Führen ESG-Regeln der EU zum Handelskrieg mit den USA?

Steve Williams, Nikko Asset Management:
Steve Williams / Bild: Robeco
Bei der Regulierung zur Umwelt-, Sozial- und Governance-Berichterstattung (ESG) gehen Europa und die USA getrennte Wege. Kann das bis zum Handelskrieg führen?

Weitgehende EU-Regulierungen

Im Mittelpunkt stehen die ESG-Offenlegungspflichten, die die EU im Jahr 2025 einführen will. Die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) verlangt von Unternehmen die Offenlegung von Informationen über die Integration sozialer und ökologischer Auswirkungen, Risiken und Chancen in ihre Geschäftsstrategien, einschließlich klimabezogener Auswirkungen. Unternehmen, die zu dem Schluss kommen, dass der Klimawandel für ihre Geschäftstätigkeit nicht wesentlich ist, müssen eine detaillierte Erklärung abgeben. Die Berichtspflichten werden für die verschiedenen Unternehmensgrößen schrittweise eingeführt und dürften mehr als 50.000 Organisationen weltweit betreffen.
 
Unternehmen im Geltungsbereich der CSRD werden entsprechend der Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) berichten. Diese schreiben umfassende Angaben zu Treibhausgasemissionen (Scope 3) vor, d.h. Emissionen, für die das Unternehmen indirekt über seine Wertschöpfungskette verantwortlich ist. Deren Erfassung erfordert jedoch ein umfassendes Verständnis dieser Wertschöpfungskette. Daher bereiten sich die Unternehmen bereits auf diese weitreichende Berichtspflicht vor.

Abgeschwächte US-Anforderungen

Im Gegensatz dazu entschied sich die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC für einen „abgeschwächten“ Berichtsrahmen. Ursprünglich sollten alle börsennotierten Unternehmen bestimmte Treibhausgasemissionen berechnen und melden müssen. Jetzt gilt dies nur noch für große Unternehmen. Außerdem müssen die Unternehmen die Verschmutzung durch bestimmte Treibhausgase nur noch dann offenlegen, wenn sie die Emissionen als „wesentlich“ bzw. als für ihre Investoren von erheblicher Bedeutung erachten.
 
Die größte Abweichung von der EU-Gesetzgebung besteht jedoch darin, dass US-Unternehmen nicht verpflichtet sind, ihre Scope-3-Emissionen offenzulegen oder über die Umweltverschmutzung zu berichten, die durch ihre Lieferkette oder den Verbrauch ihrer Produkte entsteht. Für multinationale Unternehmen mit Niederlassungen in Europa jedoch könnte genau dies zu einer großen Herausforderung werden. Obwohl die CSRD zunächst nur für Unternehmen mit Sitz in der EU gilt, müssen Nicht-EU-Unternehmen mit einer signifikanten Präsenz in der EU für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2028 beginnen, Emissionen (einschließlich Scope 3) auf globaler Basis berichten, einschließlich aller Nicht-EU-Unternehmen der Gruppe.
 
US-Unternehmen mit einer Präsenz in der EU werden daher schwierige Entscheidungen zu treffen haben: Sie müssen festlegen, wie viele Emissionsdaten sie wo offenlegen. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass die Offenlegungsanforderungen der CSRD und die SEC-Vorschriften in unterschiedliche Richtungen weisen, was zu Geldbußen und Rechtsstreitigkeiten führen kann.
Die Unterschiede zwischen den EU- und den US-Vorschriften werden noch dadurch verschärft, dass der Staat Kalifornien ein eigenes Gesetz zur Offenlegung von Klimadaten verabschiedet hat, das sich an Unternehmen richtet, die in Kalifornien tätig sind, und das ähnliche Richtlinien für die Berichterstattung nach Scope 1, 2 und 3 enthält wie die EU-Version.

US-Präsidentschaftswahl rückt näher

Ein Sieg von Donald Trump im November könnte im Vergleich zu den Plänen von Joe Biden bis 2030 zu zusätzlichen 4 Milliarden Tonnen Kohlenstoffemissionen in den USA führen. Außerdem könnte es zu einem Handelskrieg zwischen den USA und der EU kommen, wenn die EU damit beginnt, US-Unternehmen mit Strafzöllen zu belegen, weil sie ihre Scope-3-Emissionen nicht offenlegen. Trump selbst hat bereits früher Strafzölle gegen EU-Unternehmen verhängt.
 
Doch auch unabhängig davon, wer im Jahr 2025 das Weiße Haus bewohnt, könnte die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Berichterstattungsanforderungen zu einer größeren Konfrontation zwischen der EU und den USA führen. Und genau wie bei der Unterstützung der Ukraine könnte dies zu einem Streitpunkt für die Republikaner werden – und das in einer Zeit, in der die geopolitische Lage ohnehin sehr angespannt ist.

Ein besseres Gleichgewicht zwischen Zuckerbrot und Peitsche

Die USA und die EU verfolgen in Bezug auf die Nachhaltigkeit und den Übergang zu sauberer Energie Ansätze, die so unterschiedliche sind wie Zuckerbrot und Peitsche. In den USA hat der Inflation Reduction Act Steuervergünstigungen in Höhe von fast 390 Milliarden US-Dollar für Initiativen für saubere Energie bereitgestellt und belohnt damit Unternehmen, die sich für saubere Energie einsetzen. Die EU setzt dagegen auf Regulatorik und bestraft die Unternehmen, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Verpflichtungen in Bezug auf die Treibhausgasemissionen nachzuweisen.
Ein besseres Gleichgewicht zwischen beiden Ansätzen wäre hilfreich. Unternehmen sollten sich besser unterstützt fühlen und Anreize erhalten, ihre Emissionen offenzulegen und zu reduzieren. Im Moment jedenfalls ist die EU führend bei der Offenlegung von Emissionen, da sich die USA an der gesamten Diskussion nicht in nennenswertem Umfang beteiligen.
Steve Williams ist EMEA Head of Global Fixed Income bei Nikko Asset Management