Was jetzt zu tun ist

Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Wir sind nicht Letzter, immerhin – beim Eurovision Song Contest. Beim Wirtschaftswachstum sieht es etwas anders aus, zumindest wenn wir den Wirtschaftsweisen glauben oder der EU-Kommission. „Deutschland fast ganz hinten“, heißt es dazu in Die Welt. Was für ein hübsches Wort „fast“ doch sein kann. Da macht das Handelsblatt die Wochenendausgabe gleich mit der Frage auf: „Wo Deutschland noch spitze ist“? Und was könnte unsere Spitzenposition besser illustrieren als ein - Gartenzwerg! Dafür schaffte der Dax fast die 19.000er Marke und sonnte sich kurzzeitig im neuen Rekordhoch, ähnlich wie der Dow Jones, der erstmals die 40.000er Schwelle übertraf. „Allzeithochs allerorten“, nennen es die Fuchsbriefe, während die Zentralbank schon einmal warnt: „EZB: Optimistische Stimmung an den Märkten kann rasch umschlagen“, zitiert das Handelsblatt und die Börsen-Zeitung stellt zum Ende der Woche fest: „Dem Dax geht die Puste aus“. Dem Staat irgendwie auch, denn er muss mehr sparen: „Steuerschätzung offenbart größere Haushaltslücke“, meldet die Börsen-Zeitung. Trivial aber wahr: Je besser es den Steuerzahlern geht, desto üppiger sprudeln die Steuertaler - und umgekehrt.

Der geheime Versiebenfacher

Nun sind wir einigermaßen gespannt, ob die Cover der Finanzmagazine den aktuellen Höhenflug des Dax angemessen widerspiegeln. Nun ja. Börse Online und Focus Money haben sich grafisch sehr aneinander angeglichen: Farbig hinterlegte Textzeilen samt einer Reihung schwarz-weißer Köpfe. „Das Beste von Buffett & Co.“, verspricht Börse Online mit den Porträts von Bill Gates, Bill Ackmann, Ken Fischer und logischerweise Warren Buffett. „Mit diesen Aktien können Sie Ihr Geld versiebenfachen!“, heißt es dazu weiter. Wir würden „versiebenfachen“ gerne in unseren Wortschatz aufnehmen, wenn uns nur einfiele, für was wir es gebrauchen könnten, außer für einen Konjunktiv. „Wir sagen Ihnen, was jetzt zu tun ist“, schreibt Focus Money und zeigt Kristin Hooper, Bert Flossbach, Thomas Kruse, Gertrud Traud, Carsten Mumm und Jens Ehrhardt, die uns das wohl einflüstern sollen. Vier Männer und zwei Frauen gelten in der Finanzbranche quasi als paritätisch besetzt. Der Aktionär hebt sich zumindest grafisch stark ab, zeigt er auf dem Titel doch einen Mann mit Hut und Mantel im Stil der 1930er Jahre, der eine Akte (nicht Aktie) hält, auf der "Geheim" steht: „Kaufen Sie jetzt geheime Aktienstars und sichern Sie sich die Chance auf 100 Prozent Gewinn!“, ist auf der roten Kladde weiterhin zu lesen.

Unbemerkter Schrumpfprozess

Die Filiale ist offen – und keiner geht hin, könnte man einen bekannten Spruch variieren. Die Anzahl der Bankfilialen hat weiter abgenommen, erstmals fielen sie unter 20.000 – und die Kunden merken es gar nicht, so lautet das Resümee im Handelsblatt: „Immer mehr Menschen erledigen Bankgeschäfte am Computer zuhause oder per App auf dem Smartphone“, wird uns erklärt, und „viele Kunden vermissen aber gar nichts“. 19.501 Filialen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt es noch laut Bundesbank. Das bedeutet, dass innerhalb eines Jahres fast 1.000 Filialen abgebaut wurden. Unserer persönlichen Beobachtung nach werden erst die Öffnungszeiten so zusammengestrichen, dass man kaum eine Chance hat, die Bank tatsächlich einmal betreten zu können – und dann wird sie geschlossen, weil sie kaum mehr jemand betreten hat. Man könnte das als eine Art self-fulfilling phrophecy bezeichnen.

Grüne Heide

Es gibt offensichtlich Proteste gegen eine Erweiterung des Tesla-Werkes in Grünheide – dabei braucht Tesla wohl gar keine Erweiterung, weil schon die derzeit produzierten Autos sich auf der Halde (und Heide) stapeln, statt beim Käufer in der Garage zu stehen. Zumindest sieht das die WirtschaftsWoche so und konstatiert nach Shakespeare: „Viel Lärm um nichts“. Teslas Problem der Überproduktion sei massiv. Demonstrieren gegen etwas, das gar nicht passieren wird, ist irgendwie eine höhere Art des Protestes. Man fühlt sich gut, ist beschäftigt, knüpft soziale Kontakte und bewegt sich an der frischen Luft – wozu braucht es dann noch einen Grund?