Italien als Hidden Champion

Francesco De Astis, Eurizon
Francesco De Astis / Bild: Eurizon
Weitgehend unbemerkt vollzieht Italiens Aktienmarkt zurzeit einen Wandel vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan, oder besser gesagt zu einem Hidden Champion im internationalen Vergleich. Dieser Wandel ist in erster Linie Ministerpräsident Mario Draghi zu verdanken, der dringend benötigte Strukturreformen eingeleitet hat, die dazu beitragen könnten, die in letzter Zeit schleppende und stagnierende italienische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Ein erstes Anzeichen ist, dass die EU-Kommission kürzlich ihre Wachstumsprognose für Italien für 2021 von 4,2 Prozent auf 5,0 Prozent angehoben hat.

Große Kluft zwischen Italien und anderen EWU-Ländern

Der Amtsantritt von Mario Draghi ist ein Schlüsselfaktor für die Gestaltung der Zukunft des Landes: Für Italien ist es eine Chance, Glaubwürdigkeit und Stabilität zu demonstrieren und damit eine größere und dauerhafte Sichtbarkeit im internationalen Umfeld zu erlangen. Seit 1982 hat sich das strukturelle Wirtschaftswachstum nach jedem wirtschaftlichen Rückschlag verlangsamt und nie wieder vollständig erholt. Darüber hinaus hat die wirtschaftliche Divergenz innerhalb der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) seit der globalen Finanzkrise von 2008 zugenommen, wobei die kumulierte Kluft zwischen Italien und den anderen EWU-Ländern inzwischen sehr groß ist.

Draghis Regierungsreformen

Um dem entgegenzuwirken, bereitet Italiens Ministerpräsident Mario Draghi zurzeit Regierungsreformen vor, die nicht zuletzt erforderlich sind, um die im Rahmen des 200 Milliarden Euro schweren "NextGenerationEU"-Konjunkturprogramms zugesprochenen Konjunkturmittel zu erhalten. Dazu gehören eine Anti-Korruptionskampagne und eine Straffung des öffentlichen Auftragswesens, eine Steuerreform, Regeln für ausländische Investitionen, mehr Cybersicherheit sowie Rationalisierungsmaßnahmen für den italienischen Bankensektor.
 
Am italienischen Aktienmarkt hat dies bereits zu Reaktionen geführt. Diejenigen, die den italienischen Aktienmarkt aufmerksam verfolgen, stellen fest, dass der Markt von Tag zu Tag an Schwung und Glaubwürdigkeit gewinnt; eine Glaubwürdigkeit, die von den inländischen Anlegern unmittelbar nach dem Amtsantritt der neuen Regierung, in letzter Zeit aber auch von ausländischen Anlegern wahrgenommen wird. In etlichen Analysen wird der italienische Aktienmarkt inzwischen als Favorit unter den großen europäischen Märkten angesehen.

Vielversprechende Sektoren

Ein weiteres starkes Signal sind die zahlreichen Börsengänge – 15 seit Anfang des Jahres – sowie die jüngste Konzentration der Aktienrückkäufe. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Unternehmer wieder in Italien investieren, in die italienische Realwirtschaft, die strukturelles und langfristiges Wachstum verspricht.
 
Neben dem Bankensektor, der sich in den letzten Monaten bereits deutlich erholt hat, halten wir all jene Sektoren für besonders vielversprechend, die den wichtigsten Trends der kommenden Jahre entsprechen und auf die sich auch die Aufmerksamkeit bei der Investition der Mittel des Next Generation Fund richten wird. Dazu zählt beispielsweise der Sektor der Kreislaufwirtschaft, der in den Portfolios institutioneller Anleger, die sich zunehmend auf ESG-Themen konzentrieren, eine immer wichtigere Rolle spielen dürfte. Wir favorisieren auch den New-Tech-Sektor mit seinen Untersektoren, die von Cloud Computing, 5G, Internet der Dinge, Big Data bis hin zu Cybersicherheit reichen – Sektoren und Unternehmen, die von dieser Phase des Übergangs von offline zu online, von der Notwendigkeit, aus der Ferne zu operieren, von größerer IT-Sicherheit, aber ganz allgemein vom Prozess der Digitalisierung von Unternehmen profitieren.
 
Nicht zuletzt könnte es sich lohnen, den Small/Mid Caps besondere Aufmerksamkeit zu schenken: Dies ist eine Anlageklasse, die eng mit der strukturellen Erholung des italienischen Aktienmarktes verbunden ist. Außerdem ist dies die Anlageklasse, die in den letzten Monaten die beste Performance gezeigt hat und in der es noch immer Chancen gibt.
Francesco De Astis ist seit seinem Eintritt in die Intesa Sanpaolo Gruppe im Jahr 2001 Leiter des italienischen Aktienbereichs bei Eurizon. Mit einem Master in Finanzanalyse von der L.U.I.S.S. School of Management in Rom trat er 1989 in den Finanzbereich ein und verfügt über rund 30 Jahre Erfahrung im Bereich der Vermögensverwaltung.