Die Weltwirtschaft wächst, ein mögliches Risiko sind die hohen Zinsen

Dan Scott, Vontobel
Dan Scott / Bild: Vontobel
  • Verwerfungen durch hohe Zinsen erkennbar
  • Renditen von Schwellenländeranleihen attraktiv
  • Europäische Vermögenswerte: Mehr wirtschaftliche Dynamik bei niedrigen Bewertungen
In der zweiten Jahreshälfte gibt es einige Lichtblicke: Ein widerstandsfähiger US-Konsument, Chinas fiskalische Stimulierung und eine sich abzeichnende Erholung in der Eurozone tragen zu einem moderaten, aber stetigen Wirtschaftswachstum bei, das bis Ende 2024 anhalten dürfte.
 
Diese positiven Aussichten sind jedoch nicht ohne Risiken. Eine der größten Sorgen ist, dass die Zinsen zu lange auf einem zu hohen Niveau gehalten werden, was letztendlich zu einem Bruch führen wird. Wir sehen in den USA bereits einen Anstieg der Zahlungsausfälle bei Kreditkarten und Autokrediten. Der anhaltende Anstieg der Rückstellungen für notleidende Kredite im Zusammenhang mit US-Gewerbeimmobilien ist ebenfalls ein deutlicher Indikator dafür, dass sich langsam Risse zeigen, die eine politische Reaktion erforderlich machen werden.

Die Fed kann abwarten

Wir haben bereits die ersten Zinssenkungen durch Zentralbanken der Industrieländer erlebt. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) war die erste, die die Zinssätze senkte, gefolgt von der Europäischen Zentralbank (EZB), und nun erwarten wir, dass die US-Notenbank (Fed) nachziehen wird. Die Zinssätze in den USA sind höher, als es das derzeitige Inflationsniveau erfordern würde. Die Stärke der Wirtschaft, trotz des relativ hohen Zinsniveaus, gibt der Fed jedoch den Freiraum, die Zinsen in der Schwebe halten zu können und sich zu vergewissern, dass die Inflation nicht mit einer zweiten Welle zurückkommt.
 
Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell sagte auf der Juni-Sitzung, dass es nur eine Zinssenkung vor Ende des Jahres geben wird, doch wir glauben, dass es noch einige Überraschungen geben könnte. Die US-Notenbank muss auf die von ihr beobachteten Daten reagieren und hat zudem ein doppeltes Mandat: Preisstabilität und Beschäftigung. Mit einem starken Arbeitsmarkt und einer Inflation von knapp unter 3 PRozent ist die Fed sehr nahe daran, ihr Mandat perfekt zu erfüllen, ohne eine Rezession verursacht zu haben.

Inflation weitestgehend unter Kontrolle

Insgesamt glauben wir, dass die Inflation in den Industrieländern jetzt unter Kontrolle ist, da die Gesamtinflation sowohl in den USA als auch in Europa bereits unter 3 Prozent liegt. Die größten Inflationsrisiken sehen wir bei den Rohstoffpreisen wie Öl und Kupfer, aber auch bei den Schiffskosten und anderen externen, potenziellen geopolitischen Schocks. Zwar gibt es längerfristige Trends, die inflationär wirken, wie Militärausgaben, zunehmende Handelsschranken und die Verlagerung von Lieferketten. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch viele deflationäre Kräfte, zu denen unter anderem die Produktivitätsgewinne der KI gehören.

Schwellenländer dürften von US-Zinssenkung profitieren

Als sich die Inflation weltweit beschleunigte haben die Zentralbanken in den Schwellenländern die Zinssätze schneller angehoben. Die Notenbank in Brasilien war eine der ersten, dies hat das Land in die Lage versetzt, die Zinsen wiederum auch früher zu senken. Dank einer soliden Wirtschaft war der brasilianische Real in den letzten Jahren eine der Währungen mit der besten Performance. Eine Zinssenkung in den USA dürfte den US-Dollar schwächen, was die Schwellenländer weiter unterstützen wird, von denen wir einige derzeit relativ optimistisch einschätzen.
 
Die Verschuldung im Verhältnis zum BIP ist in vielen Fällen besser als in den Industrieländern, was die Renditen von Schwellenländeranleihen attraktiv macht. Die rohstoffexportierenden Schwellenländer profitieren vom anhaltenden Preisanstieg an den Rohstoffmärkten, während Länder wie Mexiko infolge der weitgehenden Verlagerung von Lieferketten ein Rekordniveau an ausländischen Direktinvestitionen verzeichnen.

Geopolitische Entwicklungen ohne Auswirkungen auf die Märkte

Mit Blick auf die geopolitische Lage sehen wir die bevorstehenden Wahlen im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in den USA derzeit nicht als Risiko für die Märkte an, da Wahlen selten dauerhafte Auswirkungen auf die Märkte haben. In Europa ist ein Rechtsruck zu beobachten, aber ob dies Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik haben wird, bleibt unklar. Unabhängig von der Politik sind wir für europäische Vermögenswerte relativ optimistisch. Wir sehen, dass die wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone zunimmt, während die europäischen Vermögenswerte zu niedrigen Bewertungen gehandelt werden, was eine Chance darstellt. In den USA rechnet der Markt mit einem Sieg Trumps, damit verknüpft ist die Erwartung, dass die politischen Entscheidungen wirtschaftsfreundlicher ausfallen werden.
Dan Scott ist Head of Multi-Asset, Vontobel
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