Manfred Schmid / Bild: BBAG/Killius
Rasante Kursbewegungen unabhängig von der tatsächlichen Marktlage, ein kompliziertes Geschäftsmodell, permanente Vertröstungen des Kapitalmarktes, mutmaßliche Luftbuchungen, kryptische Adhoc-Meldungen und schließlich der Totalausfall in Form per Insolvenzanmeldung – so mancher Anleger mit einem längeren Gedächtnis fühlt sich bei den Verwerfungen um Wirecard an die 2000er Jahre und den „Neuen Markt“ erinnert. Damals schafften es 50 Unternehmen in den Auswahlindex „Nemax“ und wurden von „Börsen-Gurus“ und überwiegend euphorisch gehaltenen Artikeln nach oben geschrieben. Jeder wollte dabei sein und möglichst schnell möglichst viel an der Börse verdienen. Gier ist zwar eine Sünde, aber sündigen ist menschlich. So kletterte der Nemax-Index auf fast 10.000 Punkte im März 2000.

Luftnummern und Insolvenzen

Dann war es aber auch wieder vorbei mit der kurzfristigen Blütezeit des Neuen Marktes. Nun kannte der Index vor allem eine Richtung: Süden, immer rascher und immer steiler. Anfang Oktober 2000 war der Nemax nur noch etwas mehr als 300 Punkte wert, mehr als 200 Mrd. Euro waren verpufft, am 5. Juni schloss die Deutsche Börse das vom Hätschel- zum Sorgenkind avancierte Segment. Nicht wenige Unternehmen flogen nicht nur aus dem Index, sondern gleich ganz vom Markt: Gigabell, Informatec – das durch  falsche Adhoc-Meldungen auf sich aufmerksam gemacht hatte – Heyde, Kabel New Media, Lipro, Metabox, Phenomedia, das Skandalunternehmen EM.TV oder ComRoad, das sich als reine „Luftnummer“ entpuppt hatte mit Buchungen fern der Realität (und angeblich in Asien!), all diese Gesellschaften suchen wir heute vergebens auf dem Kurszettel.

Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten

Soweit, so schlecht. Die Leidtragenden waren vor allem die vielen Privatanleger, die sich voller Hoffnung und – leider – voller Gier oft zum ersten Mal der Börse zugewandt hatten. Sie hatten leichtes Spiel und schnelles Geld vermutet. Seit damals ist der Zuspruch zu Aktien in Deutschland gesunken, wie die Zahlen des Deutschen Aktieninstituts deutlich zeigen: Gab es im Jahr 2000 noch fast 3,5 Millionen Deutsche, die direkt in Aktien investiert waren, so sank die Zahl auf inzwischen (2019) nur noch 2,5 Millionen Bürger. Auch die Gesamtzahl – also Aktionäre, die Einzeltitel, Aktienfonds oder beides halten – sank von fast 13 Millionen 2001 auf inzwischen unter 10 Millionen. Offensichtlich schütten viele Bürger das Kind mit dem Bade aus und bleiben bei der Altersvorsorge dann auf dem Trockenen.

Nicht alles war Tand

Aber eines ist auch klar: Damals war nicht alles Gold was glänzt. Aber es war auch nicht alles nur Tand. Wer schon damals genauer hingesehen hat, sich nicht von selbsternannten Gurus ins Bockshorn jagen ließ und in Unternehmen investiert hat, deren Geschäftsmodell er auch verstanden hat, dem dürfte sein Depot bis heute durchaus Freude bereiten. Denn einige Unternehmen, die einmal im Nemax 50 gelistet waren, behaupten sich heute noch an der Börse wie im internationalen Geschäft. Zu nennen wären beispielsweise Dialog Semiconductor, Drägerwerk, Funkwerk, Jenoptik, Pfeiffer Vacuum, Qiagen oder United Internet. Die meisten von ihnen sind genau das, was wir als echte Nebenwerte verstehen.

Die Moral von der Geschichte

Einfache Börsenweisheiten behalten ihre Bedeutung und man darf sich als Anleger nicht aus dem Tritt bringen lassen, auch wenn Unternehmen viel Beachtung finden und sich ihre Börsenkapitalisierung sogar bis in den Dax ausgeweitet hat. Diese Bewertung aber hängt bekanntlich weniger vom tatsächlichen Geschäftsmodell als vielmehr von der Phantasie der Anleger ab. Und die ist, der Gier ist es geschuldet, schier grenzenlos. Aber leider kollidiert Gier in den meisten Fällen mit den harten Fakten der Realität. Wer jede Aktie in seinem Depot ausreichend und permanent auf ihre Tauglichkeit überprüft und dazu keinem Einzeltitel einen zu großen Anteil im Depot zugemessen hat, dessen Schmerzen dürften sich jedoch im Rahmen halten.
Dieser Artikel ist zuerst im Nebenwerte-Journal erschienen

Im Artikel erwähnte Wertpapiere

United Internet 22,90 0,70%
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Drägerwerk Vz 49,80 0,00%
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Funkwerk AG 21,30 2,90%
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Populäre Aktien

Deutsche Börse 185,60 0,87%
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Pfeiffer Vacuum Tec 154,40 0,39%
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UC DAX 18.442,98 1,47%
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Jenoptik N 25,26 -0,08%
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