Psychologisch gesehen kann diese Art der rasch eintretenden Selbstüberschätzung als
Wahrnehmungsverzerrung, genauer als
Attributionsfehler definiert werden. Wir schreiben Erfolge gerne unseren eigenen Fähigkeiten zu, für Misserfolge sind entweder andere zuständig oder, soweit nicht vorhanden, missliche äußere Umstände. Einfach ausgedrückt: Erfolge sind Können, Misserfolge Pech. Eine Haltung, die wir alle selbstverständlich nicht nur bei der Kapitalanlage einnehmen – auch nach Fußballspielen beispielsweise wird gerne so argumentiert. Im Zweifel waren Schiedsrichter oder Rasen schuld an der Niederlage.
Je riskanter die Anleger, je höher die Emotionen
Diese Selbstüberschätzung – im wissenschaftlichen Terminus hört sie sich als „Overconfidence Bias“ etwas moderater an – führt auch dazu, dass Menschen ihre eigenen Einflussmöglichkeiten und Fähigkeiten überschätzen. Wir selbst sind die besseren Autolenker, die umsichtigeren Skifahrer, die eloquenteren Showmaster und die kompetenteren Bundestrainer. Auf die Kapitalanlage übertragen führt die Selbstüberschätzung zu einem höheren Risiko durch zum Beispiel höhere Einsätze – gerne auch noch mit geliehenem Kapital. Doch je höher der Anteil unseres Einkommens wird, den wir in riskante Geschäfte stecken, desto höher fällt unser emotionales Empfinden bei Gewinnen und Verlusten aus. Anders ausgedrückt: desto weniger rational entscheiden wir. Selbstüberschätzung verleitet auch dazu, dass wir in riskantere Produkte investieren, die mit hohen Gewinnen durch Hebelwirkungen werben – aber leider auch schnell zum Totalverlust führen können. Wir jonglieren mit Wahrscheinlichkeiten, die wir gar nicht mehr überblicken. Denn zur normalen Kursbewegung kommt bei diesen Instrumenten noch die Zeitdimension hinzu – und die Zeit spielt in der Regel gegen den Anleger.
Daytrading und Anlegen sind zwei Paar Schuhe
Eine weitere typische Folge der Selbstüberschätzung ist auch der Wunsch, immer öfter zu handeln, die Intervalle zwischen Ein- und Ausstieg zu minimieren, denn man hat den Markt ja im Griff, weiß die Volatilität für sich zu nutzen. Das freut in erster Linie die Bank – in zweiter die Börse, gebe ich gerne zu. Das Depot selbst allerdings spiegelt diese Freude oft nicht wider. Daytrading und Anlegen unterscheiden sich ganz grundsätzlich. Kurzfristiges Traden erfordert völlig andere Handlungen, ein anderes Wissen, ein anderes Anforderungsprofil und einen sehr reichhaltigen Erfahrungsschatz, damit die Kosten des Tradings überhaupt verdient werden können. In diesem Sinne passt hier vielleicht das sehr alte – und wenig verbreitete – Sprichwort: Demut, diese schöne Tugend, ehrt das Alter und die Jugend!
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. In seiner Serie zeigt er die Fallen auf, in die wir Anleger so gerne hineintappen, und gibt Tipps, wie sie vermieden werden können.
Nachzulesen auch in Norbert Betz, Ulrich Kirstein:
»Börsenpsychologie simplified«, 2. Auflage 2015
Das Buch befasst sich auf knapp 200 Seiten mit der Psychologie der Märkte und zeigt Anlegern an vielen Beispielen aus Theorie und Praxis, wie sie STUSS erkennen und vermeiden sowie mit dem STAR-Konzept zum Erfolg kommen können.