Schwarmintelligenz - weshalb es besser ist, gegen den Strom zu schwimmen

Svenja Fleig, DHBW Ravensburg
Bild: BBAG/LK
Seit ein britischer Naturforscher das Gewicht eines zerlegten Bullens schätzen ließ, scheint die Theorie einer Schwarmintelligenz Hoffnungsträger für die krisengebeutelte Finanzwelt zu sein. Vernetzen, kommunizieren, profitieren: Social Trading soll zum Erfolgsrezept werden, wo das Vertrauen in Berater und Bankprodukte geschwächt ist. Zwischen Bulle und Bär kommen allerdings Zweifel an der kollektiven Utopie auf – der Grat zwischen Weisheit und Verfehlung der Massen scheint schmal.

Schon Aristoteles berief sich auf Schwarmintelligenz

Die Idee der Schwarmintelligenz indes ist nicht neu. Bereits Aristoteles berief sich darauf, dass die Summe individueller Fähigkeiten eine übergeordnete, kollektive Weisheit ergebe. Die Tierwelt macht’s vor: Ob Ameisen oder Bienen, die Insekten bringen erst im Schwarm zustande, was seinesgleichen sucht. So bilden beispielsweise Ameisen mit ihren Körpern Schwimmkörper oder ganze Brücken. Da scheint es naheliegend, dieses Schwarmverhalten auch auf die Menschen zu übertragen. Für Aufsehen hatte das Experiment des Naturforschers Francis Galton im Jahr 1906 gesorgt. Er hatte Besucher auf einer Nutztierschau das Gewicht eines geschlachteten Bullens erraten lassen. Aus den insgesamt 787 Schätzungen hatte Galton dann den Mittelwert gebildet. Dieser war erstaunlich nahe an das tatsächliche Gewicht herangekommen, während die Einzelschätzungen teilweise weit abgewichen waren. 
Imposanter Bulle: Aber wer wollte sein Gewicht richtig schätzen?

Social Trading gewinnt nach der Finanzkrise an Beliebtheit

Der Versuch ist vor allem nach der Finanzkrise 2008 /2009 wieder verstärkt ins öffentliche Interesse gerückt. Anleger vertrauen mehr auf die Intelligenz vieler Investoren als auf einzelne Berater und Banken. Unter dem Begriff „Social Trading“ werden viele Foren und interaktive Fonds angeboten. Nach einer anfänglichen Euphorie mussten allerdings einige Fonds, darunter der „Intelligent Recommendations Global Growth Fund“ von Axxion, wieder geschlossen werden. Der Grund: Die Fonds waren weit unter der Marktentwicklung geblieben.

Der Vertrauenseffekt killt Schwarmintelligenz

Ein Experiment der ETH Zürich zeigt, weshalb Schwarmintelligenz unter den realen Bedingungen an Börsen nicht funktionieren kann. Die Forschungsgruppe hatte beobachtet, dass Schätzungen insgesamt weniger genau waren, je mehr einzelne Teilnehmer über die Angaben anderer wussten. Die Diversität der abgegebenen Schätzungen sank, das verhinderte aber nicht einen kollektiven Fehler. Gleichzeitig waren die einzelnen Teilnehmer (fälschlich) überzeugter, richtig zu liegen. Dieser sogenannte „Vertrauenseffekt“ macht Schwarmintelligenz zunichte. Dirk Helbing, Mitglied der Forschungsgruppe, sagte dazu dem „Spiegel“: „Wenn alle anderen das Gleiche machen wie man selbst, glaubt man, auf dem richtigen Dampfer zu sein.“ Helbing sieht Parallelen zur Zeit vor den Finanz- und Bankenkrisen von 2008/2009. Das mehr oder weniger blinde Vertrauen in die Überzeugung einer Mehrheit hat in der Vergangenheit immer wieder dazu geführt, dass sich Börsenblasen bilden konnten.

Der Grat zwischen Intelligenz und Dummheit ist schmal

Grundvoraussetzung für das Zustandekommen einer Schwarmintelligenz ist den Forschern zufolge also, dass die Individuen möglichst unabhängig voneinander handeln. Dies widerspricht allerdings dem Kommunikations- und Vernetzungsgedanken des „Social Trading“. Gleichzeitig entspreche die menschliche Natur weniger dem Schwarmverhalten, sie folge vielmehr dem Herdentrieb, gibt Helbing zu bedenken. Und hier ist der Grat zwischen Intelligenz und Dummheit der Masse schmal.

Können auf Dauer alle gewinnen?

Gerade an Börsen kann es außerdem sinnvoll sein, der großen Mehrheit einen Schritt voraus zu sein. Denn wenn zu viele Anleger auf einen Trend einsteigen, besteht die Gefahr der Blasenbildung (siehe Dienstmädchen-Hausse). Dann kann es durchaus lohnenswert sein, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen und rechtzeitig zu verkaufen.
 
Studentische Profis
Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) im idyllischen Ravensburg bietet mit einem voll ausgestatteten Fernseh- und Hörfunkstudio optimale Möglichkeiten, um praxisnah und berufsbegleitend zu studieren. Im Wintersemester 2017/2018 besuchten die Studentinnen und Studenten im Studiengang »Medien- und Kommunikationswirtschaft/Unternehmenskommunikation und Journalismus« den Kursus »Investor Relations/Börsen-Kommunikation«. Kursleiter Ulrich Kirstein, Pressesprecher und Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Börse München, gab den Kursteilnehmern die Aufgabe, sich Gedanken zum Thema "Schwarmintelligenz - Schwarmdummheit" zu machen. Dabei kamen höchst unterschiedliche Beiträge, die mal mehr, mal weniger mit dem Börsengeschehen zu tun haben, zusammen - Vorgaben gab es nicht.
Die Studentinnen und Studenten sind, wenn sie nicht in Ravensburg studieren, bei Unternehmen, Pressebüros oder Verlagen tätig. Die Artikel, die mal optimistischer, mal pessimistischer gehalten sind, werden in unregelmäßigen Abständen in den nächsten Wochen auf Südseiten veröffentlicht.