Das EZB-Gebäude in Frankfurt / Bild: EZB
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag auf ihrer Sitzung bekannt gegeben, dass sie die Zinsen um 25 Basispunkte senkt. Trotzdem war die Begeisterung unter den Investoren und Volkswirten eher begrenzt, die Zinssenkung im Prinzip in den Kursen bereits eingepreist, wir haben einige Stimmen gesammelt:
Kaspar Hense, RBC BlueBay AM
Wie erwartet hat die EZB heute die Zinsen erneut auf jetzt 3,5 Prozent gesenkt. Die Gesamtinflation sinkt rasch und wird voraussichtlich bald unter 2 Prozent liegen. Daher sind die Währungshüter nach wie vor in einer guten Position, um weitere Zinssenkungen vorzunehmen – zumal das Wachstum bestenfalls schleppend verläuft. Wir erwarten eine weitere Zinssenkung im Dezember und drei weitere in der ersten Jahreshälfte 2025, um die Wirtschaft zu stützen.
Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Zinssätze Mitte nächsten Jahres bei etwa 2,5 Prozent liegen werden. Das liegt zwar immer noch über dem neutralen Wert, aber der Markt ist nach wie vor zu sehr auf Wachstum ausgerichtet. Das Wachstumspotenzial in Europa ist gering. In Japan aber ist es noch schwächer und die Bank of Japan erhöht dennoch weiterhin die Zinsen. Und warum? Wegen der Überkapazitäten. Die Arbeitslosenquoten in Europa sind insgesamt immer noch rückläufig und das Potenzial für weitere fiskalische Anreize im nächsten Jahr wird ein Warnsignal für die EZB sein, zumindest vorläufig vor die Kurve zu kommen.
Die Erwartungen der Ökonomen für Europa sind aufgrund der kontinuierlich ansteigenden real verfügbaren Einkommen und sinkenden Energiekosten, die den angeschlagenen Industriesektor in Verbindung mit den Aussichten auf niedrigere Zinsen unterstützen, recht hoch. Wir denken, dass dies im Gegensatz zum vergangenen Jahr etwas zu optimistisch ist. Die Geldpolitik wirkt mit Verzögerung und das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Kreditbedingungen bleibt hoch.
Kaspar Hense ist Senior Portfoliomanager bei RBC BlueBay Asset Management
Des Lawrence, State Street Global Advisors
Wie weithin erwartet und von den Märkten eingepreist, hat die EZB heute ihren Einlagenzinssatz von 3,75 Prozent auf 3,5 Prozent gesenkt. Während der jüngste starke Rückgang der Gesamtinflation im Euroraum sehr willkommen ist, stellt der gleichzeitige Anstieg der Dienstleistungsinflation auf 4,2 Prozent im August die EZB vor ein Dilemma: Wie kann sie vermeiden, zu viel in Bezug auf eine Lockerung der Geldpolitik zu versprechen (es gab wohl einen Hinweis darauf im Vorfeld der Juni-Sitzung), und dennoch auf berechtigte Bedenken hinsichtlich einer sich beschleunigenden und umfassenderen Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität zu reagieren – auch wenn dies noch nicht in den Arbeitsmärkten erkennbar ist. Es wird besonders interessant sein, zu sehen, welche weiteren Einblicke Präsidentin Lagarde zu diesem Punkt in der Pressekonferenz bieten kann. Wir glauben, dass die Dienstleistungsinflation nachlassen wird, was den Weg für weitere Zinssenkungen in den kommenden Monaten öffnen könnte
Des Lawrence ist Senior Investment Strategist bei State Street Global Advisors
Marija Kolak, BVR
Die heutige Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), die Leitzinsen zu senken, betrachtet der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) angesichts der rückläufigen Inflation als gerechtfertigt; bei ihren künftigen Zinsentscheidungen sollte die Notenbank ihren vorsichtigen Kurs aber beibehalten. Die Inflationsgefahren sind zwar spürbar zurückgegangen, aber noch lange nicht vom Tisch. Daher steht die Geldpolitik in den kommenden Monaten vor einem Balanceakt. Die Konjunktur im Euroraum bleibt auch aufgrund der hohen Leitzinsen angeschlagen und kann durch weitere Leitzinssenkungen positive Impulse erhalten. Gleichzeitig muss verhindert werden, dass es zu einem erneuten Anstieg der Inflation kommt. Die EZB sollte daher weiterhin mit Umsicht handeln und den Leitzins nur allmählich und in Abhängigkeit der Datenlage absenken.
Die EZB hat den für die Geldmarktentwicklung ausschlaggebenden Einlagensatz um 25 Basispunkte auf 3,50 Prozent gesenkt. Die anderen beiden Leitzinsen, den Haupt- und den Spitzenrefinanzierungssatz, senkte sie um stärkere 60 Basispunkte auf 3,65 Prozent beziehungsweise 3,90 Prozent. Die Verengung des Abstandes zwischen den verschiedenen Leitzinsen hatte die EZB bereits im März angekündigt. Sie stellt keine Veränderung des geldpolitischen Kurses dar und ist im Rahmen der Geldmarktsteuerung schlüssig.
Die Inflationsrate im Euroraum ist im August 2024 von 2,6 Prozent auf 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken und damit nahe am mittelfristigen Inflationsziel der Geldpolitik in Höhe von zwei Prozent. Während die gesunkenen Energiepreise stark zum Rückgang der Inflation beigetragen haben, ist bei den von Lohnentwicklungen geprägten Dienstleistungspreisen ein kräftiger Anstieg um 4,2 Prozent zu beobachten, der Inflationsgefahren signalisiert. Das Wirtschaftswachstum lag im Euroraum im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich bei geringen 0,6 Prozent. Die jüngsten Konjunkturindikatoren sprechen für eine nur verhaltene Erholung der Konjunktur im weiteren Jahresverlauf und im kommenden Jahr.
Marija Kolak ist Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)