Non-Event der EZB: Löhne bleiben Inflationsrisiko

Dr. Klaus Bauknecht, IBK Deutsche Industriebank AG
EZB in Frankfurt Bild: EZB
Fazit: Die Europäische Zentralbank hat nach vorheriger Senkung des Leitzinses keine Anpassung vorgenommen. Unsicherheit besteht hinsichtlich der Inflationsdynamiken. Insbesondere die Teuerungsrate bei den Dienstleistungen fällt mit 4,1 Prozent aktuell hoch aus. Dies birgt das Risiko von Zweitrundeneffekten. Dennoch ist von zwei weiteren Zinssenkungen auszugehen. Darüber hinaus steht eine Überprüfung der geldpolitischen Strategie an, voraussichtlich ab August 2024. Hier wird vielfach ein Kurswechsel propagiert, und die EZB solle ihr Inflationsziel nach oben anpassen. Präsidentin Lagarde hat eine Diskussion der Zielinflation jedoch richtigerweise ausgeschlossen. Denn ein höher angelegtes mittelfristiges Inflationsziel löst keine Probleme. Es birgt die Gefahr, dass die Notenbank ihre Glaubwürdigkeit untergräbt und mittelfristig wäre ein Anstieg der Zinsen ebenfalls nicht zu vermeiden.
Wie erwartet, hat die EZB die Sommerpause eingeläutet und keine weitere Anpassung der Leitzinsen vorgenommen. Damit liegt der Einlagenzinssatz weiterhin bei 3,75 Prozent. Dennoch kann für das laufende Jahr von einer Normalisierung der Zinspolitik durch weitere Zinssenkungen um insgesamt 50 bp ausgegangen werden. Unsicherheiten bestehen nach wie vor hinsichtlich der Inflationsentwicklung – vor allem für 2025. Denn auch wenn sich eine Abkühlung der Inflationsdynamiken abzeichnet und die Inflation sich mit aktuell 2,5 Prozent weiter in Richtung festgelegtem EZB-Inflationsziel bewegt, ist es insbesondere das Risiko von Zweitrundeneffekten, das den Zinsausblick unsicher macht. Dabei ist es vor allem der arbeitsintensive Dienstleistungssektor, dessen Lohnentwicklung Aufwärtsrisiken für die Inflation im kommenden Jahr birgt. Die Inflationsrate für Dienstleistungen fällt mit 4,1 Prozent hoch aus.
Darüber hinaus zeichneten sich im ersten Quartal 2024 Erholungstendenzen für die Weltwirtschaft ab. Eine positive Wachstumsdynamik für den Euro-Raum stellt bei entsprechender Ausprägung somit ein weiteres Risiko für den Inflationsausblick dar, da dieses einen nachfrageinduzierten Preisanstieg auslösen könnte. Für das laufende Jahr ist allerdings nur von einem moderaten Wachstum der Wirtschaft für die Euro-Länder auszugehen.

Ab August plant die EZB eine Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie. Die Evaluierung soll gemeinsam mit 20 nationalen Zentralbanken des Euro-Raums durchgeführt werden. Die Überprüfung zielt dabei möglicherweise auf zukünftige Inflationstreiber und die Effektivität der Maßnahmen zur Steuerung der geldpolitischen Ziele in den jüngsten Krisen ab. Auch halten es einige Ökonomen für möglich und sogar sinnvoll, die geldpolitische strategische Ausrichtung generell zu hinterfragen. Dies könnte eine Diskussion des geldpolitischen Ziels der Preisstabilität der Notenbank beinhalten. Das definierte Ziel der europäischen Notenbank ist eine mittelfristige Inflation von 2 Prozent.

Die Abkühlung der Weltwirtschaft im vergangenen Jahr und die sinkenden Inflationsraten im Euro-Raum haben zuletzt den Weg für eine geldpolitische Lockerung geebnet. Die Inflation im Euro-Raum scheint sich in Richtung der 2 Prozent-Zielmarke zu bewegen. Diese sank im Jahresverlauf von 2,8 Prozent im Januar auf 2,5  Prozent im Juni.

Ein erster Schritt in Richtung geldpolitischer Normalisierung wurde durch die Senkung des Leitzinses im Juni 2024 bereits gemacht. Die leichte zyklische Erholung der Weltwirtschaft und die existierenden Aufwärtsrisiken für die Inflation stellen die EZB nun vor die Herausforderung, diesen Pfad der Normalisierung durch weitere Zinssenkungen fortzuführen. Zudem existieren nicht geldpolitisch induzierte inflationstreibende Effekte. Beispielsweise existiert das Risiko von Handelshemmnissen aufgrund einer zunehmenden Blockbildung durch die Einführung von Zöllen wie zuletzt auf Elektrofahrzeuge chinesischer Hersteller. Dies würde Preise in die Höhe treiben. Auch die Verknappung des Produktionsfaktors Arbeit durch die demografische Entwicklung und der damit einhergehende Lohnanstieg dürfte preistreibende Effekte nach sich ziehen. Selbst wenn es im Zuge der Klimapolitik zu einem Anstieg der Investitionen bei den Unternehmen kommt, ist davon auszugehen, dass diese primär transformationsorientiert und nicht kapazitätsausweitend stattfinden. In der Tat sind dies Effekte, die in der mittleren Frist den Inflationsdruck erhöhen können. Die Tatsache, dass die Inflationsentwicklung durch etwaige Effekte nach oben gerichtet sein könnte, sollte die geldpolitische Zielsetzung der Notenbank allerdings unbeeinflusst lassen. So hat Präsidentin Lagarde eine Anpassung des Inflationsziels im Rahmen der Pressekonferenz bereits ausgeschlossen. Einem höheren Inflationsdruck sollte nicht mit einer Anpassung des Inflationsziels, sondern mit einem höheren Zinsniveau begegnet werden. Dann läge der langfristige reale Gleichgewichtszinssatz deutlich über dem auf Basis der Taylor-Regel durch die EZB ermittelten Schätzwert von etwa -1 Prozent. Häufig wird argumentiert, die Akzeptanz einer höheren Inflation durch Anhebung des mittelfristigen Inflationsziels oder durch eine höhere Inflationsbandbreite seien sinnvoll, um den Weg für Zinssenkungen zu ebnen. Dies könne dann auch positiven Einfluss auf die Transformation haben. Das wäre allerdings nur ein kurzfristiger, schnell verpuffender Effekt. Mittelfristig ist eine höhere Inflation immer mit höheren Zinsen verbunden. Zudem birgt ein höheres Inflationsziel die Gefahr eines Glaubwürdigkeitsverlustes in die Handlungsbereitschaft einer Notenbank. Die Inflationserwartungen könnten deutlich zulegen.

Darüber hinaus wird immer wieder über die Wirksamkeit des Einsatzes von Quantitative Easing als geldpolitisches Instrument diskutiert, wie es beispielsweise 2014 und den darauffolgenden Jahren genutzt wurde, um die niedrige Inflation wieder dem 2 Prozent-Inflationsziel anzunähern. In Zeiten, in denen sich sowohl der Leitzins als auch die Inflation auf einem niedrigen Niveau befinden und Risiken einer Deflation bestehen, ist nur wenig Spielraum für Leitzinssenkungen gegeben. In einem solchen Szenario können Anleihenkäufe durch die EZB in großem Umfang ein sinnvolles Mittel darstellen, um der Niedriginflation entgegenzuwirken. Allerdings hat dies unter anderem einen entsprechenden Anstieg der Bilanzsumme der Zentralbank zur Folge. Die Folgekosten solcher geldpolitischen Eingriffe sind hoch. Das Quantitative Easing kann also ein entscheidendes Instrument darstellen: es sollte allerdings nicht dauerhaft als geldpolitisches Instrument genutzt werden.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen IKB-Blog. Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts- und Marktthemen.
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