„Früher war mehr Lametta“

Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Ulrich Kirstein / Bild: BBAG/Killius
Es war zumindest eine interessante und für einige auch aufregende Woche: Der Bundesregierung fehlen kraft Beschluss des Bundesverfassungsgerichts plötzlich 60 Mrd. Euro im Haushalt – das ist kein Loch, sondern eher ein Krater: „Ungelöste Gretchenfrage in der Finanzpolitik“ schreibt die Börsen-Zeitung dazu – dabei hat Faust unserer Erinnerung nach doch gezeigt, wie man aus nichts Geld macht. „Ratlos in Berlin“ merkt die Süddeutsche Zeitung zum „Machtwort aus Karlsruhe“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) an. Aktien oder Anleihen heißt hingegen die „Gretchenfrage“ vieler Anleger, ein Zwiespalt, den die FAZ mit zwei Headlines auf einer Seite verdeutlicht: „Aktien werden nächstes Jahr die beste Anlageklasse sein“ und „Anleihen machen mehr Spaß“! Wenn man es nur wüsste. Und im Angedenken an den 100. Todestag von Loriot dichtet die Börsen-Zeitung: „Früher war mehr Lametta“ und meint damit den Einzelhandel, der nicht gerade in Optimismus schwelgt.

Kaufen

Zumindest farblich scheinen sich die Finanzmagazine abgesprochen zu haben, denn die Signalfarbe Rot spielt eine große Rolle. Passend textet Der Aktionär dazu: „Das Supersignal“. Das einfache Signal steht bei der Bahn gerade auf Rot, gemeint sind aber mittels US-Flagge zum einen „7 heiße Aktien“ sowie ein „Indikator mit 100% Trefferquote“. Der „sagt Kaufen: Die Jahresendrally beginnt jetzt“. Wir hoffen es, verraten diesen Super-Indikator aber nicht, immerhin sieht es aktuell ja recht gut aus. Börse Online verwirrt uns mit einem Bällebad aus roten Kugeln, mal mit der Erde, mal mit einem Prozentsymbol versehen. Weil: „Die günstigsten Aktien der Welt“ sich im Heft finden sollen, „so billig, dass sie steigen müssen“. Nun, das mit dem Müssen an der Börse ist so eine Sache. Schauen wir noch auf Focus Money, hier wird uns quasi ein Einkaufswagen entgegengereckt und wir ahnen, dass wir auch hier shoppen sollen: „Jetzt Top-Aktien kaufen“! Auch hier wird’s günstig: „33 Spitzenwerte im Sonderangebot – wo der Einstieg lohnt“. Alles in allem setzen die Magazine also auf Kaufen, als Börse gefällt uns ein Zusatz von Focus Money auf dem Titel besonders: „Kopf hoch, Augen auf“! Gilt eigentlich immer.

Himmelwärts

Immer mehr Kommunen denken über ein Böllerverbot an Silvester nach, schließlich führt der so teure wie kurze Spaß zu Umweltverschmutzung wie erhöhter Feinstaubbelastung, Lärm und Müll. Außerdem ist das Verletzungsrisiko an den jeweiligen Abschussrampen hoch, erfreuen sich Notaufnahmen in der Silvesternacht hoher Frequentierung. Nun, in den USA ist alles größer, auch die Raketen, und besonders groß ist jene von Elon Musk. Sein „Starship“, das sich im April in die Lüfte erhob, erwies sich eher als Titanic denn als Enterprise, schon nach vier Minuten explodierte es und setzte jede Menge Müll frei. „Aufregend“, fand das Musk, gut, dass sie unbemannt war. Am Samstag soll eine zweite Rakete des gleichen Typs aus dem Hause SpaceX starten – vielleicht wird dieser Flug mehr an- als aufregend, schließlich sollen damit irgendwann auch Astronauten ins All transportiert werden: „Nächster Anlauf für Musks „Starship“ titelt die Süddeutsche Zeitung.

Erdenschwer

Des einen Freud, des andern Leid ist vielleicht die etwas banalisierte Übersetzung von Joseph Schumpeters berühmtem Spruch von der „schöpferischen Zerstörung“, also der Kraft innovativen Fortschritts, das Alte zu verdrängen. Auto statt Kutsche. Apple statt Nokia. Streaming statt CD. Die Beispiele sind schier unendlich. Heißt es aber künftig: Pille statt Burger, Spritze statt Schokoriegel? Diese Gedanken beschleichen uns beim Lesen des Artikels „Dickes Geschäft“ aus dem EURO. Nun, die Überschrift ist etwas mehrdeutig und wir wollen nicht jeder Deutung hier nachgehen. Es geht konkret um teure Abnehmspritzen und inzwischen auch Pillen, die die Kurse einiger beteiligter Pharmakonzerne nach oben schießen lassen. Weniger spannend finden das nicht nur die vielen Diätspezialisten, sondern vom Medizintechnik-Hersteller für Magenverkleinerungen bis zu Fast-Food-Ketten und Schokoriegelanbietern, alle die unter der Appetitlosigkeit der schlank Gespritzten genauso leiden wie unter der ihrer Aktionäre auf ihre Papiere.