1945: Die Bayerische Börse öffnet als erste deutsche Börse nach dem Krieg

Ulrich Kirstein
Bild: Das Haus für Handel und Gewerbe, in dem die Bayerische Börse 1945 wieder eröffnet wurde
Am 10. August vor 75 Jahren hat die Bayerische Börse als erste deutsche Börse wieder den Handel aufgenommen. Noch bis zum 27. April 1945, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner am 30. April, hatte die Börse während des gesamten Krieges geöffnet. Da das Gebäude für Handel und Gewerbe, heute Sitz der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, gegen Kriegsende einen Bombentreffer verzeichnete, fand der Handel zwischenzeitlich unter dem Dach eines Oktoberfestzeltes statt. Dies hatte das Börsenratsmitglied Arthur Langes, Vorstand der Löwenbräu AG, freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Die Militärregierung stimmt zu

Am 27. Juli bestätigte das Headquarter der Militärregierung für den Regierungsbezirk Oberbayern die Aufnahme der Tätigkeit unter der Bedingung, dass der Börsenrat für den Vollzug aller Vorschriften der Militärregierung und der bayerischen Regierung die Verantwortung trage. Der Börsenrat setzte sich zusammen aus Josef Bayer vom Bankhaus Seiler, den Direktoren Steudle von der Staatsbank und Kurt Schrempf von der Bayerische Hypothekenbank, sowie Dr. Otto Goettgens, Bayerische Vereinsbank und dem Makler Otto Meier. In Reichstiteln durfte jedoch ausdrücklich kein Handel stattfinden. Gezeichnet war das Dekret von William A. Brown, Lieutnant Colonel (Oberstleutnant) und Finanzoffizier. Bayern war zu diesem Zeitpunkt das einzige Land, das überhaupt über eine funktionierende Regierung verfügte, so dass eine Genehmigung stattfinden konnte. Denn auch das bayerische Staatsministerium für Wirtschaft musste der Eröffnung zusagen.

Die Wirtschaft braucht eine Börse

Wie dringend eine funktionierende Börse zur Finanzierung der darniederliegenden Wirtschaft gebraucht wurde, macht ein Blick in das Memorandum des Münchener Handelsvereins vom 19. Juni 1945 deutlich, mit dem der Verein bei der Militärbehörde um die Wiedereröffnung bat: Dort heißt es, dass „Firmen vorhanden (sind), die sich die für Lohn- und Gehaltszahlungen erforderlichen Gelder nur durch den Verkauf von Wertpapieren beschaffen können“. Allerdings gab es bei allen Kursen weiterhin den am 25.01.1943 verhängten „Preisstopp“, ab dort waren die Kurse „gedeckelt“.

Die Kurse waren noch gedeckelt

In der ersten, noch sehr schmalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom Samstag, dem 6. Oktober 1945, versehen mit der Lizenz Nr. 1 der Militärregierung, heißt es über die Börse, dass sie bis zu diesem Datum noch immer die einzige Börse in Deutschland sei, an der „amtliche Kassakurse festgesetzt werden“. In Frankfurt und Hamburg waren die Börsen ebenfalls wieder offen, gehandelt wurde aber nur im Freiverkehr, so der Artikel. Aufgrund des lebhaften Geschäftes wurden die Handelstage in München nun von zwei auf drei (Montag, Mittwoch und Freitag) erhöht. Gehandelt wurden aber nur effektive Stücke, da das Schicksal des in Berlin konzentrierten Girosammelkontos ungewiss war, in dem etwa 80 Prozent des Aktienkapitals lagen. Die Kursstoppverordnung verbot zwar Kurse, die höher waren als diejenigen vom 25.01.1943, erlaubte aber eine Korrektur nach unten. Unter anderem stark gebeutelt waren damals – ein wenig wie heute – die Autowerte Daimler und BMW.

Schmaler Kurszettel

Gegen Ende des Krieges wurden viele Aktien, effektive Stücke, vor den Alliierten nach München in Sicherheit gebracht. Das war auch ein wesentlicher Grund für die frühe Wiedereröffnung in München, das damit quasi einen „Platzvorteil“ hatte. Trotzdem war der Start mühsam. Im gesamten Gebäude am Maximliansplatz war nur ein Raum gebrauchsfähig und stand nur ein einziges Telefon zur Verfügung. Aber es gab eine kurze Eröffnungsfeier in Anwesenheit des bayerischen Wirtschaftsministers Karl Ludwig Lange, der sein Amt nur kommissarisch ausübte, weil er eigentlich Direktor der Löwenbräu AG war. Sein Nachfolger wurde im September 1945 kurzzeitig Ludwig Erhard! Ein Augenzeuge berichtet, die Feier erinnerte an ein Fest im Freien, da Wind und Wetter zum Börsensaal zutritt hatten. Am Eröffnungstag wurden 55 Aktien und 29 Rentenwerte notiert. Der Kurszettel übertraf somit kaum im Umfang den Kurszettel der ersten Börseneröffnung 1830. Der Tagesumsatz soll 200.000 Reichsmark betragen haben.

München an der Spitze

Erst am 15. September 1945, drei Monate nach der Währungsreform, wurde der tägliche Börsenverkehr wieder eingeführt. Am 1. Dezember 1948 trat eine neue Börsenordnung in Kraft. Bis 1950 wurden die Umsatzzahlen der Börsen Düsseldorf, Frankfurt und München veröffentlicht und alle vier lagen in etwa gleichauf – 1950 konnte München sogar bei den Aktienumsätzen die Spitze erobern.
 
Organisatorisch hatte es in München keine Änderungen gegeben, noch immer war der Münchener Handelsverein wie seit 1869 der Träger der Börse. In ihm waren (und sind) ausdrücklich auch Mitglieder vertreten, die am Börsenhandel nicht unmittelbar interessiert waren, und so allgemeine Interessen fördern wollten. 1945 durfte er auch die Börsengremien wieder wählen, ein Recht, das ihm die Nazis 1935 genommen hatten.