Warum Prognosen oft nicht stimmen und doch ihren Sinn haben

Alexander Pirpamer, BlackPoint Asset Management
Alexander Pirpamer / Bild: BlackPoint Asset Management
Der Zusammenbruch der Credit Suisse war nicht zu erwarten. Solche unvorhersehbaren Ereignisse machen ebenso wie die Komplexität der Kapitalmärkte und die Psychologie der Anleger Marktprognosen extrem schwierig. Aber sie haben dennoch ihre Daseinsberechtigung – wenn man sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt.
In der Finanzindustrie spielen Prognosen eine wichtige Rolle. Sie basieren auf der Analyse historischer Daten, aktueller Entwicklungen oder Umfragen und werden oft zur Vermarktung von Finanzprodukten genutzt. Trotz technologischer Fortschritte und immer mehr verfügbarer Daten erweisen sich Prognosen aber häufig als falsch, unvollständig oder überinterpretiert. Die Gründe dafür liegen in der Komplexität der Märkte, der menschlichen Psychologie und im Auftreten unvorhersehbarer Ereignisse.
 
Die Finanzmärkte werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören makroökonomische Entwicklungen, politische Entscheidungen, Unternehmensnachrichten, Branchentrends und vieles mehr. Auch die Psychologie spielt eine wesentliche Rolle bei der Entscheidungsfindung von Anlegern. Emotionen wie Gier, Angst und Selbstüberschätzung beeinflussen ihre Handlungen und können zu irrationalem Verhalten führen. Diese Verhaltensmuster sind schwer vorhersehbar und können zu plötzlichen Marktbewegungen führen, die nicht durch fundamentale Faktoren begründet sind.

Kann künstliche Intelligenz helfen?

Ebenfalls erschwert werden Prognosen dadurch, dass trotz riesiger verfügbarer Datenmengen einige Informationen für Analysten und Prognosemodelle unzugänglich bleiben. Dies kann auf Vertraulichkeit, Insider-Handel oder fehlende Transparenz zurückzuführen sein. Eine solche Informationsasymmetrie führt gegebenenfalls dazu, dass Anleger unterschiedliche Entscheidungen treffen. Das wiederum erschwert die Vorhersage der Marktbewegungen.
 
Eine vieldiskutierte Hoffnung liegt in der rasanten Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Bei aller Faszination, die diese neue Technologie ausstrahlt: Wir bleiben bezüglich valider Prognosen mit Hilfe künstlicher Intelligenz noch skeptisch. Man denke nur an den begrenzten Datensatz von ChatGPT, der konstruktionsbedingt dem Jahr 2021 entnommen wurde. Themen wie der Krieg in der Ukraine spielen hier noch keine Rolle und können somit für Prognosen nicht verarbeitet werden.

Mit dem Unmöglichen rechnen

Ebenfalls eine große Herausforderung für Prognosemodelle und Risikomanagement sind unvorhersehbare, seltene und teils extreme Ereignisse – in der Finanzwelt oft schwarzer Schwan (englisch: Black Swan) genannt. Diese haben mitunter weitreichende Auswirkungen auf Finanzmärkte, Wirtschaft und Gesellschaft. Beispiele sind die Finanzkrise von 2008, Naturkatastrophen wie der Tsunami im Indischen Ozean im Jahr 2004, Pandemien wie Covid-19 oder – ganz aktuell – die plötzliche Bankenkrise ausgehend von den USA im Februar 2023.
 
Solche Ereignisse offenbaren oft Schwächen in bestehenden Systemen und führen zu Veränderungen in Regulierung, Risikobewertung und Anlagestrategien. Sie können auch langfristige Veränderungen in der Wirtschaft und im Anlegerverhalten bewirken.

Aktiv nach anderen Meinungen suchen

Eine weitere Gefahr ist Selbstreferentialität. Diese entsteht dann, wenn Informationen oder Vorhersagen sich gegenseitig beeinflussen oder bestätigen. Dadurch entsteht eine künstliche Verstärkung der ursprünglichen Annahmen. Menschen neigen dazu, Vorhersagen oder Einschätzungen zu viel Bedeutung beizumessen. Dies kann dazu führen, dass Anleger die Unsicherheiten und die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen unterschätzen. Außerdem können sie in einer Informationsblase gefangen werden, die ihre Fähigkeit einschränkt, alternative Perspektiven zu berücksichtigen und kritisch zu beleuchten.
 
Um Selbstreferentialität zu vermeiden, sollten Marktteilnehmer aktiv nach abweichenden Meinungen suchen und ihre eigenen Annahmen regelmäßig hinterfragen. Nach unserer Auffassung sollten Modelle oder Prognosen grundsätzlich nicht die Entscheidungen treffen – sondern Leitplanken für die Diskussion über Entscheidungen bieten.

Mit unterschiedlichen Meinungen auseinandersetzen

Trotz aller Modelle, Prognosen und Expertenmeinungen werden Anleger in regelmäßigen Abständen von der Realität überrascht. Denn erst wenn endgültige Daten und Fakten vorliegen, kann mit Sicherheit gesagt werden, wer mit seinen Einschätzungen richtig lag und wer falsche Annahmen getroffen hat. Was aber können Investoren daraus für ihr eigenes Verhalten ableiten? Sind Prognosen aufgrund zu geringer Trefferquoten gänzlich sinnlos? Auf wessen Einschätzungen sollte man vertrauen?
 
Wir bei BlackPoint sehen Prognosen, Modelle, Einschätzungen und Expertenmeinungen keinesfalls als sinnlos an. Sie umschreiben Probleme und Lösungen, Daten und Fakten, Vermutungen und mögliche Wirkmechanismen. Damit führen sie uns auf direktem Weg in eine Auseinandersetzung mit den aktuellen und künftigen Themen und münden in Diskussionen. Hierbei beschäftigt man sich ganz im Sinne der Dialektik bestenfalls mit einer These sowie einer Antithese und zieht in einer Synthese seine eigenen Schlüsse daraus. Ganz gleich, wessen Prognosen oder Meinungen man betrachtet: Es gilt immer, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen und möglichst viele andere Standpunkte und Sichtweisen in Betracht zu ziehen.
Alexander Pirpamer ist Geschäftsführer und Leiter Portfolio Management bei BlackPoint Asset Management.