Norbert Betz / Bild: BBAG/Killius
Was ist denn da passiert? Ein „schwarzer“ Freitag und Montag an der Börse? Oder eher nur grau? Statt dass sich der Dax in sommerlicher Seitwärtsbewegung Richtung 18.500 Punkte bewegt, folgte er den Urlaubern Richtung Süden, stürzte um mehr als 1.000 Punkte ab. Und in den USA lief es nicht besser. Die Zeitung mit den vier Buchstaben orakelte am Montag gar: „Bricht um 15:30 Uhr die US-Börse zusammen?“. Aber, die Börsen brachen nicht zusammen, eher vielleicht ein paar Crashpropheten. In den seriösen Blättern lauteten die Schlagzeilen“ US-Rezessionsängste halten Börsen im Würgegriff“ (Börsen-Zeitung), „Von Japan bis zu den USA: Börsen stürzen weltweit ab“ (Die Welt) und „böses Erwachen an der Börse“ (Süddeutsche Zeitung). Und, sind jetzt alle wach? Ist es wieder vorbei? Was war überhaupt passiert, was führte zu diesem „Börsenbeben“?

Kühler Kopf trotz Hitze

Eines vorweg: Panik ist immer ein schlechter Ratgeber. Aber, seien wir ehrlich, das ist erstens leichter gesagt als getan, wer bleibt schon stehen, wenn alle rennen? Besser schnell raus als lange leiden? Und zweitens, wie sollen Investoren konkret und mit kühlem Kopf reagieren? Und zwar heute reagieren, nicht wissend, was die nahe Zukunft bringt, es sind ja ausreichend Zündler in der Weltpolitik am Werk. An der Börse gibt es bekanntlich immer (nur) drei Möglichkeiten, die Analysten empfehlen (können): Kaufen, halten oder verkaufen. Und, das sei angemerkt, Börse funktioniert nur, wenn es für jedes dieser drei Handlungen Motive gibt – und zwar gleichzeitig!

Bulle oder Bär

Um einigermaßen kaltblütig zu entscheiden, welche der drei Handlungsoptionen opportun sind, gilt es, sich die Gründe für den Börsenverlauf zu überlegen. Warum rauschen die Kurse in den Keller? Die Ursachen sind nie eindimensional, sondern ein bunter Cocktail – entweder er schmeckt bestens und die Kurse klettern, oder er erweist sich als giftig und sie fallen. Schmeckt er jedoch zu gut, trinken wir zu ausgiebig, stellt sich Katerstimmung ein – an der Börse platzt schlicht die Blase. Ist es jetzt (wieder) soweit, dass die Bären das Heft von den Bullen übernehmen, müssen wir uns auf einen Crash einstellen? Die Untergangspropheten kommen aus ihren Löchern, oder besser, sie finden angesichts der aktuellen Situation wieder mehr Gehör, höhere Aufmerksamkeit, ein breiteres Medienecho, siehe die Schlagzeilen von oben – und da waren wir bei der Auswahl schon zurückhaltend. Darauf komme ich noch.

Wirtschaft und Weltpolitik

Es hatte sich so einiges angestaut an den Märkten, anders ist der Einbruch kaum zu interpretieren. Die geopolitische Lage ist angespannt, wir blicken gebannt auf den Nahen Ost und mögliche Reaktionen des Iran. Nicht vergessen ist der Krieg in der Ukraine, in dem Russland in der Vorwärtsbewegung zu sein scheint. Hinzu kommen pessimistisch stimmende wirtschaftliche Indikatoren, neben den notorisch schlechten Daten aus Deutschland zunehmend auch aus den USA, die sich bisher als resistent gegen den Abwärtstrend gezeigt hatten. Hinzu kamen einige enttäuschende Meldungen aus der Berichtssaison, nicht zuletzt den hochgelobten KI-Tech-Werten. Wie so oft, je höher die Erwartungen, desto größer die Enttäuschung und desto heftiger die Reaktion an der Börse. Und, nicht zuletzt, aber am wenigsten offensichtlich, dürften eine Reihe von – mutmaßlichen – Auflösungen von Carry Trades sein. Bei diesen Yen-Carry-Trades wird in Japan zu günstigen Zinsen Geld geliehen und dann in USD-Anleihen oder sogar in US-Tech-Aktien investiert. Nun hat die Bank of Japan die Zinsen erhöht, der Yen wurde gegenüber dem Dollar aufgewertet und damit werden die Kreditnehmer sowohl von der Zins- als auch von der Währungsseite in die Zange genommen. Um die Kreditlinien halten zu können, müssen liquide Aktiva verkauft werden.

Crash oder Korrektur?

Steht uns jetzt tatsächlich noch ein heftigerer Crash bevor, müssen noch größere Aktienpakete auf den Markt geworfen werden und verhalten sich die Kurse aufgrund der genannten rationalen Argumente so, wie sie sich verhalten? Mitnichten. Hinzu kommt die nackte Angst, die die Kurse in den Keller schickt. Einmal mehr schüren die Medien das, was kommt: Die Panik. Self fullfilling Prophecy. Nicht Volkswirte und ihr Abwägen von Chancen und Risiken bestimmen das Bild, sondern dilettierende Panikredner, Untergangspropheten, die die Öffentlichkeit mit ihren so einseitigen wie eingängigen Warnungen dominieren. Wem nutzt aber eine solche Panikmache? Allen, soviel sei verraten, selbsternannten Ratgebern mit ihren meist monetarisierten Ratschlägen.

Ende oder Anfang?

Meiner Ansicht nach handelt es sich derzeit erneut um eine Art Flurbegradigung, denn es verlieren vordringlich jene Unternehmen, die in den vergangenen Monaten und Jahren deutlich überbewertet waren, jeder Hype findet einmal ein Ende und Ernüchterung tritt ein, allerdings meist erst nach einer Panikattacke. Aufgrund der unübersichtlichen Gemengelage und hohen Volumen bei Carry Trades könnte die Bereinigung auch noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Trotzdem, wir sollten Angst nicht mit Vorsicht, mit einem abgewogenen, vorausschauenden Denken verwechseln. Vorsicht ist die Basis jeder langfristigen Geldanlage, Angst und noch mehr Panik zerstört die Fundamente. Überdenken Sie Ihr Depot, schichten Sie eventuell etwas um, denken mehr an Value als an Wachstum, aber handeln sie nicht kurzfristig, lassen Sie sich nicht unter Druck setzen und schalten Sie, wenn möglich, ihre Warn-App aus. Es ist Sommerzeit, Urlaubszeit, erholen Sie sich. Denken Sie daran: Wenn Sie mit Gleichmut auf die Charts der großen Indizes blicken, werden Sie zweierlei erkennen: Auf mehr oder weniger lange Phasen der Hausse gab es immer wieder Phasen, in denen die Bären die Überhand gewannen, mal länger, mal kürzer, doch auf lange Sicht erholten sich die Kurse immer wieder - auch wenn einige Unternehmen auf der Strecke blieben. Und, auch das ein Allgemeinplatz, gerade in solchen Zeiten bieten sich Chancen., Kaufen sie sukzessive und mit Bedacht in tiefere Aktienpreise hinein ein. Wer den optimalen Zeitpunkt sucht wird in erfahrungsgemäß verpassen.
Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor.
Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)