Connor Fitzgerald / Bild: Wellington Management
Eine der Schlüsselfragen, die die Märkte derzeit zu beantworten versuchen, lautet: Werden die Zentralbanken es schaffen, eine sanfte Landung der Weltwirtschaft zu erreichen? Auch wenn dies eine wichtige Überlegung ist, sollten Anleger besser nicht die umfangreichen strukturellen Veränderungen übersehen, die die Investmentlandschaft in diesem neuen wirtschaftlichen Umfeld umgestalten. Wir verweisen beispielsweise auf den massiven Anstieg sämtlicher Arten von Unternehmensinvestitionen in den USA. Wenn dieser Trend anhält, könnte er unseres Erachtens eine neue industrielle Revolution in den USA und darüber hinaus auslösen. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf Fixed-Income-Anlagen.
Meiner Meinung nach sind die erheblich gestiegenen Investitionsausgaben kein vorübergehendes Phänomen. Sie werden durch langfristige Faktoren angetrieben, beispielsweise:
- durch die rasanten Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz (KI). Diese führen zu einem exponentiellen Anstieg der Investitionsausgaben der Unternehmen, der weit über den Konsensschätzungen liegt.
- durch die Deglobalisierung, ausgelöst durch eskalierende geopolitische Rivalitäten, vor allem zwischen China und den USA, sowie durch die Sorge um die Fragilität globaler Lieferketten.
- durch eine wachsende Energienachfrage, die durch die energieintensive künstliche Intelligenz und durch Produktionsverlagerungen verstärkt wird.
- durch die Elektrifizierung des Stromnetzes in Verbindung mit dem anhaltenden Bestreben, in alternative Energiequellen zu investieren.
- durch ,Revenge Spending‘ für Sachanlagen nach einer längeren Phase mit zu geringen Investitionen, in der die Märkte Asset-Light-Geschäftsmodelle mit Schwerpunkt auf Forschung und Entwicklung und geistiges Eigentum bevorzugten.
Impulse für ein höheres Wirtschaftswachstum
Zusammengenommen ist der Umfang dieser zusätzlichen privaten Investitionsströme in Nichtwohngebäude (siehe dazu nachfolgende Abbildung im englischen Original) so groß, dass sie den Kurs der US-Wirtschaft wesentlich verändern könnten. Typischerweise haben Investitionen in Sachanlagen in der Regel viel größere positive Multiplikatoreffekte auf das Wirtschaftswachstum als die Asset-Light-Geschäftsmodelle, die bisher den Markt beherrscht haben.
Es ist noch zu früh, um einschätzen zu können, ob diese neue industrielle Revolution Wirklichkeit werden könnte. Denn die industrielle Renaissance in den USA hat schon viele Fehlstarts erlebt. Hinzu kommt: Die Gefahr besteht, dass die Weltwirtschaft durch verstärkte geopolitische Turbulenzen aus dem Gleichgewicht gebracht wird.
Dennoch sehe ich mehrere Gründe, warum die Daten im Vergleich zu Umfragen bisher positiv überraschen. Dazu zählen unter anderem:
- Die Art der Investitionen: Die angekündigten Beträge übersteigen bereits die Ausgaben während des letzten Investitionsschubs, als die Schiefergasproduktion hochgefahren wurde. Allein aufgrund der zugesagten Beträge können wir davon ausgehen, dass die Wachstumsrate bei den privaten Bau- und Ausrüstungsausgaben für Nichtwohngebäude (siehe Abbildung oben, Englisch: Private nonresidential structure and equipment spending) in den kommenden Jahren über der Inflationsrate liegen wird. Wichtig ist, dass einige der Mega-Caps in der Lage sind, ihre Investitionen ohne Fremdmittel zu finanzieren und so die öffentlichen Kreditmärkte zu umgehen, da diese immer weniger bereit sind, kapitalintensive Infrastrukturprojekte mit langen Amortisationszeiten zu finanzieren.
- Produktivitätsgewinne durch KI-Investitionen: KI führt bereits zu Produktivitätsgewinnen, wobei die Unternehmen eine wesentlich schnellere Kapitalrendite (ROI) erwirtschaften als bei früheren technologischen Durchbrüchen. Diese Beschleunigung der ROI verringert wiederum den Bedarf an externer Finanzierung.
- Die Dringlichkeit und der Umfang der erforderlichen Investitionen: Nach einer langen Periode zu geringer Investitionen besteht ein dringender Bedarf an Sachinvestitionen zur Modernisierung der alternden US-Infrastruktur.
- Die Widerstandsfähigkeit der US-Verbraucher: Eine Verschlechterung der Lage der US-Verbraucher würde einen Großteil der zusätzlichen Wachstumsdynamik, die durch diese beginnende industrielle Revolution erzeugt wurde, zunichtemachen. Da die Verbraucherausgaben für die Gesamtwirtschaft von entscheidender Bedeutung sind, beobachte ich dieses Risiko ganz genau. Doch trotz einiger Anzeichen für eine erhöhte Anfälligkeit scheinen die Verbraucher – selbst am unteren Ende des Einkommensspektrums – widerstandsfähiger zu sein, als die Märkte annehmen. Die Bilanzen der Verbraucher sind nach wie vor solide, auch wenn die übermäßig stark angehäuften Ersparnisse inzwischen weitgehend aufgebraucht sind. Auch wenn die künstliche Intelligenz letztendlich zu Arbeitsplatzverlusten führen könnte, ist die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zumindest für den Moment gewachsen. Zudem profitieren viele Verbraucher immer noch von den Wohlstandseffekten der höheren Immobilienpreise, während die Realeinkommen dank gesunkener Inflation weiter steigen.
Wichtige Implikationen für die Geldpolitik
Diese strukturelle Wachstumsdynamik fällt mit einer nach wie vor außerordentlich lockeren Finanzpolitik und einer wachsenden Staatsverschuldung in weiten Teilen der entwickelten Welt zusammen. Und obwohl die Zentralbanken einen Lockerungszyklus zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums eingeleitet haben, liegt die Inflation vielerorts weiterhin über ihrem Zielwert und wird wahrscheinlich wieder anziehen. Ich rechne daher damit, dass die Zinsstrukturkurve möglicherweise steiler wird und die Zinsen auf einem höheren Niveau bleiben werden, als die Märkte derzeit einpreisen. Zumal die Kombination aus hartnäckiger Inflation und dem Bedarf an zusätzlicher staatlicher Defizitfinanzierung den Spielraum für Zinssenkungen der Federal Reserve und anderer Zentralbanken in den Industrieländern einschränken dürfte. Die etwaige Anpassung an diese von unseren Makrostrategen als ,neues Wirtschaftszeitalter‘ bezeichnete Realität mit höherer, volatilerer Inflation und kürzeren sowie ausgeprägteren Konjunkturzyklen wird unweigerlich zu mehr Volatilität führen.
Portfoliopositionierung für diese neue Realität
Wie können sich Anleger hinsichtlich der erheblichen Risiken und auch Chancen positionieren, die dieses neue Umfeld mit sich bringt? Eine einheitliche Antwort gibt es zwar nicht – allerdings könnte ein Total-Return-Ansatz möglicherweise ein interessanter Weg sein. Dieser ermöglicht dynamische Umschichtungen über ein breites Spektrum von Anlagechancen.
Speziell in dieser unberechenbaren Zyklusphase ermöglicht ein Total-Return-Ansatz Anlegern meiner Meinung nach folgende Möglichkeiten:
- Sie vermeiden übermäßiges Kredit- oder Durationsrisiko und erzielen dennoch attraktive Renditen, indem sie Positionen am kürzeren Ende der Kurve eingehen und sich von den Segmenten des Kreditmarktes fernhalten, in denen die Spreads meiner Meinung nach zu eng geworden sind.
- Sie vermeiden eine ‚Alles-oder-Nichts‘-Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob wir eine Fortsetzung der positiven Wachstumsüberraschungen erleben oder in eine Rezession abgleiten
- .Sie haben Flexibilität, von beiden Szenarien zu profitieren. Ich bin zwar optimistisch, dass sich das Wachstumsszenario durchsetzen wird. Zugleich denke ich aber, dass eine solche Positionierung Anlegern auch die Möglichkeit bietet, von der damit verbundenen Volatilität zu profitieren, wenn andere Marktteilnehmer zu Verkäufen gezwungen sein könnten. Eine solche Flexibilität könnte sich als besonders vorteilhaft erweisen, sollten wir wirklich in eine neue Ära der Industrialisierung mit den USA als deren Epizentrum eintreten.
Hinweis: Die geäußerten Ansichten sind die der Autoren zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels. Andere Teams vertreten möglicherweise andere Ansichten und treffen andere Anlageentscheidungen. Der Wert Ihrer Anlage kann mehr oder weniger wert werden als zum Zeitpunkt der ursprünglichen Investition. Die verwendeten Daten Dritter werden zwar als zuverlässig angesehen, ihre Richtigkeit wird jedoch nicht garantiert. Nur für professionelle, institutionelle oder zugelassene Anleger.