SI-Labels: Herdenverhalten ist nicht zwangsläufig im besten Interesse von Investoren

Rachel Whittaker, Robeco
Rachel Whittaker / Bild: Robeco
Welcher Asset Manager würde ein Nachhaltigkeits-Label ausschlagen? Vor diesem Dilemma stehen viele Investoren, während sich das Wachstum von Sustainable Investing (SI) in immer mehr nachhaltigen Gütesiegeln (Labels) und Initiativen spiegelt. Viele Investoren fürchten, dass der Verzicht auf eine Mitgliedschaft sie schlecht aussehen lassen könnte. Das sorgt für eine Art selbstauferlegtes Greenwashing.
Im Finanzsektor gibt es eine Vielzahl nachhaltiger Labels: Dutzende SI-Kooperationen, Mitgliedsverbände, Initiativen und Produkt-Labels, mit denen ein Investor scheinbar seine Seriosität oder seinen Erfolg in punkto Nachhaltigkeit belegen kann. Ein solches Label zu besitzen, ist wie eine Auszeichnung, auf die kaum jemand verzichten möchte.
 
Allerdings ist nicht klar, ob man alle davon haben muss und ob sie überhaupt für das stehen, was sie vorgeben. Mittlerweile besteht folgendes Problem: Viele Investoren fürchten, dass der Verzicht auf eine Mitgliedschaft sie schlecht aussehen lässt. Das sorgt für eine Art selbstauferlegtes Greenwashing.
 
Nehmen wir beispielsweise die UN Principles for Responsible Investment (PRI). Dabei handelt es sich um die Mutter vieler SI-Initiativen, mit dem Sustainable Investing auf globaler Ebene Fahrt aufnahm. Die Bedeutung der Initiative war so groß, dass sie sich rasch von einer freiwilligen Verpflichtung – was sie nach wie vor ist – zu einer De facto-Verpflichtung entwickelt hat.
 
Nach der Gründung im Jahr 2006 wurden die PRI rasch zur führenden Initiative für verantwortungsbewusste Investoren. Unterzeichner der PRI zu sein, das erwarten mittlerweile viele Kunden von einem Asset Manager für SRI-Fonds. Einige Jahre nach ihrer Gründung wurde die PRI-Initiative kritisiert, von ihren Unterzeichnern zu wenig Pflichtanforderungen zu verlangen und zu wenig Durchsetzungsmöglichkeiten zu haben. Daraufhin wurden die Reporting-Anforderungen verschärft und einige Unterzeichner ausgeschlossen.

Je früher, desto besser

Die Initiative erfüllte ihre Aufgabe – zumindest anfänglich. Eine im Jahr 2021 im Journal of Business Ethics veröffentlichte Studie ergab, dass Unterzeichner der PRI anschließend tatsächlich häufiger eine ESG-Integration vornahmen als andere Unternehmen. Allerdings war die Verbesserung des ESG-Profils bei frühen Unterzeichnern wesentlich größer als bei Unterzeichnern aus jüngerer Zeit. Das deutet darauf hin, dass einige der späteren Unterzeichner Trittbrettfahrer gewesen sein könnten. Dieselbe Kritik wurde auf Grundlage einzelner Fälle auch mit Blick auf andere Initiativen geäußert, die eine beträchtliche Dynamik entwickelt haben, beispielsweise Climate Action 100+.
 
In der Studie wurden zudem Empfehlungen für Manager „freiwilliger“ thematischer Initiativen formuliert, die sich ebenfalls zur Evaluierung der Glaubwürdigkeit von Verpflichtungen eignen, die Unternehmen aus jeder Branche eingehen. Investoren können folgende Faktoren betrachten: Wann erfolgte die Unterzeichnung der Verpflichtung? Welche Elemente sind bindend? Wie umfangreich ist die öffentliche Berichterstattung zu Fortschritten? Gibt es einen Bestätigungsprozess und entsprechen die Verpflichtungen den verfügbaren Ressourcen?

Relevanz sicherstellen

Ein anderes Thema für Investoren ist, sicherzustellen, dass die verwendeten Labels noch relevant sind. In Europa gibt es eine Fülle von Codes, Initiativen und halbregulatorischen Institutionen. Zu den wichtigsten zählen Eurosif Transparency Code, Febelfin QS, Greenfin, Nordic Swan, LuxFlag und FNG. Die von ihnen verwendeten Kriterien spiegeln unter Umständen Ansichten aus der Zeit ihrer Gründung wider. Allerdings entwickeln sich die Prioritäten von Investoren im Zeitverlauf entsprechend dem Wandel des Konsenses oder sozialer Normen weiter.
 
Organisationen, die Labels vergeben, stehen somit selbst vor einem Dilemma: Sollen sie an ihren ursprünglichen Grundsätzen festhalten oder sich dem Wandel der Zeit anpassen?
 
Deshalb muss jeder Investor, der sich auf ein bestimmtes Label verlässt anstatt auf eine eigene sorgfältige Prüfung, dafür einstehen, dass dieses Siegel nach wie vor im Einklang mit seinen Überzeugungen und Bedürfnissen steht. Darüber hinaus muss er gewährleisten, dass das Label den Beurteilungskriterien, Methodiken und Verlässlichkeitsanforderungen entspricht – und sollte dies auch im Zeitverlauf überwachen für den Fall, dass sich diese Faktoren ändern.

Ausreichende Zahl an Fonds erforderlich

Zudem ist sicherzustellen, dass es genügend Fonds mit dem Label gibt, um darunter eine Auswahl treffen zu können. Die meisten SI-Labels werden freiwillig vergeben. Deshalb ist es nicht zwangsläufig der Fall, dass ein Fonds ohne ein bestimmtes Label die dafür erforderlichen Kriterien nicht erfüllt. Verlassen Investoren sich auf bestimmte Labels, die ein bestimmter Fonds besitzen muss, verringern sie damit unter Umständen ihre Fondsauswahl.
 
Für einen Asset Manager ist der Erhalt eines Labels eine wirtschaftliche und geschäftspolitische Entscheidung, die oft schwierig sein kann. Die möglichen Vorteile im Hinblick auf Reputation und Marketing sind abzuwägen mit den häufig beträchtlichen Kosten für die Informationsbeschaffung, die Beantragung und den Prüfungsprozess (oftmal jährlich) sowie den Gebühren für die das Label vergebende Organisation. Zwar scheinen mehr Auszeichnungen eine gute Sache zu sein. Doch sie können die Verwaltungskosten eines Fonds erhöhen, so dass sie nicht zwangsläufig im besten Interesse aller Investoren sind.

Initiativen – Wie groß ist ihre tatsächliche Bedeutung?

Bei gemeinsamen Initiativen besteht ein ähnliches Dilemma. Es gibt große Kooperationen wie die Gruppe „Climate Action 100+“ (die von Robeco offen unterstützt wird) und kleinere Initiativen wie „Gender Lens“ in der Schweiz und die „Platform Living Wage Financials“ in den Niederlanden.
 
In den Questionnaires (RfPs) potenzieller Investoren mit Interesse an einem bestimmten Fonds finden sich häufig Fragen dazu, welche Initiativen ein Asset Manager unterstützt. Die Antworten können ein Indikator für die Werte und Zielsetzungen des Asset Managers sein. Allerdings ist es schwierig, solchen Kooperationen und Initiativen eine konkrete Bedeutung beizumessen. Wie im Fall der nachhaltigen Labels gilt: Asset Manager können nicht alle unterstützen, da Ressourcen im Hinblick auf Finanzen und Mitarbeiter begrenzt sind. Sie müssen also abwägen zwischen den Anforderungen im Fall einer Teilnahme und der Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich einen Beitrag zu den Impact-Zielen leisten. Ebenso wie sie letztlich auch den Nutzen für ihre eigenen Investoren abwägen müssen.
 
Mitunter kann das kontraproduktiv sein. Eine übertriebene Beteiligung an Initiativen, die nicht wirklich unterstützt werden, kann ein Hinweis auf Greenwashing oder Trittbrettfahren einer Organisation sein: Diese unterzeichnet zwar etwas, um ihr Nachhaltigkeitsprofil zu illustrieren, unternimmt aber letztlich nichts zur Erreichung der entsprechenden Ziele.

Greenwashing und „Greenwishing“ – Die Sorge, etwas verpassen zu können

Das Dilemma, welche Initiativen man unterstützen sollte, wächst durch das Aufkommen freiwilliger Initiativen oder Kooperationen, die so bekannt sind oder durch die Zahl ihrer Unterzeichner so viel Schwung erhalten, dass es schwierig wird, sich nicht zu beteiligen, ohne den Anschein zu erwecken, die Sache nicht zu unterstützen.
 
Dieses Herdenverhalten ist nicht zwangsläufig im besten Interesse von Investoren. Eine de facto „notwendige“ Beteiligung kann sogar Greenwashing begünstigen oder vielleicht „Greenwishing“ – wenn Finanzinstitutionen von den Zielen überzeugt sind, aber tatsächlich nicht die beabsichtigten Ergebnisse erreichen – für gewöhnlich, weil sie nicht ausreichend tätig werden.

Ist der Verzicht auf ein Label schlecht?

Es gibt auch die Angst davor, auf ein Label zu verzichten oder eine Verpflichtung zu beenden, selbst wenn die Gründe richtig sind. Das Risiko: Dies kann als Anzeichen interpretiert werden, dass ein Unternehmen oder ein Fonds weniger nachhaltig ist, oder dass die Glaubwürdigkeit eines Gütesiegels oder einer Initiative beeinträchtigt wird, selbst wenn die Entscheidung aus soliden geschäftlichen Gründen getroffen wurde und sich an der zugrundeliegenden Strategie nichts ändert.
 
Wichtig ist, dass Asset Manager gegenüber ihren Investoren glaubhaft machen können, weshalb solche Entscheidungen hinsichtlich eines Labels getroffen wurden. So kann der Kunde prüfen, ob seinen Anforderungen nach wie vor Rechnung getragen wird.

Nicht lediglich Punkte abhaken

Unterm Strich sollte klar sein, dass es zur Identifikation der nachhaltigsten Fonds keinesfalls genügt, lediglich nach bestimmten Labels oder Verpflichtungen Ausschau zu halten. Ebenso wenig ist das Sammeln von Labels und Verpflichtungen ein kluger Ansatz für die Vermarktung von Fonds. Es kann am Ende sogar die Wertentwicklung beeinträchtigen, wenn Investmentprozesse für bestimmte Labels angepasst werden anstatt andersherum.
 
Dessen ungeachtet können solche Aktivitäten ein wichtiges Signal im Hinblick auf die zentralen Werte einer Organisation liefern. Die Entscheidungen, sich in punkto Nachhaltigkeit zu verpflichten, werden selten hemdsärmelig getroffen. Investoren müssen immer ausreichend Fragen stellen, um gewährleisten zu können, dass ein Investment wirklich das beinhaltet, was es vorgibt.
Rachel Whittaker ist Head of SI Research bei Robeco.