Stabile Konjunktur und risikobewusste Märkte

Dr. Ulrich Kater, Deka Bank
Dr. Ulrich Kater / Bild: Deka Bank
Anfang August gerieten die Kurse an den Aktienmärkten weltweit ins Rutschen. Auslöser waren nicht zuletzt die enttäuschenden US-Datenveröffentlichungen zum Einkaufsmanagerindex ISM für das verarbeitende Gewerbe und zum Arbeitsmarkt, weshalb jetzt oft konjunkturelle Sorgen als Grund für die Korrektur der Kurse angeführt werden. Doch eigentlich handelt es sich vielmehr um eine überfällige Stimmungskorrektur in Teilbereichen des Aktienmarktes. Betroffen sind vor allem die großen Technologie- und Plattformunternehmen, die in den vergangenen Jahren maßgeblich für die herausragend positive Wertentwicklung insbesondere der US-Aktienmärkte verantwortlich waren.
 
Noch bis zur Jahresmitte dominierte bei den Finanzmarktteilnehmern der Eindruck, dass die Weltwirtschaft allen Unbilden widerstandsfähig trotzen könne. Nun sind parallel zu der Korrektur an den Aktienmärkten die Erwartungen an eine rasche geldpolitische Lockerung gestiegen und mithin die Renditen an den Staatsanleihemärkten spürbar gefallen. Wir erachten dies als Ausdruck eines sprunghaft gestiegenen Risikobewusstseins an den Märkten. Dabei sind die wesentlichen Risikofaktoren eigentlich schon länger bekannt: konjunkturelle Risiken aus der restriktiven Geldpolitik, vielfältige geopolitische Risiken, Unwägbarkeiten bezüglich der US-Präsidentschaftswahl. Doch inzwischen ist die Luft für positive Überraschungen bei den Konjunkturindikatoren wie bei den Unternehmensmeldungen so dünn geworden, dass die Risiken jetzt stärker wahrgenommen werden.
 
Wir gewichten die Risiken durchaus auch etwas höher, doch erscheint uns übertriebener Pessimismus unbegründet. Unser Hauptszenario besteht weiterhin darin, dass die Weltwirtschaft mit einem moderaten Tempo im Bereich von 3 Prozent expandieren wird. Es steht kein mitreißender Aufschwung bevor, aber eben auch keine Rezession. Vor diesem Hintergrund gibt es weiterhin konstruktive Perspektiven sowohl für die Aktienmärkte als auch für die Rentenmärkte. Kurzfristig mag dies noch mit erhöhten Kursschwankungen einhergehen. Doch bieten die stabile Konjunktur und die Gewinnsteigerungen der Unternehmen trotz der gestiegenen Risikowahrnehmung an den Märkten den Rahmen für eine baldige Wiederaufnahme des Aufwärtstrends an den Börsen.

Konjunktur Industrieländer

Deutschland
Die Stimmungsindikatoren enttäuschen in Deutschland auf breiter Front. Vielfach haben sie – wie das ifo Geschäftsklima – schon wieder einen Abwärtstrend ausgebildet. Wir erwarten zwar keinen Absturz der Wirtschaftsleistung in Deutschland, aber die Erholung verschiebt sich nach hinten. Dass eine solche kommen wird, ist angesichts der Realeinkommensentwicklung unzweifelhaft. Unklar ist aber, wann und wie stark sich die zurückgewonnene Kaufkraft in handfesten Konsum umsetzen wird. Seit einigen Monaten leidet die Konjunkturanalyse zudem am Fehlen von Daten zum Handel und zu den Dienstleistern.
Prognoserevision: Abwärtsrevision des Bruttoinlandsprodukts für 2024 und 2025
Euroland
Die europäische Wirtschaft konnte die Wachstumsdynamik aus dem ersten Quartal halten. Die vorläufige Schnellschätzung von Eurostat ergab für das zweite Quartal ein Wachstum von 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal (qoq). Die Unterschiede zwischen den vier großen EWU-Ländern waren beträchtlich. Spitzenreiter blieb Spanien mit einem starken Wachstum von 0,8 Prozent qoq. Dahinter folgten etwas abgeschlagen Frankreich (+0,3 Prozent) und Italien (+0,2 Prozent). Die rote Laterne in der Vierergruppe trägt Deutschland mit einer unerwarteten Schrumpfung der realwirtschaftlichen Aktivität um 0,1 Prozent. Vor dem Hintergrund der soliden wirtschaftlichen Entwicklung ist auch der Arbeitsmarkt weiterhin in einer starken Verfassung. Im Juni lag die EWU-Arbeitslosenquote bei 6,5 Prozent und damit nur 0,1 Prozentpunkte über dem Allzeittief.
Prognoserevision: Abwärtsrevision des Bruttoinlandsprodukts für 2024 und Aufwärtsrevision der Inflationsprognose für 2024.
USA
Trotz eines überraschend starken Anstiegs des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal nahmen zuletzt insbesondere an den Kapitalmärkten die Sorgen über die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Halbjahr zu. Hintergrund hierfür war ein überraschend schwacher Arbeitsmarktbericht. Aus unserer Sicht sind die Befürchtungen einer spürbaren konjunkturellen Verlangsamung übertrieben. Zwar dürfte die wirtschaftliche Aktivität im dritten Quartal zur Schwäche neigen. Hintergrund hierfür ist aber eine zeitverzögerte Reaktion der Volkswirtschaft auf die gestiegenen Kapitalmarktzinsen in den Frühjahrsmonaten. Der anschließende deutliche Zinsrückgang dürfte im kommenden Winterhalbjahr zu einer konjunkturellen Stabilisierung beitragen. Die jüngsten Preisdaten fielen aus geldpolitischer Sicht erfreulich niedrig aus.
Prognoserevision: Leichte Abwärtsrevision der Inflationsprognose für 2024 und
2025.
Europäische Zentralbank / Geldmarkt
Die zuletzt schwächeren Konjunkturdaten dürften die EZB in ihrer Einschätzung bestärken, dass der Lohndruck mittelfristig nachlassen und die Inflation bis Ende nächsten Jahres nachhaltig auf 2 Prozent konvergieren wird. Dies relativiert die in den vergangenen Monaten hartnäckig hohe Kerninflation und erlaubt der EZB, die graduelle Lockerung der Geldpolitik fortzusetzen. Wir rechnen daher weiterhin mit Leitzinssenkungen im Quartalsrhythmus, bis der Einlagensatz ein in etwa neutrales Niveau erreicht hat. Zinsschritte bei mehreren aufeinander folgenden Ratssitzungen oder in Größenordnungen von mehr als 25 Basispunkten würden wir demgegenüber nur dann erwarten, falls die Warnsignale für eine bevorstehende Rezession deutlich zunähmen. Mit dem engeren Zinskorridor zwischen Hauptrefinanzierungs- und Einlagensatz tritt im September das erste wichtige Element des neuen Operationsrahmens der Geldpolitik in Kraft. Aufgrund der nach wie vor hohen Überschussreserven dürfte dies jedoch noch keine nennenswerten Auswirkungen auf die Geldmarktsätze haben
Rentenmarkt Euroland
Der in den vergangenen Wochen von den kurzen Laufzeitbereichen ausgegangene Renditerückgang spiegelt Leitzins- und Inflationserwartungen wider, die nur im Fall eines deutlichen Konjunktureinbruchs realistisch erscheinen. Bei einem moderaten Wachstum und einer nur langsam zurückgehenden Kerninflation ist daher mit einer Korrektur zu rechnen. Eine nachlassende Risikoaversion dürfte zu höheren Renditen vor allem langlaufender Bundesanleihen führen, auch wenn deren Anstieg durch Leitzinssenkungen der Fed gedämpft wird. In den kürzeren Laufzeitbereichen sollten die Renditen zunächst in eine Seitwärtsbewegung übergehen, da die EZB in den kommenden Monaten bei der Senkung der Leitzinsen hinter den Markterwartungen zurückbleiben dürfte. Entsprechend rechnen wir bis weit in das nächste Jahr hinein mit einer inversen Bundkurve.
Prognoserevision: Niedrigere Renditeprognosen in allen Laufzeitbereichen.
Rentenmarkt USA
An den US-Rentenmärkten fand in den vergangenen Wochen ein deutlicher  Schwenk von Inflationsängsten hin zu Konjunktursorgen statt. Im Zuge dessen nahmen die Erwartungen über das Ausmaß der anstehenden Leitzinssenkungen massiv zu. Nach erfreulich schwachen Preisdaten für Juni waren ein überraschend niedrig gemeldeter Stimmungsindikator der Unternehmen sowie ein schwacher Arbeitsmarktbericht für Juli die Auslöser für diese Marktentwicklung. Wir erachten dies als übertrieben, wenngleich die Wachstumsdynamik im dritten Quartal durchaus schwach ausfallen könnte, sodass die Notwendigkeit für eine baldige Leitzinswende gestiegen ist. Insgesamt dürfte die Fed in diesem Jahr das Leitzinsintervall um 75 Basispunkte senken.
Prognoserevision: Leitzinswende im September, deutliche Abwärtsrevision bei der Zinsprognose für US-Staatsanleihen
Dr. Ulrich Kater ist seit 2004 Chef-Volkswirt der DekaBank. Er studierte an den Universitäten Göttingen und Köln Volkswirtschaftslehre und promovierte 1995 am Finanzwissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität zu Köln. Von 1995 bis 1999 war Dr. Kater im Stab der „fünf Wirtschaftsweisen“ für die Themen Geldpolitik und Kapitalmarkt verantwortlich. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu den Themen Geldpolitik, Währungspolitik, internationale Kapitalmärkte, Finanzpolitik, Alterssicherungssysteme und internationaler Dienstleistungshandel. Hörenswert: Sein Podcast mit Mikro trifft Makro mit Dirk Huesmann über das Neueste aus der Welt der Finanzen.
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