Alexis Bienvenu / Bild: LFDE - La Financière de l’Echiquier
Der 14 Marken umfassende Gigant
Stellantis hat seit Jahresbeginn 40 Prozent an der Börse verloren, gefolgt von
BMW (- 19 Prozent) und
Volkswagen (- 12 Prozent) - Stand 3.10.24. Leider sind das keine Einzelfälle. Der gesamte europäische Automobilsektor ist um 8 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum legte der breit angelegte Index MSCI Europe um 10 Prozent zu.
Es gibt einige Probleme in der europäischen Automobilindustrie. Zunächst einmal sind die Verkaufszahlen reiner Elektrofahrzeuge enttäuschend. Statt zu steigen, gehen sie sogar zurück. Laut der Vereinigung europäischer Automobilhersteller (ACEA) sind die Neuzulassungen dieses Fahrzeugtyps in Europa bis Ende August gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent zurückgegangen. Zu diesem Zeitpunkt machten die Verkäufe vollelektrischer Autos nämlich lediglich 14,4 Prozent der gesamten Verkäufe des Jahres aus – ein deutlicher Rückgang gegenüber den 21 Prozent, die im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres verzeichnet worden waren. Der Anteil, der nicht aufladbaren Hybridfahrzeuge ist zwar gestiegen, doch ihr CO2-Fußabdruck ist deutlich größer. Sie stehen daher nicht für die Zukunft des Automobils. Fest steht somit, dass die Verbraucher sich zurzeit noch gegen den Übergang zur reinen Elektromobilität sträuben. Es gibt zahlreiche Gründe die, die Elektrifizierung strukturell ausbremsen. Sie sind technischer (Abnutzung der Batterien, Reparierbarkeit), finanzieller (Wertverlust auf dem Gebrauchtwagenmarkt, geringe steuerliche Anreize) oder auch praktischer Art (Möglichkeiten des Aufladens).
An zweiter Stelle sind die zahlreichen Schwierigkeiten zu nennen, mit denen die Automobilhersteller konfrontiert wurden, wobei es sich jeweils um Sonderfälle handelt. So hatte beispielsweise
Stellantis Probleme beim Umgang mit überschüssigen Lagerbeständen in den USA, während
BMW 1,5 Millionen Fahrzeuge aufgrund von Bremsproblemen zurückrufen musste. Dies belastet die Margen bis Ende 2024. Probleme dieser Art sind nicht unbedingt dramatisch, wenn sie eine Seltenheit bleiben. Sie können allerdings durchaus Fragen im Hinblick auf die Qualität der Unternehmensführung aufwerfen.
An dritter Stelle stehen die hohen Anforderungen der für 2025 festgelegten europäischen Normen für CO2-Emissionen, von dem auf 2035 festgelegten Zeithorizont für reine Elektromobilität ganz zu schweigen. Dies löst Panik bei bestimmten Herstellern aus und führt sogar zu erbitterten Zweikämpfen. So hat etwa die ACEA unter dem Vorsitz des CEO von
Renault dafür plädiert, das Inkrafttreten dieser Normen ausnahmsweise aufzuschieben, mit der Begründung, dass sie kurzfristig nicht umsetzbar seien. Daraufhin bezeichnete Carlos Tavares, der Chef von Stellantis, diesen Appell umgehend als „surreal“. Wie können Unternehmen in diesem Umfeld mangelnder Transparenz glaubwürdige Produktionspläne aufstellen? Wie können Verbraucher angesichts der Ungewissheit in Bezug auf die Anwendung der Normen und dementsprechend in Bezug auf den künftigen Wert ihres Fahrzeugs in Kauflaune kommen?
Zu guter Letzt leidet der Sektor auch unter den Bemühungen der chinesischen Regierung, das Wachstum im eigenen Land anzukurbeln und seine industrielle Vormachtstellung weltweit zu behaupten. Mit einer flauen Binnenkonjunktur und einer Produktion von Elektrofahrzeugen, die sich kommerzieller Erfolge erfreut, erfüllt die chinesische Industriemaschinerie alle Voraussetzungen, um Marktanteile in Europa zu gewinnen – zulasten der lokalen Autobauer. Europa schlägt seit Kurzem zurück: Es ist möglich, Zölle in Höhe von bis zu 45 Prozent auf Importe bestimmter Hersteller zu erheben, bei denen man von einer übermäßigen staatlichen Subventionierung ausgehen kann. Obwohl in erster Linie China im Visier steht, dürfte
Tesla nicht verschont bleiben. Somit organisiert sich die Verteidigung, aber wie Deutschland warnt, spielt sie ein riskantes Spiel. Denn Peking könnte mit dem Erheben von Zöllen auf europäische Güter reagieren und so das Tauziehen letztlich für sich entscheiden.
Angesichts dieses intensiven Wettbewerbs in der Welt der globalen Automobilindustrie ist die Zukunft des Sektors in Europa ungewiss. Die gute Nachricht ist, dass mittlerweile klar umrissen ist, was auf dem Spiel steht. Das ist der erste Schritt in Richtung einer unvermeidlichen Neuorientierung, die dem Sektor schon mehrfach gelungen ist. Es gibt somit allen Grund zu der Annahme, dass ihm das auch diesmal wieder gelingen wird. Dann könnte er vom Markt belohnt werden. Der erforderliche Sprung nach vorn lässt sich allerdings nicht im Leerlauf bewerkstelligen.
Alexis Bienvenu ist Fondsmanager bei
La Financière de l’Echiquier
(LFDE). La Financière de l’Echiquier (LFDE) wurde 1991 gegründet, im
Juli 2023 von LBP AM übernommen und ist eine der bedeutendsten und
dynamischsten Fondsgesellschaften Frankreichs. LFDE verwaltet ein
Vermögen von 12,2 Milliarden Euro (per 30.11.2023) und beschäftigt in
ihren Niederlassungen in Deutschland, Österreich, Spanien, Italien, der
Schweiz und den Benelux-Ländern über 140 Mitarbeiter.