Carsten Mumm / Bild: Privatbank DONNER & REUSCHEL
Aus Sicht der Kapitalanleger wird 2022 als das Jahr der großen Zinswende in die Geschichte eingehen. Damit schafft es eine erste gute Voraussetzung für bessere Wertentwicklungen, da ein ähnlich drastischer Zinsanstieg vorerst nicht mehr zu erwarten ist. Die Notenbanken werden im ersten Quartal zumindest teilweise Leitzinserhöhungspausen einlegen, um die volle Wirkung der bisherigen geldpolitischen Straffung auf die Wirtschaftsdynamik und damit auf die Inflation abzuwarten. Bei längeren Laufzeiten werden die Renditen hingegen stärker von den Konjunktur- und Inflationserwartungen getrieben.
Nachlassender Inflationsdruck
Konjunkturell ist am Jahresanfang global mit einem schwachen Start und
in vielen Volkswirtschaften mit einer Rezession zu rechnen, wodurch der
ohnehin bereits nachlassende Inflationsdruck weiter gedämpft wird.
Selbst wenn eine Stabilisierung der Wachstumserwartungen ab dem Frühjahr
realistisch ist, sollten Preis-Basiseffekte durch den Vergleich aktuell
deutlich geringerer Rohstoffpreise mit den Höchstniveaus des Vorjahres
bei der Inflationsberechnung im gesamten Jahresverlauf für sinkende
Teuerungsraten sorgen. Trotz höherer oder wieder steigender Zinsen und
gleichzeitig sinkender Inflationsraten, ist der Realkapitalerhalt – also
der Ausgleich der Preisniveausteigerungen durch Kapitalerträge – mit
verzinslichen Anlagen bester Bonität, wie Bundesanleihen oder
Kontoguthaben, wohl nicht erreichbar. Dadurch wird die Nachfrage nach
realen Anlagen, wie Aktien oder Rohstoffen grundsätzlich unterstützt.
Weiter volatil
Mit einer zunehmenden wirtschaftlichen Dynamik ab dem zweiten Quartal
ist dann auch von Unternehmensseite wieder mit einer besseren
Gewinnentwicklung und positiveren Ausblicken zu rechnen, so dass
Aktiennotierungen weiteren Anschub erhalten dürften. Europäische Aktien
könnten zudem davon profitieren, dass Anlagekapital aus dem Ausland, das
aufgrund der schwierigen Konstellation in Europa mit einer
kriegerischen Auseinandersetzung, einer drohenden Energiemangellage und
einem sehr schwachen Euro im vergangenen Jahr massiv abgezogen wurde,
zurückkehrt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass auch 2023
erhebliche Kursschwankungen immer wieder auftreten werden. Die beiden
größten und nur schwer kalkulierbaren Risiken sind kurzfristig die
ungewisse wirtschaftliche Entwicklung in China – vor dem Hintergrund der
Aufgabe der Null-COVID-Strategie bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie
– sowie die im Zuge des Ukrainekriegs bestehenden Unsicherheiten.
Carsten Mumm ist Chefvolkswirt der Privatbank
DONNER & REUSCHEL.
Er ist verantwortlich für die Erstellung der Konjunktur- und
Kapitalmarktprognosen sowie der kapitalmarktrelevanten Publikationen.
Zuvor verantwortete er die Vermögensverwaltung für private und
institutionelle Kunden, das Management von Spezial- und Publikumsfonds
sowie die hauseigenen Research-Tätigkeiten. Der gelernte Bankkaufmann
und studierte Diplom-Volkswirt ist seit 1998 im Bereich Kapitalanlage
beschäftigt. 2006 qualifizierte er sich zum Chartered Financial
Analyst.