Dr. Klaus Bauknecht / Bild: IKB Deutsche Industriebank AG
Fazit: Die Konjunktur hellt sich auf, doch inländische sowie globale Wachstumshemmnisse können einen nennenswerten Aufwind verhindern. Angesichts der aktuellen Prognosen für das deutsche BIP-Wachstum ist deshalb kaum von einer synchronen spürbaren Erholung aller wichtigen Industriebranchen in den Jahren 2024 und 2025 auszugehen. Die Konjunktur wird vielen Branchen nicht genug Auftrieb geben, um branchenspezielle Probleme zu überdecken.
Während Branchen- und Konjunktureffekte sich im Falle der Chemieindustrie positiv verstärken sollten, sind bei der Automobilindustrie eher gegenläufige Effekte zu erwarten. Entscheidend bleibt, ob die seit 2018 schwache Branchendynamik als relevant angesehen wird, oder ob auch frühere Jahre von Bedeutung sind, was den Ausblick für viele Branchen verbessern würde.
Produktion einzelner Branchen: Zu wenig Auftrieb für einen synchronen Verlauf
Aufhellende Stimmungsindikatoren signalisieren zunehmende Konjunkturzuversicht. Doch Sorgen über das globale Wachstumsbild vor dem Hintergrund einer US-Abkühlung und weiterer protektionistischer Maßnahmen gegenüber China dämpfen die Stimmung. Hinzu kommen am Standort Deutschland die bekannten strukturellen Probleme, die das Wachstumspotenzial beeinträchtigen, wie es auch in der jüngsten Prognose des Sachverständigenrats erneut bestätigt wurde. Diese Vielzahl an Faktoren erschwert aktuell eine Einschätzung über die zu erwartende Wachstumsdynamik. Dies gilt für das deutsche BIP wie für die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes. Energieintensive Branchen wie z. B. die Chemieindustrie sind durch hohe Energiekosten besonders belastet, und die Automobilindustrie befindet sich grundsätzlich im strukturellen Umbruch. Unterschiedliche Wachstumstreiber lassen sich an den divergierenden Produktionsverläufen in den ersten drei Monaten des Jahres erkennen. Während die Chemieindustrie im ersten Quartal spürbare Zuwächse verzeichnete, sank die Produktion der Elektroindustrie und des Maschinenbaus weiterhin.
Eine zunehmende Divergenz der Produktionsverläufe einzelner Branchen ist jedoch schon länger erkennbar. So hat sich für die fünf bedeutendsten Industrien in den letzten Jahren der Durchschnitt ihrer Korrelationskoeffizienten bezogen auf die Produktion mehr als halbiert. Die Vernetzung zwischen den lokalen Branchen lässt also immer mehr nach. Eine zunehmende Globalisierung der deutschen Wertschöpfungsketten und die damit einhergehende Spezialisierung einzelner Branchen sind sicherlich Gründe hierfür. Spezielle Angebotsaspekte wie Energiekostenbelastung oder Transformationsherausforderungen dürften ebenfalls zu mehr Divergenz geführt haben. Aber auch die Konjunktur beeinflusst die Korrelation, denn eine kräftige Konjunkturerholung oder -abschwächung erhöht die Korrelation, da branchenspezielle Aspekte überdeckt würden. So kann die durchschnittliche Korrelation von 0,37 für die Periode 2020 bis 2024 als Überschätzung angesehen werden, da sie den Einbruch während der Corona-Pandemie beinhaltet, durch den alle Branchen im Jahr 2020 spürbar negativ affektiert wurden.
Die deutschen BIP-Prognosen für 2024 liegen generell unter 0,5 Prozent und für 2025 bei unter 1,5 Prozent. Dieses Wachstumsbild dürfte kaum zu einem allgemeinen und spürbaren Aufwind über alle Branchen hinweg führen. Für eine erfolgreiche Transformation zur Klimaneutralität wird es allerdings entscheidend sein, dass der Standort Deutschland ausreichend Auftrieb durch eine Konjunkturerholung bekommt. Sicherlich ist diese allein nicht ausreichend, doch ohne eine zyklische Erholung fehlen notwendige Investitionen für die Transformation. Abwanderungen würden dann eher den Standort prägen als eine erfolgreiche Transformation. Aus dieser Sicht ist ein spürbarer Konjunkturimpuls notwendig. Konjunkturerholung bedeutet zudem nicht immer nur ein kurzfristiger Auftrieb. Zur Erinnerung: Nach der Euro-Krise zeigte die Euro-Zone über sechs Jahre ein kontinuierlich positives Wachstum von durchschnittlich fast 2 Prozent – bis zur Corona-Krise im Jahr 2020.
Ausblick: Konjunktur schafft etwas Luft, doch vielfach dominieren branchenspezielle Aspekte
Das Verarbeitende Gewerbe wird bereits seit Jahren durch viele strukturelle Veränderungen geprägt. So besteht vor allem seit 2018 eine klare Divergenz zwischen der inländischen und globalen Produktionsdynamik. Grundsätzlich braucht es im Vergleich zum Zeitraum vor 2018 ein deutlich höheres globales Wachstum, um das deutsche BIP-Wachstum sowie auch die inländische Industrieproduktion zu stabilisieren bzw. zu beschleunigen (
s.auch IKB-Kapitalmarkt-News 2.Mai2024). Die folgenden Einschätzungen beruhen daher auf einem empirischen Modell, das mit Daten der Periode 2018 bis 2024 geschätzt wurde, um so die aktuellen strukturellen Realitäten abzubilden.
Prognosen über einzelne Branchen bestehen aus zwei Komponenten, einem Konjunkturbeitrag und branchenspeziellen Aspekten. Wäre die Konjunkturerholung bei ausreichenden Produktionskapazitäten sehr stark, würde der Konjunkturbeitrag die Prognose dominieren und ein verstärkter Gleichlauf der Branchen wäre zu erwarten. Davon kann aber angesichts der aktuell schwachen Konjunkturerwartung nicht ausgegangen werden. Grundsätzlich dürfte der Konjunktureinfluss deshalb eher überschaubar bleiben.
Tabelle 1 zeigt den geschätzten Konjunkturbeitrag sowie das Korrekturpotenzial bis Ende 2025. Letzteres ist die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Produktionsniveau und der Modellschätzung. Grafisch ist dies in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt. Grundsätzlich wird die Konjunkturerholung zwar die Produktion am Standort Deutschland stützen, für eine spürbare Belebung muss sich allerdings die Konjunktur noch deutlich weiter aufhellen. Vor allem bei der Chemieindustrie sind branchenspezielle Herausforderungen von großer Bedeutung. Ob sich diese materialisieren, bleibt allerdings abzuwarten. Der Produktionsanstieg im ersten Quartal 2024 kann jedoch nur etwa zur Hälfte durch die Konjunktur erklärt werden, sodass es durchaus Anzeichen von Aufholeffekten gibt. In der Automobilindustrie ergibt sich ein anderes Bild. Zwar ist der Konjunktureinfluss positiv. Allerdings deutet das Korrekturpotenzial auf eine Gegenbewegung hin. Schon seit Mitte 2023 geht die Produktion zurück und konvertiert zum Erwartungswert (siehe Abb. 4 oben).
Die bereits erwähnte IKB-Analyse (
s. IKB-Kapitalmarkt-News 2. Mai 2024) hat gezeigt, dass die deutsche Industrie seit 2018 wenige stark von der globalen Erholung beeinflusst wird, bzw. dass sich strukturelle Aspekte negativ auf die Produktion am Standort Deutschland auswirken. Wird das empirische Modell mit Daten von 2010 bis 2024 geschätzt, erhöht sich der Konjunktureinfluss und das geschätzte Produktionsniveau der Branchen fällt höher aus. Doch auch hier gibt es Unterschiede. So ist für die Chemieindustrie die Wahl des Datenzeitraums von weniger Bedeutung. Denn: Die Chemieproduktion ist schon seit Jahren unter Druck, und die Folgen des Energiepreisschocks werden sich erst in den nächsten Jahren zeigen – und damit wieviel des Korrekturpotenzials sich wirklich realisieren lässt. Aufgrund der grundsätzlich höheren Energiepreise und des Ausmaßes des Schocks dürfte der Aufholeffekt womöglich geringer ausfallen, als durch das Korrekturpotenzial angedeutet wird. Also: Der Produktionseinbruch wird strukturelle Implikationen haben.
Für den Maschinenbau und die Automobilindustrie ist dagegen die Wahl des Zeitraums für die Schätzungsergebnisse relevanter. Basiert die Schätzung auf Daten von 2010 bis 2024, sind der Aufholeffekt sowie der Konjunktureinfluss stärker, und der Ausblick insgesamt würde um einiges positiver ausfallen. Abb. 3 illustriert die Unterschiede für den Maschinenbau.
Dr. Klaus Bauknecht ist als Chefvolkswirt der
IKB Deutsche Industriebank AG verantwortlich für die volkswirtschaftlichen Analysen, Prognosen und Einschätzungen der Bank und schreibt dort auch im eigenen
IKB-Blog.
Zudem lehrt der promovierte Volkswirtschaftler an der Nelson Mandela
University in Südafrika. Zuvor arbeitete er in verschiedenen leitenden
Positionen anderer Banken und im südafrikanischen Finanzministerium. Er
schreibt zu aktuellen und übergeordneten Konjunktur-, Volkswirtschafts-
und Marktthemen.
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