Die Chance in der Krise

Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Der Dax klettert von einem Allzeithoch zum nächsten, soweit das Positive der Woche. Mit der deutschen Wirtschaft sieht es irgendwie andersherum aus, sie schrumpft auch in diesem Jahr, so zumindest die gemeinsame Prognose der fünf Wirtschaftsforschungsinstitute. „Wirtschaftsforscher senken den Daumen“, schreibt Der Spiegel, „Deutsche Wirtschaft in Herbst-Tristesse“, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Wirtschaft kommt nicht vom Fleck“, die Abendzeitung und Die Welt fasst zusammen: „Triste Wirtschaft, strahlender Dax“. Wobei es sich bei der Prognose der Institute nur um eine Schätzung handelt, und die irrt gerne, wir kennen das von der Bahn: Der Zug kommt oft noch später als im Fahrplan geschätzt. Ein anderer Kampf geht wohl in die nächste Runde: Die Unicredit hat sich mit unbeabsichtigter Hilfe der Finanzagentur an die Commerzbank herangeschlichen, doch immerhin redet man jetzt miteinander: „Treffen auf Spitzenebene: Commerzbank spricht mit Unicredit“, meldet die Börsen-Zeitung und das Handelsblatt zitiert Hessens Ministerpräsident Boris Rhein zum Verkauf der Aktien über den Bund: „Wir dürfen einen Ausverkauf unserer Flaggschiffe nicht zulassen“.

Zweite Chance

Schlecht laufende Wirtschaft, gut laufende Kurse, was sagen die aktuellen Ausgaben der Finanzmagazine zu dieser zwiespältigen Ausgangslage? Kaufen, so könnte man es am besten auf einen Nenner bringen: „Mit Dividenden zum zweiten Einkommen“, verspricht Focus Money, nämlich „500 Euro Zusatzverdienst im Monat“. Der Haken: „bei 100.000 Euro Einsatz“. Da müssen wir wohl noch am Ersteinkommen feilen. Börse Online macht mit der Headline „Historische Kaufchance“ auf, weil „Zinsen sinken, Kurse steigen“. Dabei rennt ein Bulle gegen ein überdimensionales Prozentzeichen an, wie das auf Feld und Wiesn eben so passiert. Mit einem Einkaufswagen auf dem Titel verspricht Der Aktionär „Das große E-Commerce Comeback“. Dabei kauft man doch auf dem Sofa via Internet und schiebt eben gerade keinen Wagen durch enge Gänge. Aber das Geschäft läuft und das vierte Quartal ist traditionell das umsatzstärkste. Und apropos Kaufen: Auch Euro am Sonntag stößt in dieses Horn oder gibt passend zum Titel Gas: „Bis zu 100% mit Auto-Aktien – Warum die Krise eine Kaufchance ist“. Es sei zu früh für einen Abgesang auf die deutsche Automobilindustrie – wir wollen es gerne glauben und negieren eine weitere Überschritt auf der Titelseite: „Achtung, Crash!“.

Prickelnd

Eines der wichtigsten Ereignisse in München, wenn nicht das bedeutendste schlechthin, ist zweifellos die jährlich stattfindende Wiesn. Sie beherrscht das Stadtbild durch überproportional viele Trachtenträger (oder was man und frau so dafür hält, siehe auch unseren Beitrag „Von Kopf bis Haferlschuh“) und selbstverständlich die Headlines nicht nur des Boulevards. Von den Bier- und Hendlpreisen bis zu neuen Fahrgeschäften, dem Auftritt von Promis oder dem Trachtenverbot in manchen Kneipen außerhalb der Theresienwiese bietet das Oktoberfest eine Fülle an Schlagzeilen. Derzeit dominiert der „Champagner-Streit der Wirte“, so die Süddeutsche Zeitung oder „Schampus-Streit unter Wiesnwirten“, laut Abendzeitung. Der Grund: Die einen dürfen, was die anderen nicht dürfen, nämlich Champagner, Kaffee und Schnaps ausschenken. Der Grund ist etwas kompliziert und hängt mit unterschiedlichen Zeltkategorien zusammen, die von der feuchtfröhlichen Zeltgemeinde nicht wahrgenommen wird. Das finden die einen Wirte prickelnd, weil umsatzfördernd, die anderen schal. Also Kein Prosit der Gemütlichkeit mit Sekt?

Spitze

Bei einer Wachstumskennzahl liegt Berlin mit Nonchalance an der Spitze aller Bundesländer: Bei der Neuverschuldung! Um satte 8,6 Prozent auf 68 Mrd. Euro wuchs im ersten Halbjahr der Schuldenberg der Landeshauptstadt an, was Die Welt zur der Headline motivierte: „Die Länder bewahren Finanzdisziplin – bis auf Berlin“. Wenn wir ehrlich sind, alles andere hätte uns auch gewundert. Wobei nach der Wende und Sanierung Berlin ein Jahrzehnt lang durchaus Schulden zurückzahlen konnte, bis die Pandemie kam, seitdem klappt es gar nicht mehr mit dem richtigen Verhältnis von Aus- und Einnahmen. An Nummer zwei in Sachen Schuldenmachen liegt Mecklenburg-Vorpommern (plus 7,7 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (plus 7,3 Prozent) und Hessen (7,1 Prozent). Und Bayern? Klar, der Primus hat Schulden abgebaut, genau wie Thüringen, Hamburg und Bremen. Mit den angehäuften Schulden liegt Berlin auf Position drei hinter Hamburg und Bremen bei der Prokopfverschuldung.