Anleiheinvestoren blicken optimistisch auf die US-Geldpolitik

Vishal Khanduja, Morgan Stanley Investment Management
Vishal Khanduja / Bild: Morgan Stanley Investment Management
Investoren rechnen mit bis zu zwei Zinssenkungen der US-Notenbank im Jahr 2024. Es gibt für die Währungshüter aber keinen Grund zur Eile. In den Schwellenländern geraten die Zinssenkungszyklen ins Stocken und die Aussichten für den US-Dollar sind unklar.

Die These einer ‚sanften Landung‘ der US-Wirtschaft stand zuletzt wieder stärker im Fokus. Dabei handelt es sich um ein Umfeld mit sinkender Inflation, niedrigeren Leitzinsen und einem trendähnlichen Wachstum mit nur mäßigem Aufwärtsdruck auf die Arbeitslosenquote. Ein solches Szenario ist für festverzinsliche Wertpapiere im Allgemeinen recht positiv.

Aufgrund der jüngsten Daten liegen die Renditen von US-Staatsanleihen deutlich unter dem Stand von Ende April. Die Wachstumsdaten sind schwächer und die Arbeitsmarktdaten uneinheitlich. Die Zahlen vom Arbeitsmarkt und Umfragen unter Unternehmen deuten darauf hin, dass die Wirtschaft im Jahr 2024 ein trendmäßiges Wachstum in Höhe von rund 2 Prozent erreichen wird.

Die passende Beschreibung des Arbeitsmarktes lautet derzeit: widerstandsfähig. Wir wissen zwar nicht, wie widerstandsfähig er genau ist. Der Stellenzuwachs liegt aber immer noch im Bereich von monatlich 200.000 Positionen und das Wachstum der Haushaltseinkommen übersteigt die Inflation. Es gibt für die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) daher kaum einen Grund zur Panik und baldigen Einleitung von Zinssenkungen. Darüber hinaus verzerrt die starke Einwanderung in die USA in den vergangenen beiden Jahren die Daten. Es ist daher schwierig, Signal und Rauschen zu unterscheiden.

Optimismus bezüglich der US-Geldpolitik

Trotz der Zurückhaltung der Fed sind die Anleiheinvestoren bezüglich der künftigen US-Geldpolitik optimistisch. Sie rechnen nun mit bis zu zwei Zinssenkungen im Jahr 2024, während Anfang des Jahres noch weniger als eine erwartet wurde. Das ist nicht unvernünftig. Die datenabhängige Strategie des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell deutet aber ebenso wenig auf eine unmittelbar bevorstehende Zinssenkung hin wie die hartnäckige Inflation im Dienstleistungssektor. Derzeit wird davon ausgegangen, dass es zu Zinssenkungen kommen wird – nur eben nicht jetzt.

Der Konservativismus der Fed, die Unklarheit über das Ausmaß der Lockerungszyklen – sowohl in den USA als auch anderswo – und die fortgesetzte Inversion der Renditekurven machen es unwahrscheinlich, dass sich Anleihen mit langen Laufzeiten in nächster Zeit deutlich erholen werden. 10-jährige US-Treasuries scheinen in einer Spanne von 4,25 Prozent bis 4,70 Prozent zu verharren, wobei das obere Ende möglicherweise auch bei 4,50 Prozent liegt.

Längerfristig hängt das Niveau der 10-jährigen Renditen in den USA und weltweit vom Ausmaß des Lockerungszyklus ab. Wenn die Fed beispielsweise die Raten nur auf 4,50 Prozent senkt, werden die 10-jährigen Renditen nur schwerlich unter 4,25 Prozent fallen. Wenn die Währungshüter die Zinsen jedoch auf 3,50 Prozent senken, könnten sie leicht unter 3,75 Prozent nachgeben. Denn Zinssenkungen in solcher Größenordnung würden höchstwahrscheinlich mit einer bedeutenden wirtschaftlichen Schwäche einhergehen.

Neben der geldpolitischen Unsicherheit haben auch politische Geschehnisse die Aussichten für Anleihen eingetrübt. Es gilt, die weitere Entwicklung unter anderem in Frankreich, Mexiko und den USA zu beobachten. Wir sind daher vorsichtiger geworden und nehmen eine abwartende Haltung ein.

Unternehmensanleihen scheinen robust

Die Aktienmärkte und Spreads bei Unternehmensanleihen scheinen trotz ihrer Schwankungen im Juni robust. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Renditeaufschläge wesentlich ausweiten werden, solange das Wirtschaftswachstum solide bleibt beziehungsweise sich in weiten Teilen der Welt verbessert und die Zentralbanken bald mit moderaten Zinssenkungen beginnen. Renditeorientierte Käufe dürften die Ausweitung der Spreads eindämmen. Wir beobachten aber sehr genau die Höhe der Gesamtrenditen und ihre Auswirkungen auf die Nachfrage nach Unternehmensanleihen. Es ist möglich, dass bei weiter fallenden Renditen die Käufernachfrage abnimmt und sich die Spreads ausweiten. Das gilt insbesondere in einem Szenario mit steigender Rezessionswahrscheinlichkeit. Dieses Risiko wird jedoch durch die Tendenz der Zentralbanken zu Zinssenkungen ausgeglichen. Wir bleiben in unseren Portfolios leicht übergewichtet und achten eher auf idiosynkratische als auf allgemeine makroökonomische Risiken.
 
Die Renditen an den lokalen Märkten der Schwellenländer (EM) fielen zuletzt gemischt bis schlecht aus, da mehrere EM-Währungen deutlich abwerteten. Die Zentralbanken der aufstrebenden Volkswirtschaften spielten bei den Zinssenkungen eine Vorreiterrolle. Nun ist dies nicht mehr der Fall. Die meisten von ihnen haben ihre Zinssenkungen pausiert oder das Tempo verlangsamt. In Brasilien hat die Zentralbank den Zinssenkungszyklus angesichts der wirtschaftspolitischen Unsicherheit gestoppt. In vielen Fällen ist nicht mehr klar, ob die Inflation in den Schwellenländern schneller sinken wird als in den Industrieländern und ob die dortigen Notenbanken die Zinsen aggressiv senken können. Wir konzentrieren uns weiterhin auf idiosynkratische Chancen, bei denen das Risiko-Ertrags-Verhältnis günstig erscheint.

Ungewisse Aussichten für den US-Dollar

An den Devisenmärkten bleiben die Aussichten für den US-Dollar ungewiss. Der Juni war ein starker Monat für den Greenback. Das ist jedoch eher auf die zunehmenden Risiken in vielen Ländern der Welt zurückzuführen. Da sich die Weltwirtschaft im Vergleich zu den USA besser entwickelt – wenn auch von einem niedrigen Niveau aus –, könnte die Zeit der starken wirtschaftlichen US-Outperformance zu Ende gehen. Es ist noch zu früh, um sicher zu sein. Die Voraussetzungen dafür, dass der US-Dollar seine weltweite Führungsrolle verliert, sind aber gegeben. Das Problem ist nur: Wer wird diese übernehmen? Die Schwellenländer bieten weiterhin erhebliche idiosynkratische Risiken (und Chancen), während die USA ihren Zinsvorteil gegenüber anderen entwickelten Volkswirtschaften beibehalten. Wir halten uns mit Währungsrisiken vorerst noch zurück.»
Vishal Khanduja ist Co-Head Broad Markets Fixed Income bei Morgan Stanley Investment Management