Weiche Landungen, harte Realitäten

Julian Howard, GAM Investments
Julian Howard / Bild: GAM Investments
Wir erläutern unsere neuesten Multi-Asset-Einschätzungen und gehen der Frage nach, inwiefern die erhöhte Marktvolatilität, die Zinsspekulationen und die geopolitische Unsicherheit die günstigen Bedingungen in der größten Volkswirtschaft der Welt ungenügend widerspiegeln.

Rückblick

Der MSCI AC World Index legte im dritten Quartal des Jahres in lokaler Währung um 5,0 Prozent zu. Oberflächlich betrachtet war dies ein starkes Ergebnis, das nicht weit von der langfristigen annualisierten Rendite entfernt lag, die Anleger im Laufe der Jahrzehnte von Aktien zu erwarten gewohnt sind. Es verdeckte jedoch eine Episode erhöhter Volatilität von Ende Juli bis Anfang August, die auf drei Ursachen zurückzuführen war.
 
Der erste Grund war eine unerwartete Auflösung der technischen Positionierung im Zusammenhang mit dem Japan-Carry-Trade, bei dem Markttteilnehmer Kredite in niedrig verzinslichen Japanischen Yen aufnahmen, um Positionen in höher verzinslichen Währungen zu finanzieren. Die Bank of Japan (BoJ) betonte wohl zu sehr ihren Wunsch nach einer Normalisierung der Zinspolitik, was zu einer raschen Umkehr der Positionierung führte, mit der Folge, dass die Marktteilnehmer eine schlagartige Aufwertung des Yen befürchteten.
 
Zweitens gab es Befürchtungen hinsichtlich der Überlebensfähigkeit der Revolution im Zusammenhang mit der Künstlichen Intelligenz (KI). Während die kurzfristige Rentabilität der so genannten KI-"Superscaler" (welche die entsprechende Software und Hardware bereitstellen) vermutlich nicht in Frage stand, wurden erste Bedenken hinsichtlich der langsamen Einführung von KI in amerikanischen Unternehmen sowie möglicher Engpässe bei der enormen Energieversorgung bei Datenservern geäußert.
 
Drittens, gab es das Schreckgespenst einer möglichen Abschwächung der US-Wirtschaft, da die Verbraucher begannen, sich bei ihren Kaufgewohnheiten zurückhaltender zu verhalten. Dies alles reichte aus, um den S&P 500 Index zwischen dem 16. Juli und dem 5. August um 8,8 Prozent einbrechen zu lassen, was nahezu einer vollständigen Korrektur gleichkam.

Die Aktienmärkte erholten sich jedoch, möglicherweise beruhigt durch die außerordentliche Erklärung der BoJ, dass sie die Zinssätze nicht anheben werde, um die Märkte nicht zu verunsichern. Doch auch die Bekanntgabe der hervorragenden Ergebnisse von Nvidia trug dazu bei, ebenso wie günstigere Wirtschaftsdaten und eine Abkühlung der Inflation in den USA sowie die zunehmende Erwartung einer Zinssenkung um 50 Basispunkte, die von der US-Notenbank im Anschluss an die geldpolitische Sitzung Mitte September ordnungsgemäß vermeldet wurde. Ende des Quartals kündigte China ein umfangreiches Konjunkturpaket an, das den angeschlagenen chinesischen Aktienmärkten - und dem MSCI Emerging Markets Index im weiteren Sinne - Auftrieb verlieh, in der Hoffnung, dass die Wirtschaft endlich wieder in Schwung kommen würde. In Europa führte die ausgesprochen realistische Perspektive einer Stagnation zur Veröffentlichung eines zukunftsträchtigen Berichts des obersten Technokraten der Eurozone, Mario Draghi, der eine Reihe von Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Wachstum der Wirtschaft in einer zunehmend unsicheren Welt vorschlug. In der Zwischenzeit hielt die politische und geopolitische Unsicherheit weiter an. Nicht weniger als zwei Attentatsversuche auf den ehemaligen Präsidenten Donald Trump unterstrichen die Dramatik und die Spaltung, die diesen äußerst angespannten US-Wahlkampf kennzeichnen. Zudem führte der Krieg in der Ukraine zu einem bedeutenden Vorstoß auf russisches Territorium, während die Ukraine anderswo langsam aber sicher Gebiete verlor. Im Nahen Osten schien ein offener Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon so gut wie unvermeidlich. Inmitten all dieser Entwicklungen dominierten die US-Aktien die meisten anderen Regionen - wieder einmal.

Die Schwellenländer beginnen aufzuholen, aber die letzten zwölf Monate gehören den USA:

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für die künftige Wertentwicklung und aktuelle oder künftige Trends.
Quelle: MSCI, Bloomberg, Policyuncertainty.com.
Die Ansichten sind die des Managers und können sich ändern. Nur für illustrative Zwecke. Die Indizes können nicht direkt gekauft und investiert werden. Eine ausführliche Erläuterung der Indizes finden Sie im Anhang.

Positionierung

Wir haben unsere Anlagemeinung im dritten Quartal nicht wesentlich geändert und waren weiterhin bestrebt, von den überdurchschnittlichen realen Renditen zu profitieren, die Aktien im Laufe der Zeit bieten können. Die zwischenzeitliche Volatilität wird durch eine vernünftige diversifizierende Allokation entsprechend den Risiko-/Ertragszielen der einzelnen Strategien ausgeglichen. Wir blieben weitgehend in Aktien investiert, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf US-Aktien lag. Dies ist auf die relative Stärke der US-Wirtschaft sowie auf den wiederholt nachgewiesenen Vorteil der US-Märkte bei Eigenkapitalrendite, Innovation und Managementqualität zurückzuführen. Da wir per definitionem nicht alle Regionen bevorzugen können, wird unsere Vorliebe für die USA durch eine neutralere Einschätzung der Schwellenländer (EM) und Japans sowie eine vorsichtigere Haltung gegenüber Europa und dem Vereinigten Königreich ausgeglichen. Während die Schwellenländer, einschließlich China, strukturell eine überzeugende Geschichte bieten - und nunmehr auch ein bedeutendes Konjunkturpaket -, steht das Land vor besonders akuten Herausforderungen, die unserer Meinung nach einen tiefgreifenden Richtungswechsel seitens der Behörden erfordern. China bietet daher sowohl Aufwärts- als auch anhaltende Abwärtsrisiken, weshalb wir sowohl diesem Markt als auch dem breiteren EM-Index, in dem er einen beträchtlichen Teil ausmacht, mit Vorsicht begegnen.

Für Europa und das Vereinigte Königreich stellt die Wiederherstellung des mittel- bis langfristigen Wachstums eine ähnlich bedeutsame Aufgabe dar, die einen gewissen politischen Konsens erfordert, der in den letzten Jahren deutlich gefehlt hat. Abseits von Aktien stützt sich unser Kapitalerhaltungsansatz in erster Linie auf die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere. Zu unseren bevorzugten Instrumenten gehören kurzfristige Anleihen und Geldmarktinstrumente. Diese bieten nach wie vor hervorragende risikobereinigte Renditeeigenschaften, da die Zentralbanken in den USA, der Eurozone und dem Vereinigten Königreich gerade erst mit der Lockerung der Geldpolitik begonnen haben. Auch traditionelle Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten sind aus unserer Sicht attraktiv, um das Portfolio vor einem Einbruch zu schützen. Neben diesen festverzinslichen Kernbereichen halten wir auch ausgewählte alternative Anlagen für attraktiv. Hier sind zwei Bereiche von Interesse: Long/Short Merger Arbitrage kann potenziell stetige, moderate Renditen aus dem Flow bei Unternehmensfusionen und -übernahmen erwirtschaften, während Makroinvestitionen darauf abzielen, von bedeutenden Zins- und Währungsbewegungen zu profitieren.

Ausblick

Für viele Kommentatoren scheint heute nur noch die Frage von Bedeutung zu sein, ob die USA die gepriesene weiche Landung schaffen können, das heißt ein Rückgang der Inflation auf ein normales Niveau, ohne dass die Wirtschaft in eine Rezession gerät. Unserer Meinung nach ist dies durchaus möglich. Selbst wenn sich die Gesamtinflation in den USA um die derzeitige Rate von 2,5 Prozent stabilisiert, dürfte die Wirtschaft weiterhin florieren. Die Beschäftigungslage, die aufgrund ihrer engen Verbindung zum Verbraucherverhalten in der Regel das Epizentrum jeder Rezessionsbehauptung darstellt, vermittelt einen positiven Eindruck. Die Arbeitslosigkeit ist mit 4,2 Prozent im historischen Vergleich nach wie vor relativ niedrig, die Erwerbsbeteiligung steigt und die Zahl der offenen Stellen ist nach wie vor gut, was alles auf einen wachsenden Arbeitsmarkt hindeutet.
 
Die Verbraucher sind vielleicht etwas vorsichtiger, aber die Einzelhandelsumsätze bleiben stabil, und die Stimmung hat sich laut der angesehenen Michigan-Umfrage seit mehr als zwei Jahren verbessert. All dies führt zu der Frage, wie sich niedrigere Zinssätze auf die US-Wirtschaft auswirken werden, wenn überhaupt? Interessanterweise sind viele US-Hypothekennehmer langfristige Zinsbindungen eingegangen, bevor die Zinsen im Jahr 2022 tatsächlich stiegen. Und die Wirtschaft selbst scheint strukturell weniger stark von den Launen der Zinspolitik abhängig zu sein als früher - das verarbeitende Gewerbe und der Wohnungsbau sind beispielsweise kleinere Sektoren als noch vor zwanzig Jahren. Zudem sind kapitalintensive Technologieunternehmen, die einen immer größeren Anteil an der Unternehmenslandschaft ausmachen, weniger kapitalintensiv als ihre Vorgänger. Wenn überhaupt, besteht bei einer Zinssenkung in einer ohnehin schon ordentlichen Wirtschaft die Gefahr eines unerwünschten Inflationsschubs, da die Nachfrage möglicherweise noch weiter ansteigt. Und niedrigere Zinssätze werden letztendlich niedrigere Renditen für die Inhaber der gewaltigen 6,3 Billionen USD bedeuten, die nach Schätzungen des Investment Company Institute derzeit auf US-Geldmarktkonten geparkt sind. Diese Risiken scheinen jedoch die grundsätzlich gesunde US-Wirtschaft nicht zu bedrohen.

Außerhalb der USA ist es generell schwieriger, sich auf einen positiven Ausgang zu verlassen. Wir werden die Fortschritte des chinesischen Konjunkturpakets mit Interesse verfolgen, stellen aber fest, dass die chinesische Wirtschaft weiterhin von unbeabsichtigten Exzessen heimgesucht werden wird, wenn das staatlich gelenkte Unternehmertum und die Wirtschaftsführung nicht gemäßigt werden. Was Europa und das Vereinigte Königreich betrifft, so wurden die Herausforderungen erkannt, aber ihre Bewältigung erfordert ein gewisses Maß an Einigkeit und langfristiger Planung, die beide Länder bisher vermissen lassen. In Japan dürfte es weiterhin schwierig sein, die Notwendigkeit einer geldpolitischen Normalisierung, also höherer Zinssätze, mit seinem mächtigen Exportsektor und der Abhängigkeit des Aktienmarktes von einer schwachen Währung in Einklang zu bringen. Vorhersagen über politische und geopolitische Volatilität sind naturgemäß schwierig. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten werden sich wahrscheinlich weiter hinziehen, vor allem wenn sich die Stellvertreter auf beiden Seiten stärker verstricken. Aber die Anleger können sich zumindest damit trösten, dass die US-Wahlen bald vorbei sind, womit schon ein Element der Ungewissheit von der Bildfläche verschwindet. Dem Wahlkampf wohnt eine tiefe Ironie inne, da sich die Wirtschaftspolitiken beider Parteien trotz aller Rohheit in Bezug auf das Haushaltsdefizit und den Protektionismus nicht wesentlich unterscheiden. So oder so, ein letztes Quartal steht noch aus, doch 2024 wird gewiss ein weiteres amerikanisches Jahr.

Sind Zinssenkungen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt notwendig?

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für die künftige Wertentwicklung und aktuelle oder künftige Trends.
Quelle: Bloomberg
Julian Howard ist Lead Investment Director für Multi-Asset Class Solutions (MACS) bei GAM Investments, ein unabhängiger, in der Schweiz börsenkotierter Asset Manager. Die verwalteten Vermögen beliefen sich per 30. September 2023 auf insgesamt CHF 64.9 Milliarden, wovon CHF 20.2 Milliarden auf das Investment Management und CHF 44.7 Milliarden auf das Fund Management Services entfallen. Der Hauptsitz von GAM Investments befindet sich in Zürich. GAM Investments wurde 1983 gegründet und hat seinen Sitz an der Hardstrasse 201 in Zürich, 8037 Schweiz.
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Dieses Material enthält zukunftsgerichtete Aussagen in Bezug auf die Ziele, Möglichkeiten und die zukünftige Performance des US-Marktes im Allgemeinen. Zukunftsgerichtete Aussagen können durch die Verwendung von Worten wie "glauben", "erwarten", "antizipieren", "sollten", "geplant", "geschätzt", "potenziell" und anderen ähnlichen Begriffen gekennzeichnet sein. Beispiele für zukunftsgerichtete Aussagen sind u.a. Schätzungen in Bezug auf die Finanzlage, die Betriebsergebnisse und den Erfolg oder Misserfolg einer bestimmten Anlagestrategie. Sie unterliegen verschiedenen Faktoren, einschließlich, aber nicht beschränkt auf allgemeine und lokale wirtschaftliche Bedingungen, Veränderungen des Wettbewerbs innerhalb bestimmter Branchen und Märkte, Änderungen der Zinssätze, Änderungen in der Gesetzgebung oder Regulierung sowie andere wirtschaftliche, wettbewerbsbezogene, staatliche, regulatorische und technologische Faktoren, die sich auf die Geschäftstätigkeit eines Portfolios auswirken und dazu führen können, dass die tatsächlichen Ergebnisse erheblich von den prognostizierten Ergebnissen abweichen. Solche Aussagen sind zukunftsorientiert und beinhalten eine Reihe von bekannten und unbekannten Risiken, Ungewissheiten und anderen Faktoren, und dementsprechend können die tatsächlichen Ergebnisse erheblich von denen abweichen, die in solchen zukunftsorientierten Aussagen widergespiegelt oder in Erwägung gezogen werden. Potenzielle Anleger werden darauf hingewiesen, dass sie sich nicht auf zukunftsgerichtete Aussagen oder Beispiele verlassen sollten. Weder GAM noch eine seiner Tochtergesellschaften oder Direktoren noch eine andere natürliche oder juristische Person übernimmt eine Verpflichtung, zukunftsgerichtete Aussagen aufgrund neuer Informationen, späterer Ereignisse oder anderer Umstände zu aktualisieren. Alle hierin gemachten Aussagen beziehen sich nur auf das Datum, an dem sie gemacht wurden.

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