Balanceakt der Fed zwischen Finanzstabilität und hartnäckig hoher Inflation

Mario Montagnani, Vontobel
Mario Montagnani / Bild: Vontobel
  • Rückgang der Inflation setzt sich fort, wenn auch in Europa und den USA in sehr unterschiedlichem Tempo
  • Banken könnten Kreditvergabestrategien neu kalibrieren, davon wären Unternehmen und Verbraucher betroffen
  • Turbulenzen bei der SVB könnten die Zentralbanken zu einer Verlangsamung des Zinserhöhungszyklus veranlassen, die robusten Verbraucherpreisdaten sprechen für eine Fortsetzung.
Der Rückgang der Inflation setzt sich sowohl in den USA als auch in Europa fort, wenn auch in sehr unterschiedlichem Tempo. Die Ereignisse bei der Silicon Valley Bank (SVB) und der Credit Suisse (CS) haben die Marktwahrnehmung in den letzten zwei Wochen stark verändert und die Marktdynamik beeinträchtigt.
 
In den USA zeigte der Verbraucherpreisindex für Februar eine weitere Abschwächung auf 6,0 Prozent (von 6,4 Prozent im Januar), wobei die Kernrate um 5,5 Prozent anstieg und damit den geringsten Zwölfmonatsanstieg seit Dezember 2021 verzeichnete, aber nur geringfügig niedriger lag als im Januar (+5,6 Prozent). Der Index für Unterkünfte („Index Shelter“) trug mit über 70 Prozent am stärksten zum monatlichen Anstieg aller Posten bei, gefolgt von Nahrungsmitteln, Freizeitaktivitäten und Haushaltseinrichtungen.

USA nahe an deflationärer Situation

Nimmt man die USA als Maßstab für die Inflation in den Industrieländern, so stellt man fest, dass wir uns in wichtigen Kategorien sehr nahe an einer deflationären Situation befinden, wenn wir sie nicht sogar schon erreicht haben. Dies gilt vor allem für langlebige Güter und Energie. Die Lebensmittelinflation erreichte im vergangenen Jahr ihren Höhepunkt, ist aber nach wie vor hoch. Bei den Erzeugerpreisen, von Düngemitteln bis hin zu den Agrarpreisen, ist jedoch ein deutlicher Rückgang der Inflation zu beobachten. Dies wird sich im weiteren Verlauf des Jahres in einer niedrigeren Lebensmittelinflation niederschlagen. Die Inflation der Unterkunftspreise ist positiv mit den Fed-Fund-Rates korreliert. Aber auch hier sind in einigen großen US-Städten deflationäre Signale zu erkennen. Ein früher als erwartetes Umschwenken inmitten einer sich verlangsamenden Wirtschaft könnte diesen Trend noch beschleunigen.

Banken dürften bei Kreditvergabe vorsichtiger werden

Darüber hinaus deuten die Ereignisse der letzten zwei Wochen bei den Banken darauf hin, dass sie ihre Kreditvergabestrategien neu kalibrieren müssen, indem sie ihre Risiken verringern, da die Auswirkungen höherer Zinssätze zunehmend sichtbar werden. Alle mittelgroßen Banken spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft, da auf sie etwa 50 Prozent der US-Kredite für Gewerbe und Industrie, zwischen 60 und 80 Prozent der Kredite für Wohn- und Gewerbeimmobilien und etwa 50 Prozent der Verbraucherkredite entfallen. Unternehmen und Verbraucher werden wahrscheinlich davon betroffen sein, da die Banken bei der Kreditvergabe vorsichtiger sein werden. Kurz gesagt, die aktuelle Bankenkrise könnte sich zu einem deflationären Faktor entwickeln, was unsere Ansicht stützt, dass sich der seit Juli 2022 zu beobachtende Trend beim Rückgang der Inflation 2023 fortsetzen könnte.
 
Die Aktienmärkte haben sich seit Ende September 2022 stark erholt. Im Januar kam es wegen einer starken Sektorrotation zu einer anhaltenden Rallye. Im Februar waren die Märkte dann enttäuscht von der Aussicht auf eine geringere geldpolitische Lockerung durch die Zentralbanken aufgrund einer nach wie vor viel zu starken Wirtschaft und einer Inflation, die stärker ist als erwartet. All diese Faktoren sprachen gegen ein frühes „Pivot“-Szenario und sorgten für Marktvolatilität. Noch vor wenigen Wochen, nach den enttäuschenden Verbraucherpreisdaten vom Januar und den starken Wirtschaftsdaten, wurde sogar eine Anhebung um 75 Basispunkte als wahrscheinliches Ergebnis der nächsten FOMC-Sitzung in diesem Monat genannt.

Neue Phase der Unsicherheit

Im März hat der Fallout der SVB jedoch Spekulationen über das Dilemma befeuert, in dem sich die Zentralbanken derzeit befinden, und die Wahrnehmung der Anleger völlig verändert. Kurz gesagt, die Turbulenzen bei der SVB könnten die Zentralbanken zu einer Verlangsamung des Zinserhöhungszyklus veranlassen, während die robusten Verbraucherpreisdaten eher für eine Fortsetzung sprechen. Welches Lager wird gewinnen? Sicher ist, dass es in weniger als zwei Wochen zu einer massiven Neubewertung der künftigen US-Geldpolitik gekommen ist. Der Fallout der SVB hat die Märkte dazu veranlasst, eine Zinserhöhung in diesem Monat in Frage zu stellen sowie eine Pause im Mai und eine mögliche Zinssenkung in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 zu prognostizieren. Konkret rechnete Morgan Stanley immer noch mit einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte in diesem Monat, Goldman Sachs und Barclays erwarteten keine Zinserhöhung, während Nomura bereits von einer Zinssenkung um 25 Basispunkte ausging und das Ende des Quantitative Tightening gefordert hat. Dies setzt aber voraus, dass die Fed der Finanzstabilität und nicht der Preisstabilität Vorrang einräumt. Die Situation ist nach wie vor heikel, und selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Probleme im Bankensektor nicht systemisch sind und die Inflation weiter nach unten tendiert, sind wir eindeutig in eine neue Phase der Unsicherheit eingetreten.
 
Die Geschichte lehrt uns, dass die Zentralbanken in der Regel aufhören, die Zinssätze zu erhöhen, wenn etwas nicht mehr stimmt, und wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass die Chancen für Zinserhöhungen stark zurückgegangen sind. Wir neigen jedoch zu der Annahme, dass das SVB-Ereignis nicht die letzten „Trümmer“ eines der aggressivsten Zinserhöhungszyklen der Geschichte sein werden.
Mario Montagnani kam 2011 zu Vontobel. Er ist Senior Investment Strategist und Mitglied des Investment Committee von Vontobel. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Finanzmarkt-Erfahrung mit Schwerpunkt auf der Anlageklasse Aktien. Vor seinem Antritt bei Vontobel war er in verschiedenen Funktionen als Analyst und Sektorleiter für den Konsumgütersektor bei Finanzinstituten wie Crédit Agricole, Julius Bär, Pictet und UBS tätig. Mario verfügt über einen Master-Abschluss in Finanz- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Freiburg und spricht fliessend Italienisch, Englisch, Französisch und Deutsch.