Dr. Ernst Konrad / Bild: Eyb & Wallwitz
Obwohl der Rückzug von der Frankfurter Börse noch gar nicht beschlossen ist, verursachte allein die Ankündigung, den Aktionären das Delisting vorschlagen zu wollen, einen deutlichen Kursrückgang.Wir halten diese Reaktion der Anleger für unverhältnismäßig. Der Handelsplatz Frankfurt hat für
Linde gar nicht mehr die Bedeutung, die ihm zugeschrieben wird. Deutlich werde dies am Handelsvolumen: Nur gut fünf Prozent der Aktien werden an der
Deutschen Börse gehandelt. Der Großteil, nämlich mehr als 60 Prozent, wird schon jetzt in New York abgewickelt. Das Delisting passt auch zum schrittweisen Abschied des Unternehmens aus Deutschland. Gern wird bei Linde immer noch auf die lange deutsche Tradition verwiesen. Tatsächlich ist es bereits seit geraumer Zeit kein deutsches Unternehmen mehr. Der Industriekonzern fusionierte im Jahr 2018 mit seinem US-Konkurrenten Praxair. Ihren Sitz hat die neu gegründete Linde plc. seitdem in Irland. Nach unserer Ansicht spielt der Sitz eines Unternehmens bei Investment-Überlegungen von Anlegern überhaupt keine tragende Rolle mehr. Vielmehr kommt es auf die Stellung im internationalen Wettbewerbsumfeld und die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells an.
Viel entscheidender ist laut Konrad ein anderer Aspekt: Mit einer Marktkapitalisierung von 145 Milliarden Euro ist Linde der aktuell wertvollste Konzern im DAX. Das Unternehmen überschreitet regelmäßig die sogenannte Kappungsgrenze von 10 Prozent. Sie sieht vor, dass europäische Investmentfonds, die den DAX abbilden, Wertpapiere der Linde verkaufen müssen, sobald deren Anteil 10 Prozent übersteigt.
Wir raten, mögliche Implikationen des Rückzugs auf den DAX zu bedenken. Die Ankündigung zeigt, dass der DAX für deutsche Investoren an Relevanz verliert. Wie wird der deutsche Leitindex in 10 bis 20 Jahren aussehen? In welchen Bereichen werden deutsche Unternehmen überhaupt noch in der Weltspitze vertreten sein? Dies sind zentrale Fragen, die nun im Fokus stehen. Zwar hat die Deutsche Börse aus dem Skandal um Wirecard gelernt und den DAX um weitere 10 Titel erweitert. Da diese jedoch mehrheitlich aus dem Bereich E-Commerce und Lieferdienste stammen, hatten Anleger bislang wenig Freude. Im Gegenteil, der DAX hat weiter an Relevanz für internationale Anleger eingebüßt.