Wachstum im Euroraum ohne Deutschland

Fabienne Riefer, Creditreform Rating AG
Grafik: Creditreform Rating AG
Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Fahrt. Mit dem anhaltend starken Wachstum von Spanien kann sie nicht mithalten, und aktuelle Stimmungsindikatoren scheinen auf eine anhaltende Schwächephase hinzudeuten. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal war breit angelegt. Neben dem privaten Verbrauch schrumpften auch die Ausrüstungs- und die Bauinvestitionen sowie die Exporte. Zwar könnte der private Verbrauch durch die Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft im Juni und Juli einen kleinen Schub erhalten haben, jedoch hat sich das Verbrauchervertrauen im August bereits wieder eingetrübt, u. a. aufgrund rückläufiger Einkommenserwartungen und Kaufbereitschaft. Zusammengefasst kann man sagen, dass Deutschland derzeit in einer ausgeprägten Flaute verharrt. Die Weichen für zurückkehrendes Wachstum 2025 sind durchaus gestellt: Mit Blick auf 2025 sollten neben Erleichterungen über die geldpolitische Flanke Lohnzuwächse bei relativ stabilem Arbeitsmarkt für Impulse sorgen, ebenso wie eine steigende Nachfrage aus dem Euroraum und anderen wichtigen Exportländern. Insgesamt erscheint die prognostizierte Wachstumsbeschleunigung im Jahr 2025 aber mit Blick auf die Eintrübung bei den Stimmungsindikatoren unsicherer.

Key Take-Aways

  1. Für den Euroraum haben wir die BIP-Wachstumsprognose für 2024 auf 0,8 Prozent nach oben korrigiert. Dies ist vor allem auf unsere Erwartung eines stärkeren BIP-Wachstums in Spanien und Frankreich in diesem Jahr zurückzuführen, wohingegen die Wirtschaftsleistung Deutschlands mehr oder minder stagnieren dürfte. In Sachen Wirtschaftswachstum konnte Spanien die anderen drei großen Volkswirtschaften des Euroraums im ersten Halbjahr 2024 erneut übertreffen. Die französische Wirtschaft könnte durch die Olympischen Spiele in Paris in Q3-2024 einen gewissen Auftrieb erfahren.
  2. Aufgrund einer schrittweisen geldpolitischen Lockerung und der damit verbundenen Stärkung der Binnennachfrage erwarten wir für 2025 weiterhin eine Beschleunigung des jährlichen BIP-Wachstums im Euroraum auf 1,3 Prozent.
  3. Wir gehen davon aus, dass die EZB nach ihrer ersten Zinssenkung im Juni dieses Jahres graduell weitere Zinssenkungen vornehmen wird, wobei der Hauptrefinanzierungssatz bis Mitte 2025 bei 2,90 Prozent und der Einlagensatz bei 2,75 Prozent liegen dürfte. Derzeit liegen diese bei 4,25 Prozent und 3,75 Prozent und die Spanne zwischen dem Hauptrefinanzierungssatz und dem Einlagesatz soll von derzeit 0,50 auf 0,15 Prozentpunkte im September 2024 verringert werden.
  4. Mit dem neuen EU-Fiskalregelwerk, das seit April 2024 in Kraft ist, rückt die Haushaltsdisziplin wieder mehr in den Fokus. Insgesamt acht EU-Mitglieder, darunter Frankreich und Italien, sind nun aufgrund der neuen Fiskalregeln im Rahmen eines abgestimmten Verfahrens dazu angehalten, ihr als übermäßig angesehenes gesamtstaatliches Defizit abzubauen.
  5. Wir gehen weiterhin davon aus, dass das reale BIP in Deutschland in diesem Jahr weitgehend stagnieren wird. Die jüngsten Umfragen bei Unternehmen und Verbrauchern deuten auf eine Eintrübung der kurzfristigen Wachstumsperspektiven hin. Für die Bauwirtschaft scheint sich zumindest Licht am Ende des Tunnels abzuzeichnen.
  6. Weitere Zinssenkungen und eine kräftigere Auslandsnachfrage dürften trotz derzeit überwiegender Abwärtsrisiken dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaftsleistung 2025 um 1,1 Prozent wächst, etwas weniger als bislang von uns prognostiziert. Während die Zahlungsausfälle von Unternehmen weiter zunehmen, dürfte sich der auf den Unternehmen lastende Druck im Laufe des nächsten Jahres in einem positiveren Wachstumsumfeld merklich verringern.
  7. Die wirtschaftliche Erholung des Vereinigten Königreichs fiel in der ersten Jahreshälfte 2024 stärker aus als von uns erwartet. Unsere BIP-Wachstumsprognose heben wir daher für 2024 auf 1,1 Prozent an. Für 2025 rechnen wir mit einer Beschleunigung auf 1,5 Prozent, zum Teil unterstützt durch einen voraussichtlich robusten privaten Verbrauch. Die Bank of England dürfte ihren Leitzins weiter senken, allerdings etwas langsamer als bisher angenommen, so dass der Leitzins im Sommer 2025 bei 4,25 Prozent liegen dürfte. Nach ihrem Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen im Juli regiert die Labour-Partei mit einer klaren Mehrheit. Bemühung um Haushaltskonsolidierung wird voraussichtlich auch für die neue Regierung ein Thema bleiben. Daneben gehen wir von einer engeren Zusammenarbeit mit der EU in wichtigen Bereichen von gemeinsamem Interesse aus.
  8. Die US-Wirtschaft bleibt auf Kurs für eine sanfte Landung, wobei sich die Zeichen für eine Abkühlung des Arbeitsmarktes in letzter Zeit verdichten. Nach einer erwarteten ersten Zinssenkung im September sowie folgenden Senkungen wird der Leitzins der Fed unserer Einschätzung nach Mitte 2025 bei 4,00-4,25 Prozent liegen.
Fabienne Riefe ist Chefvolkswirtin bei Creditreform Rating AG, ein Unternehmen der Creditreform Gruppe. Als unabhängige, bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) registrierte Agentur bieten wir qualitativ hochwertige Ratings, die von Investoren weltweit für Investitionsentscheidungen und zu regulatorischen Zwecken genutzt werden. Unsere Dienstleistungen umfassen Länderratings, Ratings von Finanzinstituten, Unternehmens- und Emissionsratings sowie Ratings von strukturierten Finanzierungen. Private Debt Ratings und ESG-Ratings gehören ebenfalls zu unserem Leistungsspektrum.