Pilar Gomez-Bravo / Bild: MFS Investment Management
- Inflation, Wirtschaftswachstum und Geldpolitik werden Anleiheninvestoren 2024 weiter in Atem halten.
- Nach dem guten Jahr 2023 wird das Umfeld für Unternehmen und amerikanische Verbraucher schwieriger.
- Instabilitäten durch Anleihen-Zwangsverkäufe von Versicherungen, Pensionsfonds und Hedgefonds sind nach wie vor möglich.
Im Rückblick zeichnete sich 2023 durch zwei
Dinge aus: Die Einzelwertauswahl blieb wichtig, und die Zinsvolatilität
war weiterhin hoch. Eigentlich hätte die fallende Inflation die
Volatilität dämpfen sollen, aber die Anleihenerträge schwankten
trotzdem. Die hohe Zinsvolatilität hatte aber auch große Verzerrungen
zur Folge. Aktive Manager konnten sie nutzen – für die
Portfoliokonstruktion ebenso wie für das Risikomanagement.
Thema 1: Konjunktur
Inflation, Wirtschaftswachstum und
Geldpolitik werden Anleiheninvestoren 2024 weiter in Atem halten. Wird
die Inflation zum Zielwert zurückkehren? Steht uns eine weiche oder
eine harte Landung bevor, oder vielleicht auch gar keine? Wie genau
bilden die Terminmärkte Ausmaß und Zeitpunkte der Zinssenkungen ab?
Auch
wenn die Inflation weltweit fällt, könnten drei Faktoren eine
Rückkehr zum 2-Prozent-Ziel der Notenbanken weiterhin verhindern. Da
sind zunächst die Energiepreise: Aufgrund von Basiseffekten haben sie
2023 zu einem Inflationsrückgang und niedrigeren Inflationserwartungen
beigetragen. Der zweite Punkt sind die Lohnstückkosten. Noch immer
steigen sie stärker als von den Notenbanken gewünscht. Dies liegt aber
vor allem an der schwachen Produktivität, insbesondere in Europa und
Großbritannien. Vielleicht versuchen die Unternehmen weiterhin,
steigende Kosten an die Verbraucher weiterzugeben, um ihre Margen zu
sichern. Und dann ist da noch die Fiskalpolitik: 2024 wird in sehr
vielen Ländern gewählt. Weil große Änderungen der Fiskalpolitik erst
nach den Wahlen zu erwarten sind, könnte sie gegen Ende des laufenden
Konjunkturzyklus und zu Beginn des nächsten sehr wichtig werden.
Beim
Thema Wachstum ist entscheidend, was für eine Landung kommen wird –
eine weiche, eine harte oder gar keine. Schon früher hatten wir
geschrieben, dass die Kurse eine weiche Landung bereits weitgehend
abbilden, vor allem bei risikoreicheren Titeln wie Aktien und Credits.
Für eine weiche Landung müssten die Notenbanken ihre Zinsen
rechtzeitig senken. Wenn mit weiteren Zinssenkungen gerechnet wird,
würden kurz laufende Anleihen Mehrertrag verbuchen. Eine harte Landung
mit einer Rezession, höheren Ausfallquoten und steigender
Arbeitslosigkeit ist ganz sicher nicht in den Kursen abgebildet. Die
Folge wären niedrigere Renditen in allen Laufzeitsegmenten und eine
steilere Zinsstrukturkurve. Wenn die Konjunktur 2024 hingegen gar nicht
nachlässt („keine Landung“), wird zu einem späteren Zeitpunkt eine
sehr harte Landung wahrscheinlicher. Es besteht also das Extremrisiko
einer heftigen Rezession.
Bei der Geldpolitik kommt es nicht nur
auf das Zinsniveau zum Ende des Senkungszyklus, sondern auch auf den Weg
dorthin an. Zinspause und Leitzinsmaximum sind wichtige Marktthemen,
aber niemand weiß genau, wie schnell die Leitzinsen gesenkt werden. Die
Notenbanken werden auch weiterhin die Lohnentwicklung genau im Blick
behalten, vor allem im Dienstleistungssektor. Die Löhne steigen zwar
nicht mehr so schnell, aber doch noch immer so stark, dass ein Rückgang
der Teuerung auf die Zielwerte keineswegs sicher ist. Wir schätzen
Ausmaß und Verlauf der Zinssenkungen ähnlich ein wie die Märkte,
glauben aber, dass sie zu früh mit dem ersten Zinsschritt rechnen.
Thema 2: Schwierigeres Umfeld für Unternehmen und amerikanische Verbraucher nach dem guten Jahr 2023
Wie wird es Unternehmen und US-Verbrauchern
dieses Jahr ergehen? Die Unternehmensfinanzen sind noch immer solide,
doch verschlechtern sich allmählich die Kreditkennziffern.
Unternehmensanleihen waren 2023 überraschend stabil. 2024 wird es
darauf ankommen, wie sich die Gewinnmargen angesichts der vielleicht
schwächeren Umsätze entwickeln. Konsumnähere Unternehmen sprechen von
fallenden Umsätzen, die nur zum Teil durch steigende Preise
ausgeglichen würden. Wir fürchten, dass ein niedrigeres reales
Umsatzwachstum zu Stellenabbau führt und eine Rezession
wahrscheinlicher macht. Es ist ein Rennen gegen die Zeit – und es ist
unklar, ob die weiche Landung gelingt.
Nötig sind rechtzeitige
Zinssenkungen, bevor höhere Refinanzierungskosten den
Unternehmensfinanzen schaden. Das gilt für High-Yield- und
Investmentgrade-Emittenten gleichermaßen. Wenn es dazu kommt, werden
sich Credits weiterhin gut halten. Wenn die US Federal Reserve (Fed)
oder die Europäische Zentralbank (EZB) aber bis in die zweite
Jahreshälfte 2024 hinein an hohen Leitzinsen festhalten, machen mir die
Unternehmensfinanzen durchaus Sorgen.
Im derzeitigen Umfeld
kommt es ganz wesentlich auf Einzelwertauswahl und Fundamentalanalysen
an. Anleiheninvestoren sollten bei Unternehmen auf die Stabilität der
Cashflows, ihren Liquiditätsbedarf, den Kapitalmarktzugang, die
Vielfalt der Finanzierungsquellen, die Qualität der Aktiva (falls
Verkäufe nötig werden) und auch auf die Fixkostenquote, also den
Operating Leverage, achten.
Ein anderes Thema ist der
amerikanische Konsum. Die in der Coronazeit deutlich gestiegenen
Ersparnisse der US-Haushalte gehen weiter zurück, doch scheint man kein
Problem damit zu haben, Ausgaben über Kreditkarten zu finanzieren. Ob
der Konsum stabil bleibt, hängt von der Arbeitsmarktentwicklung ab, vor
allem bei Geringverdienern. Wir werden daher die Zahl der
Arbeitslosengeldanträge und die Zahlungsrückstände bei Asset-Backed
Securities genau im Blick behalten.
Thema 3: Instabilitäten und Risiken
Das größte Risiko für Anleihenmärkte ist
wie immer das einer schnellen Abwicklung von Positionen, wenn
Zwangsverkäufer dringend Liquidität benötigen. Die LDI-Krise in
Großbritannien war nur das jüngste Beispiel dafür, was passiert, wenn
sie auf einen illiquiden Markt treffen. Prognosen sind allerdings
schwierig.
Wenn gegen Ende des Konjunkturzyklus die Kurse wegen steigender Zahlungsausfälle fallen,
machen
uns vor allem Anleiheninvestoren Sorgen, die Verluste realisieren
müssen. Das könnten etwa Versicherungen und Pensionsfonds sein, bei
denen die Fälligkeiten von Aktiva und Verbindlichkeiten nicht
zusammenpassen. Für Instabilität können auch Investoren sorgen, deren
Geschäftsmodelle auf hohen Fremdkapitalquoten und niedrigen Zinsen
beruhen. Hedgefonds mit sehr hohen Finanzierungskosten, deren Strategien
nicht mehr in die Zeit passen, könnten es mit sehr vielen
Anteilsscheinrückgaben zutun bekommen. Bei Private Credit sehen wir
zwar keine systemischen Risiken, doch könnte auch diese Assetklasse an
Wert verlieren.
Der Markt könnte aber auch dadurch
destabilisiert werden, dass ihm die Notenbanken Liquidität entziehen.
Ein starker Geldmengenrückgang hatte schon oft wesentlichen Anteil an
einer Rezession. Wenn die Kreditbedingungen straffer werden, erhöhen
die Banken ihre Kreditrückstellungen, da die Qualität der Aktiva
nachlässt. Neben höheren Zinsen sorgen auch Quantitative Tightening
und Veränderungen der Reverse-Repo-Praxis der Fed für weniger
Liquidität.
Schließlich können auch von überkauften Märkten
Stabilitätsrisiken ausgehen. Sie muss man genau im Blick behalten und
nach Möglichkeit meiden. Zurzeit sind viele Märkte überkauft, da sich
Investoren auf ein Ende des Konjunkturzyklus und eine weiche Landung
vorbereiten. Deshalb beobachten wir die Märkte, in die wir investieren,
genau.
Portfoliopositionierung und Markteinschätzungen
Auf eine steilere Zinsstrukturkurve setzen – statt auf eine lange Duration:
Wir haben unsere überdurchschnittliche Duration leicht verringert und
dabei Gewinne realisiert. Stattdessen setzen wir jetzt vor allem in den
USA auf eine steilere Zinsstrukturkurve. Weil das ein negativer Carry
Trade ist, versuchen wir, dabei innovativ zu sein. Noch immer ist unsere
Duration leicht überdurchschnittlich. In unserem Basisszenario werden
die Renditen aber unabhängig von der Konjunkturentwicklung fallen.
Regional bevorzugen wir Europa und mit Abstrichen auch Großbritannien,
weil hier eine Rezession wahrscheinlicher ist als in den USA.
Übergewichtung von Investmentgrade-Anleihen, aber weniger High Yield:
Nach der guten Wertentwicklung haben wir bei unseren Credit-Positionen
Gewinne realisiert. In Investmentgrade-Titeln bleiben wir aber
übergewichtet. Wir halten sie nach wie vor für das interessanteste
Marktsegment, da 2024 nur mit wenigen Emissionen zu rechnen ist und sich
Investoren attraktive Renditen sichern möchten. Wir investieren zwar
weiterhin auch in High Yield, haben aber den Anteil verringert. Wir
halten den Markt für krisenanfälliger und die Spreads im
Vergangenheitsvergleich für recht eng.
Hochwertige Anleihen mit attraktiven Spreads: Aufstocken
wollen wir vor allem unsere Positionen in Supranationals und
Mortgage-Backed Securities. Hier bauen wir weiterhin Schritt für
Schritt Qualitätspositionen auf.
Deutlich geringere Dollar-Übergewichtung:
Zu Beginn des Renditeanstiegs waren wir in US-Dollar übergewichtet,
doch haben wir die Positionierung mittlerweile auf neutral gesenkt. Wir
können uns aber vorstellen, den Dollar wieder überzugewichten – wegen
eines anhaltenden überdurchschnittlichen Wachstums der USA oder einer
generell nachlassenden Risikobereitschaft, bei der er als sicherer Hafen
gilt.
Aussicht auf Renditerückgang unabhängig von der Konjunktur: Auf
sehr kurze Sicht scheinen die US-Zehnjahresrenditen fair. Sie könnten
aber fallen, wenn die Leitzinsen gesenkt werden, bei einer weichen
Landung und ganz sicher bei einer harten. Bei einer weichen Landung
könnte die Fed ihre Leitzinsen um 100 bis 200 Basispunkte verringern,
bei einer harten um 200 bis 300 Basispunkte. Dann würden die Renditen
in allen Laufzeitsegmenten fallen. Daher halten wir weiterhin einen
gewissen Anteil von Langläufern für sinnvoll. Wir sind uns aber der
Zinsvolatilität bewusst und wissen, dass wir Laufzeitenallokation und
Duration sehr sorgfältig steuern müssen.
Je nach Konjunktur bevorzugen wir inflationsindexierte oder nominal verzinsliche Anleihen.
Die Realrenditen dürften auf die Leitzinserwartungen reagieren.
Zurzeit scheint die Break-even-Inflation von Linkern angemessen, wenn
nicht ein wenig niedrig. Wir glauben, dass sie bei einer
gleichbleibenden Konjunktur oder einer weichen Landung steigt, was
Linkern im Vergleich zu Nominalzinsanleihen entgegenkäme. Bei einer
harten Landung würde die Break-even-Inflation deutlich fallen, und
Linker würden Minderertrag verzeichnen. Das schlechteste Szenario für
inflationsindexierte Anleihen ist eine hohe Volatilität bei einer sehr
harten Landung der Konjunktur. Dann gerieten sie schnell unter Druck,
und viele kurzfristige oder fremdfinanzierte Anleger würden sich aus
der Assetklasse zurückziehen. Das wäre allerdings nur eine
vorübergehende Verzerrung, die aktive Manager nutzen könnten. Wir
achten deshalb genau darauf, welche Anleger am Linker-Markt aktiv sind.
Mortgage-Backed Securities sind mittel- bis langfristig attraktiv. Das
Interesse an Mortgage-Backed Securities (MBS) ist zuletzt wieder
deutlich gewachsen, und die Spreads sind stark zurückgegangen. Trotz
der höheren Bewertungen halten wir MBS noch immer für eine
interessante, mittel- bis langfristig aussichtsreiche Alternative zu
Unternehmensanleihen. Wir meinen, dass man mit MBS kostengünstig auf
die kurzfristige Renditevolatilität und letztlich auch auf eine
steilere Zinsstrukturkurve setzen kann. Dabei sind wir in Titeln mit
niedrigeren Coupons untergewichtet. Aussichtsreich scheinen uns Papiere
etwa von Ginnie Mae, für die nur 9% Eigenkapital vorgehalten werden
müssen, was sie für Banken interessant macht. Gut ist, dass unser
erfahrenes MBS-Team uns helfen kann, Titel mit attraktiven Sicherheiten
zu finden.
High Yield statt Leveraged Loans: Aus
mehreren Gründen bevorzugen wir High-Yield-Anleihen gegenüber
Leveraged Loans. Die durchschnittliche gewichtete Kreditqualität von
High Yield ist höher als die von Loans. Viele Emittenten finanzieren
sich ausschließlich über Loans. Die Wiedereinbringungsquoten werden
daher wohl niedriger sein als in früheren Zyklen, als viele Emittenten
außerdem Anleihen begeben haben. Wenn die Leitzinsen noch länger hoch
bleiben, ist das für Loans schlecht. Emittenten, die ausschließlich
Loans begeben, müssen höhere Zinsen zahlen, was die freien Cashflows
schwächt. Außerdem spricht eine weiche Landung für High Yield. Sie
dürften eher von langfristigeren Investoren statt von technisch
ausgerichteten kurzfristigeren Investoren nachgefragt werden.
Die niedrige implizite Credit-Volatilität macht Derivate günstig.
Ungewöhnlich an der Anleihenmarktentwicklung der letzten etwa 18
Monate war die anhaltend hohe Zinsvolatilität, während Credits und
Aktien eher wenig volatil waren. Wir glauben, dass die Zinsvolatilität
mit der nachlassenden Inflation eigentlich fallen müsste, dies
allerdings auch stark von der Geldpolitik und der Notenbankrhetorik
abhängt. Hier gilt unser Motto, dass man früh dran sein muss, damit
man nicht zu spät kommt. Man muss sein Portfolio schon vor möglichen
Marktverzerrungen und einem Volatilitätsanstieg so ausrichten, dass man
kaufen kann, wenn es anderen an Liquidität fehlt. Zurzeit ist die
implizite Volatilität von Credits so niedrig wie seit etwa fünf Jahren
nicht mehr. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um die Risikostruktur
des Portfolios zu optimieren – und zwar durch klugen Einsatz von
Derivaten statt Käufen klassischer Anleihen. Wenn man mit einer
steigenden Volatilität von Credits rechnet, kann man so sein Portfolio
günstiger absichern und Risiken effizienter eingehen.
Pilar Gomez-Bravo ist CFA, Co-CIO Fixed Income bei
MFS Investment Management,
ein internationaler Full-Service-Investmentmanager für Finanzberater,
Vertriebspartner und institutionelle Kunden. Am 31. Dezember 2022
verwaltete MFS etwa 547,9 Milliarden US-Dollar Vermögen.
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Herausgegeben in Europa von MFS Investment Management (Lux) S.à r.l.
(MFS Lux), einem in Luxemburg für das Management von Luxemburger Fonds
zugelassenen Unternehmen, das institutionellen Investoren
Investmentprodukte und -leistungen anbietet. Der Unternehmenssitz ist in
der Rue Albert Borschette 4, L‐1246 Luxemburg, Tel. +352 2826 12800.
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