Nobert Betz: Bild: BBAG/Killius
Die Sturmtiefs Ylenia, Zynep und Antonia fegten im Februar über Deutschland hinweg mit einzelnen Orkanböen bis zu 150 Stundenkilometern. Auch wenn diese Stürme jedes Mal erneut Verkehrschaos und Schäden auslösten, Schulen zur Vorsicht geschlossen, Oberleitungen in Nachtschicht repariert werden mussten und die Berliner Feuerwehr „Ausnahmezustand Wetter“ twitterte: so einzigartig sind sie nicht. Wir wollen hier keine meteorologischen Wetterphänomene erklären, aber fast jedes Jahr kommt es auch bei uns zu Orkanen – so werden inzwischen ausschließlich Stürme des Nordatlantiktiefs genannt, die eine Stärke von mindestens 12 auf der Beaufortskala aufweisen – mit Windgeschwindigkeiten bis zu 285 km/h (Wiebke 1990), 2020 war es Sabine mit 219 km/h. Stürme sind und waren also Ereignisse, die immer wieder auftreten können und vor denen man sich deshalb prophylaktisch schützen sollte, jenseits von möglichen Versicherungen: Es bietet sich an, alles festzuschnüren und ins Haus zu holen, was auf Balkon oder aus dem Garten wegfliegen könnte, und es bietet sich nicht an, durch den Wald zu joggen oder sein neues Auto unter einem Baum zu parken.

Winde kommen von den Göttern

Bei den alten Griechen galt der Herr über die Winde, der Gott Aiolos, als ein Günstling der Götter – ohne Wind kamen die Schiffe des Seefahrervölkchens der Griechen schließlich nicht an ihre Ziele. Aiolos kommt in der Odyssee als glücklicher Vater von sechs Söhnen und sechs Töchtern vor (wenn es da nicht stürmisch zuging). Er nahm den griechischen Helden samt seiner Mannschaft in seinem Palast auf und schenkte nach Monaten festlicher Bewirtung Odysseus einen Schlauch mit Winden, der unbedingt verschlossen bleiben sollte. Sie kennen das alte Spiel, die Gefährten des Odysseus waren neugierig und vermuteten Schätze in dem Schlauch, kurz vor dem heimatlichen Ithaka öffneten sie ihn und das Schiff wurde wieder weit abgetrieben – die Odyssee nahm wieder ihren Lauf.

Wind und Gegenwind

Was hat das nun wieder mit der Börse zu tun, werden Sie sich fragen, wenn Sie dies lesen. Es sind zwei Gedanken, die ich als langjähriger Beobachter an der Börse vermitteln möchte: An der Börse gehören Stürme mit dazu und der Wind gibt nicht nur Auftrieb, sondern bläst uns gerne mitten ins Gesicht. Auch wenn dies in längeren Phasen der Flaute gerne vergessen wird und immer neue Leichtmatrosen schmerzlich lernen müssen, dass ein Schiff auch stark schwanken kann, die Börse richtet sich nach den Märkten, den Menschen, und wir sind alles, nur nicht phlegmatisch (zumindest die bestimmende Mehrheit). Sonst hätten die Gefährten des Odysseus den Sack Sack sein lassen und nicht hineingeschaut. Odysseus wäre nicht erst nach zehn Jahren heimgekehrt – doch was hätte Homer zu erzählen gehabt?

Größe ist nicht alles

Doch wie im echten Sturm kann man auch an der Börse Vorsichtsmaßnahmen treffen, um größeren Schaden abzuwehren. Zum einen gibt es Produkte, die stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als andere, ob es nun Zertifikate oder Aktien von Unternehmen mit viel Hype und wenig Substanz sind. Wer als zu leicht befunden wird an der Börse, den zieht es gerne in die Tiefe. Daneben gibt es Dickschiffe, die so ein temporärer Sturm nicht aus der Bahn wirft und schon gar nicht zur Umkehr zwingt. Doch Größe ist nicht alles, darauf muss ich in einer auf Nebenwerte spezialisierten Publikation nicht ausdrücklich hinweisen. Die starken Kursrückschläge z.B. von Meta (vormals Facebook) oder von DAX-Werten wie Delivery Hero mögen es beweisen. Wer als kleinerer Nischenplayer seine Märkte und seine Investoren fest im Blick hat, der manövriert ebenfalls zielsicher durch die raue See. Bedenken Sie bei der Wahl von Aktien, dass diejenigen mit den höchsten Chancen auch das größte Risiko tragen. Achten Sie vor allem darauf, wer diese Chancen so vehement vertritt, ob es sich aus dem Unternehmen und seinen Daten speist oder von willigen Mediatoren getragen wird, die gar nicht uneigennützig agieren können, weil sie vordringlich an Auflage und Clicks interessiert sein müssen.

Volatilität beachten

Genauso, wie Sie Ihre Gartenmöbel festzurren sollten, bevor der Sturm kommt, sollten Sie Ihr Depot gegen Stürme sichern und immer wieder überprüfen, ob es den Wellen aus Euphorie und Skepsis standgehalten oder seine Struktur dramatisch verändert hat. Achten Sie bei der Wahl Ihrer Aktien auch auf die Volatilität (Vola) als wichtige Kennzahl. Setzen Sie nicht ausschließlich auf Werte mit hoher Volatilität, die in guten Zeiten zwar viel Freude machen (können), in schlechten aber eher das Gegenteil bewirken. Ihre Schwankungsanfälligkeit ist hoch und sie sollten in einem ausgewogenen Depot nur einen geringen Anteil einnehmen. Apropos Delivery Hero, der Titel zählt zu den DAX-Werten mit der höchsten Volatilität, noch höher als beispielsweise Tesla (über 120 Tage liegt die Volatilität laut Bloomberg bei Delivery Hero bei 77,1, bei Tesla bei 61 und bei der Allianz beispielsweise bei nur 19!).
 
Und zuletzt, die Zeit heilt alle Wunden. Odysseus brauchte bekanntlich zehn Jahre, um endlich ins heimatliche Ithaka zu gelangen und musste, um seine Gattin Penelope endlich wieder in die Arme schließen zu können, noch einige Dutzend Freier abschlachten. Sie müssen, um Ihre Aktien für die Altersvorsorge oder eine größere Anschaffung zu nutzen, nur den Staat mit 25 Prozent „beteiligen“ – das klingt doch einigermaßen human.
Der Text erschien zuerst im Nebenwerte-Journal

Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent (online und offline) und Autor. Gemeinsam mit Ulrich Kirstein hat er Börsenpsychologie simplified, 2. Auflage 2015, erschienen im FinanzBuchVerlag, geschrieben. Für die Börse München außderdem das Booklet Psychofallen an der Börse. Wie wir sie erkennen und vermeiden. (2. Auflage 2021)

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