Tobias Knobeloch / Bild: Bolesch Analysen
Der Handel mit russischen Wertpapieren an den Börsen ist ausgesetzt. Aktionäre von Firmen wie Gazprom oder Rosneft haben aktuell keinen Zugriff auf ihre Vermögenswerte und es kann von massiven Kursverlusten bei Wideraufnahme des Handels ausgegangen werden. In Russland investierte Aktionäre müssen sich nun fragen, ob und wie sie das Länderrisiko in ihren Depots erkannt und korrekt eingeschätzt haben. Gerade für Privatanleger ist es sehr schwer, Länderrisiken einschätzen zu können, da diese nicht ohne weiteres auf professionelle und kostenpflichtige Services zurückgreifen können.
Länderrisiken können aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen entstehen. Diese Risiken gilt es im Vorfeld von Investments zu erkennen und zu bewerten. Professionelle Investoren nutzen zur Bewertung von Ländern kostenpflichtige Services wie zum Beispiel den Business Environment Risk Index (BERI Index) oder internationale Sanktionslisten von Refinitiv.
Doch es gibt auch für Privatanleger gute und kostenlose Möglichkeiten, Länderrisiken beurteilen zu können.
Allgemeines Länderrisiko
Bevor Investitionen in ausländische Volkswirtschaften getätigt werden, empfiehlt es sich, allgemeine Länderrisiken zu bewerten. Dazu gehört die Stabilität des politischen Systems und die damit verbundene Gefahr von Unruhen oder Krieg. Bei autoritär geführten Ländern ist immer von einem erhöhten Risiko auszugehen. Sanktionen oder Embargos gegen Länder haben einen starken Einfluss auf das Wirtschaftswachstum. Die Nutzung von Suchmaschinen mit Schlagwörtern wie Sanktionen oder Embargo bringen bereits erste Ergebnisse. Im Beispiel von Russland gibt es seit Jahren Sanktionen und kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Sehr hohe Inflationsraten sind ein Indikator für volkswirtschaftliche Risiken und Unsicherheiten. Um galoppierende Inflationsraten zu bremsen, sind oder werden die Notenbanken gezwungen, die Leitzinsen stark zu erhöhen. Hohe Zinsen sind Gift für Aktienmärkte. In der Türkei zum Beispiel liegt die aktuelle Inflation bei 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Die Leitzinsen liegen jenseits von 10 Prozent. Hier sollten bei jedem Aktieninvestor die Alarmglocken schrillen.
Neben den klassische Kennzahlen wie BIP-Wachstum, Inflationsrate und Verschuldung, sind aber auch relativ unbekannte Kennzahlen wie der GINI-Index und der Korruptionswahrnehmungsindex interessant. Der Gini-Index zeigt die Ungleichheit in der Einkommensverteilung nach Pro-Kopf-Einkommen in einer Volkswirtschaft. Diese Werte sind bei Statista für alle interessierten Investoren frei zugänglich. Im Land der Oligarchen und Kleptokraten zeigen diese Werte seit Jahren ein starkes volkswirtschaftliches Ungleichgewicht. Daraus lassen sich sehr hohe Risiken für den Aktienmarkt ableiten.
Länderrisiko auf Firmenebene
Bei Unternehmen in Ländern mit erhöhten allgemeinem Risiko ist es nicht selten, dass der Staat starken Einfluss auf die Geschäftsprozesse nimmt oder sogar dem Unternehmen die Geschäftsgrundlage entzieht. Diese mangelnde Rechtssicherheit durch scheinbar willkürliche Eingriffe des Staates in Unternehmen hat man in den letzten Monaten vermehrt in China gesehen. Bei offenen Klagen oder Sanktionen gegen Firmen oder Vorstände drohen erhöhte oder sogar existenzbedrohende Kosten.
Ist ein Unternehmen in Staatsbesitz, dann sind die Manager oftmals eng mit der Politik verbunden. In diesen Fällen ist es ratsam, Vorstände und Management-Mitglieder genauer anzuschauen. Personen, die in Beziehung zu Politikern oder Behörden stehen, werden als PEPs (Politisch Exponierte Personen) bezeichnet und haben in Bezug auf Geldwäsche und Korruption ein erhöhtes Risikoprofil. Eine gezielte Suche nach negativen Medienartikeln im Internet kann sehr hilfreich sein, Risiken auf Management-Ebene aufzudecken.
Fazit
Mit den beschriebenen Maßnahmen sind Privatinvestoren ohne Kosten in der Lage, grobe Risikoanalysen auf Länderbasis erstellen. Damit können Investments in Hochrisikogebieten ausgeschlossen und das Gesamtrisiko im Aktiendepot gesenkt werden. Bei bewussten Investments in Aktien aus risikoreichen Ländern ist es ratsam, ein Limit pro Land zu setzen. Je höher das Länderrisiko ist, je niedriger sollte das Limit für Investments sein.
Tobias Knobeloch ist Gründer und Chefanalyst von
Bolesch Analysen, der Schweizer Plattform für professionelle Aktienanalysen. Er hat mehr als 23 Jahre Erfahrung als Analyst im Wertpapierbereich in Frankfurt am Main und Zürich. Bolesch Analysen bietet professionelles Aktienresearch für Privatkunden auf Basis des Value Investing. Mit den Analysen erhalten deutschsprachige Investoren einen Informationsvorsprung und profitieren von Zeitersparnis bei der Unternehmens-Recherche.