotor. In der ersten Hälfte dieses Jahres zeigen die PMI-Daten jedoch, dass sich diese wirtschaftliche Dynamik über die USA hinaus auf Europa und China ausgeweitet hat, was durch eine breit basierte Erholung bei den Auftragseingängen sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe deutlich wird. Dieser Trend dürfte sich im weiteren Jahresverlauf fortsetzen und könnte ein positives Umfeld für globale Risikoanlagen schaffen. Besonders interessant seinen Sektoren, die bisher hinter der Rally der letzten beiden Jahre zurückgeblieben sind, beispielsweise renditeträchtige Aktien und Sektoren mit stabilen und steigenden Dividenden sowie eher „frühzyklische“ Bereiche wie Small Caps und die Emerging Markets.
 
USA
US-Aktien konnten ihre globalen Pendants in den letzten sechs Monaten erneut übertreffen, da die US-Indizes weiterhin von einem hohen Anteil wichtiger Unternehmen im Bereich künstlicher Intelligenz profitierten. Was auch bedeutet, dass die Performance weiter stark konzentriert ist. Zukünftig dürfte das attraktivste Risiko-Rendite-Profil in vernachlässigten Marktsegmenten wie Small Caps, Dividendenaktien und Value-Aktien liegen. Im Falle einer stärkeren Verlangsamung der Wachstumsdynamik könnten defensivere Marktbereiche – wie die bereits erwähnten Sektoren mit stabilen und steigenden Dividenden – eine attraktive Absicherungsmöglichkeit darstellen.

Japan
Die starke Performance des japanischen Aktienmarktes hat sich auf breiter Basis fortgesetzt, da globale Anleger weiterhin auf einen Strukturwandel setzen. Angesichts der im Vergleich zu den USA niedrigen Bewertungen erscheinen japanische Aktien mittelfristig nach wie vor attraktiv, zumal die Unternehmensreformen weiter im Gang sind. Kurzfristig ist jedoch mit einer gewissen Unsicherheit zu rechnen, da sich die geldpolitischen Entscheidungsträger dabei schwertun, den Yen zu stabilisieren.

Europa
Europa hat in Bezug auf das Thema künstliche Intelligenz zwar deutlich weniger vorzuweisen, europäische Aktien haben aber von einem Goldlöckchen-Szenario mit beschleunigtem Wachstum und Disinflation profitiert. Wenn dieses Umfeld in Europa anhält, dürfte die Region weiterhin Aufwärtspotenzial bieten. Eine sehr fokussierte europäische Strategie schafft dann Potenzial für ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis.

Vereinigtes Königreich

Die hartnäckige Inflation und die unsichere Zinsentwicklung üben weiterhin Druck auf die Bewertung britischer Aktien aus. Allerdings gehören diese inzwischen zu den günstigsten Aktien weltweit. Das Risiko-Rendite-Verhältnis ist derzeit zwar hoch, jedoch könnte ein Nachlassen der Konjunktursorgen der Anleger kurzfristig erhebliches Aufwärtspotenzial mit sich bringen, insbesondere falls der Ausgang der bevorstehenden Unterhauswahl für eine gewisse politische Stabilität sorgt.

China
Chinesische Aktien haben während des gesamten Jahres 2023 und Anfang 2024 enttäuscht, da sich die Wirtschaft des Landes nur zögerlich erholt und die Sorgen um den Immobilienmarkt zunehmen. In jüngster Zeit haben sich die Anleger wieder stärker engagiert, in der Hoffnung, dass unterstützende Maßnahmen der Politik den Immobiliensektor endlich stabilisieren und eine Erholung einleiten. Eine wirkliche Erholung hat sich bis heute jedoch noch nicht eingestellt. Wie im Vereinigten Königreich ist auch hier das Risiko-Rendite-Verhältnis hoch, dies wird aber etwas durch die gedrückte Anlegerstimmung ausgeglichen. Angesichts der wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken rechtfertigt China unseres Erachtens einen höheren Bewertungsabschlag für Aktien als andere Regionen.

Emerging Markets ohne China
Nach 15 Jahren relativer Underperformance gegenüber den Industrieländern verdienen die häufig auch als Emerging Markets bezeichneten Schwellenländer unserer Meinung nach die Aufmerksamkeit der Anleger. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Emerging Markets in der Frühphase des Zyklus nach einer von den USA angeführten Rezession in den Industrieländern in der Regel am besten entwickelt haben. China könnte die Performance von EM-Aktien zwar auch in diesem Jahr weiter belasten, unseres Erachtens könnten jedoch eine relativ niedrige Inflation, sich verbessernde Fundamentaldaten, niedrige Bewertungen und eine hohe Marktineffizienz attraktive Chancen für aktive Manager eröffnen.

Wo liegen die Chancen?

Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte stehen für uns eine Reihe von Anlagethemen im Vordergrund:

 
  1. Die Breite mag zwar noch nicht wieder da sein, dürfte aber bald zurückkehren
    Die S&P-Daten für Juni zeigen, dass die Marktkonzentration den höchsten Stand seit 50 Jahren erreicht hat. Auf die sechs größten Aktien im S&P 500 entfallen nun mehr als 30 Prozent des Index. Nachdem sich die Erträge im bisherigen Jahresverlauf wieder stark auf diese Mega-Caps konzentriert haben, könnte die Breite jedoch wieder zunehmen. Wir beobachten geringere Korrelationen sowohl zwischen als auch innerhalb der Sektoren sowie eine größere Streuung, was Chancen für die Einzeltitelauswahl eröffnen könnte. Wir gehen davon aus, dass sich die Marktbreite im Laufe des Jahres 2024 mit abnehmender makroökonomischer Unsicherheit verbessern wird, insbesondere durch bessere Erträge für den „S&P 493“ (also der S&P 500 ohne die sogenannten „Glorreichen Sieben“) sowie für Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen. Dies könnte ein idealer Zeitpunkt sein, um über eine Erhöhung der Aktienallokation nachzudenken, mit der Möglichkeit, die Risiken konzentrierter Märkte zu mindern, falls die Rückkehr einer ernstzunehmenden Marktbreite noch etwas länger dauern sollte.
  2. In den USA sind die Kleinen wieder ganz groß
    Wir gehen von einer Kombination aus bescheidenem Wachstum und einer moderaten Entwicklung der Inflation und Zinsen aus. Dies dürfte ein zunehmend günstiges Umfeld für Small- und Mid-Cap-Aktien schaffen, die im Jahr 2023 drastisch zurückgefallen und in den meisten der vergangenen 13 Jahre deutlich hinter den Indexrenditen zurückgeblieben sind. Small Caps sind im Vergleich zu Large Caps so unterbewertet wie seit der Dotcom-Blase nicht mehr. Darüber hinaus sind die Small- und Mid-Cap-Universen zunehmend ineffizient geworden, da die Sell-Side-Research-Abdeckung abnimmt, der ETF-Handel zunimmt und die Zahl der unprofitablen Small Caps im Russell 2000 Index nach dem Boom von Zweckgesellschaften für Akquisitionen (SPACs) in den Jahren 2020 bis 2021 rapide gestiegen ist. Unser Fazit: Wir erwarten eine Phase der Outperformance für Small und Mid Caps. Diese Bedingungen dürften vorteilhaft für aktive Manager sein.
  3.  Es ist an der Zeit, den Wert in „Value“-Aktien zu finden
    Ähnlich wie Small Caps haben auch Value-Aktien in den USA im Jahr 2023 wie schon in den meisten Jahren des letzten Jahrzehnts eine schwächere Entwicklung gezeigt (wobei Value-Aktien in Europa und Japan 2023 eine Outperformance geboten haben). Diese Underperformance hat sich 2024 fortgesetzt. Die Folge: US-Aktienindizes weisen nicht nur eine höhere Konzentration von Mega-Caps auf, auch die Sektor- und Faktorkonzentration ist gestiegen. Bei Kunden, die sich an diesen Indizes orientieren, sind die Allokationen zunehmend auf diese Bereiche ausgerichtet. Angesichts der hohen Gewichtung der USA in den globalen Indizes spiegelt sich diese Konzentration auch in globalen Portfolios wider.

    Da die Portfolios vieler Anleger aufgrund des Marktgeschehens stärker auf Growth-Aktien ausgerichtet und daher dem Risiko einer Trendwende ausgesetzt sind, bieten Value-Aktien eine attraktive Kombination aus Aufwärtspotenzial und Portfoliodiversifizierung. Value-Allokationen können auf Qualität, bestimmte Themen oder individuelle Chancen oder – für Anleger, die in einem Umfeld allmählich sinkender Zinsen nach attraktiven regelmäßigen Einkünften suchen – auf Dividenden ausgerichtet sein.
  4. Japan – dieses Mal ist es anders!
    Das nominale BIP-Wachstum Japans, das 30 Jahre lang nahe bei null Prozent lag, hat sich deutlich belebt. Die Wirtschaft scheint das deflationäre Umfeld, durch das sie jahrelang belastet wurde, hinter sich zu lassen, was durch ein robustes Lohnwachstum und die Preissetzungsmacht der Unternehmen unterstützt wird. Die Anleger werden außerdem durch die Maßnahmen zur Unternehmensreform ermutigt, die sich inzwischen deutlich bemerkbar machen, wobei sich die Unternehmen zunehmend auf die Kapitalrendite konzentrieren. Das Thema Unternehmensreform ist real und wird sich noch über viele Jahre hinziehen.

    Diese wichtigen Änderungen erfolgen vor dem Hintergrund eines aus unserer Sicht angemessenen Bewertungsniveaus. Selbst nach den seit Jahresbeginn erzielten Kursgewinnen zeigt unsere Analyse, dass der japanische Aktienmarkt auf dem mittleren Bewertungsniveau der letzten 20 Jahre notiert, während die Bewertungskennzahlen nur zwei Drittel des US-Niveaus erreichen. Alles in allem halten wir dies weiterhin für einen attraktiven Einstiegspunkt in eine auf Fundamentaldaten basierende Rally.
Nicolas Wylenzek, ist Aktienstratege bei Wellington Management

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

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