Deutschland aus charttechnischer Sicht

Violeta Todorova, Leverage Shares
Violeta Todorova / Bild: Leverage Shares
Während des größten Teils dieses Jahrhunderts war Deutschland wirtschaftlich erfolgreich und behauptete seine Vormachtstellung auf den globalen Märkten für hochwertige Güter, darunter Luxusautos und Industriemaschinen. Aktuell verzeichnet das Land jedoch einen wirtschaftlichen Einbruch, der im krassen Widerspruch zum relativen Hoch des DAX zu stehen scheint. Lesen Sie dazu unseren charttechnischen Kommentar.

Deutschland ist auf Export angewiesen

Die robuste Exporttätigkeit des Landes machte fast die Hälfte seiner Wirtschaftsleistung aus, trug zu einem florierenden Arbeitsmarkt bei und stärkte die Finanzreserven der Regierung, während andere europäische Länder mit steigenden Schulden zu kämpfen hatten. Deutschlands Errungenschaften wurden weithin als Vorbild für andere Länder angepriesen, dem sie nacheifern sollten.
 
Dieses Paradigma hat sich jedoch verschoben. Gegenwärtig ist Deutschland eine der am schlechtesten abschneidenden großen Industrienationen der Welt, da sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Europäische Union für dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung erwarten. Die wichtigsten Katalysatoren für diese Entwicklung sind der Einmarsch Russlands in die Ukraine und die anschließende Unterbrechung der Versorgung mit günstigem russischem Erdgas, das in der Vergangenheit die energieintensiven Industriesektoren Deutschlands befeuert und seine Position als Europas Industriemacht gefestigt hat.

Deutschland vor zweiter Rezession

Deutschland steht vor dem drohenden Risiko einer ‚Deindustrialisierung‘ aufgrund des Zusammentreffens von erhöhten Energiekosten und der Untätigkeit der Regierung in Bezug auf anhaltende Probleme, die die Verlagerung neuer Produktionsanlagen und gut bezahlter Arbeitsplätze in andere Länder fördern könnten. Der Verlust des billigen russischen Erdgases, das für den industriellen Betrieb benötigt wird, hat dem deutschen Wirtschaftsmodell erheblichen Schaden zugefügt.
 
Nach der Entscheidung Russlands, die Erdgaslieferungen an die Europäische Union (EU) zu drosseln, geriet der Block, der bis dahin 40 Prozent seines Brennstoffs aus Moskau bezog, in eine Energiekrise. Die Kosten für Erdgas haben sich im Vergleich zu 2021 ungefähr verdoppelt, was sich negativ auf die Unternehmen auswirkt, die auf Erdgas angewiesen sind.
 
Es scheint, dass Deutschland einer zweiten Rezession in diesem Jahr nicht entgehen wird, da die Wirtschaft eine anhaltende industrielle Schwäche aufweist. Die deutsche Industrieproduktion ist im August den vierten Monat in Folge zurückgegangen und liegt nun mehr als 7 Prozent unter dem Niveau von vor der Pandemie.

Düstere Aussichten für die Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft wird nicht wie in den Vereinigten Staaten durch hohe Defizitausgaben der Regierung angekurbelt, weshalb das Land nun ein weiteres Quartal mit einem sinkenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu erwarten hat. Es wird allgemein erwartet, dass die Wirtschaft in diesem Jahr schrumpft und in den Folgejahren nur bescheiden wächst.
 
Das Bruttoinlandsprodukt ging im Septemberquartal um 0,2 Prozent zurück und wird bis zum Jahresende wahrscheinlich um weitere 0,1 Prozent sinken. Die Prognosen zeigen, dass das deutsche BIP im Jahr 2023 um 0,4 Prozent sinken und im nächsten Jahr lediglich um 0,5 Prozent steigen wird. Dieser Aufschwung ist deutlich schwächer als die zuvor vom Internationalen Währungsfonds erwarteten 0,9 beziehungsweise 1,3 Prozent.
 
Unabhängig vom Ergebnis im nächsten Jahr sind die wirtschaftlichen Aussichten für Deutschland weiterhin düster, da das Wachstum seit langem beeinträchtigt ist. Das Land braucht strukturelle Reformen in Bezug auf Energiepreise, Infrastruktur, Einwanderung usw.

DAX im Sinkflug?

Die nächste Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) fällt am 26. Oktober. Und während die Märkte weitestgehend davon ausgehen, dass die Zinssätze in diesem Monat beibehalten werden, besteht die Aussicht auf eine weitere endgültige Zinserhöhung bis zum Jahresende. Laut einer neuen Wirtschaftsumfrage wird die Europäische Zentralbank die Zinssätze nicht vor September 2024 senken.
 
Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen, mit denen das Land konfrontiert ist, notiert der deutsche Leitindex DAX 40 in der Nähe seines Allzeithochs. Allerdings haben sich in den letzten zwei Monaten einige bedrohliche Anzeichen auf dem Chart entwickelt, die die Frage aufwerfen, ob der aktuelle Bullenmarkt nachhaltig ist. Im Jahr 2023 hat sich eine große bärische Divergenz gebildet, die zeigt, dass das interne Momentum schwach ist. Sowohl die langfristige Aufwärtstrendlinie als auch die wichtige Unterstützung bei 15.456 wurden kürzlich eingerissen, was darauf hindeutet, dass in den kommenden Monaten tiefere Niveaus erreicht werden könnten.
Violeta Todorova ist Senior Analystin beim weltweiten ETP-Anbieter Leverage Shares:

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