Japanische Aktien bieten eine historisch günstige Inflationsabsicherung

Richard Kaye, Comgest
Richard Kaye / Bild: Comgest
Die Regierungskoalition in Japan hat zwei Tage nach dem tödlichen Attentat auf den ehemaligen Premierminister Shinzō Abe einen klaren Sieg bei der Oberhaus-Wahl erzielt. Die Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr Koalitionspartner Komeito sicherten sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit und können nun die von Abe jahrelang angestrebte Reform der pazifistischen Verfassung Japans vorantreiben. Die Bestätigung der politischen Richtung, gepaart mit der moderaten Inflation und der Wiedereröffnung des Landes dürfte dazu beitragen, dass Japan in diesem Jahr zu den Märkten mit der besten Performance gehören könnte. Die Aufholjagd, die eigentlich erst mit der Regierung unter Abe im Jahr 2012 begonnen hat, sollte daher weiter an Fahrt gewinnen.
Ironischerweise ist Japan eine Nation, die nichts gegen ein bisschen mehr Inflation hätte. Selbst steigende Energiekosten und der globale Druck auf die Lieferketten haben Japan nicht dazu verholfen, das Inflationsziel der Zentralbank von 2 Prozent zu erreichen. Die Bank of Japan löste die stärksten Kursverluste des Yen seit fast 50 Jahren aus, indem sie sich dem globalen Druck zur Anhebung der Zinssätze widersetzte. Als Folge haben Anleger einige der erfolgreichsten japanischen Wachstumsunternehmen abgestoßen und sich auf Bank- sowie Immobilienaktien gestürzt – mit der Überzeugung, dass eine Value-Rotation in vollem Gange ist. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass das Land als sicherer Hafen vor einem unkontrollierten Preisanstieg gilt. Wir haben keine Immobilieninflation, keine junge Verbraucherbasis und keine Lohninflation in Japan. All diese Aspekte überzeugen uns, dass Japan in der aktuellen Inflationsdebatte anders gesehen werden sollte.
 
Der durchschnittliche Grundstückswert in Japan stieg im März um 0,6 Prozent – der erste Wachstumsschub seit zwei Jahren. Die Immobilienpreise sind jedoch weiterhin nicht in der Lage, sich zu erholen, und setzen damit den Abwärtstrend fort, der durch das Platzen der Vermögensblase im Jahr 1991 und durch die globale Finanzkrise ausgelöst wurde. Japan hat die älteste Bevölkerung der Welt: 28,7 Prozent der Einwohner sind mindestens 65 Jahre alt. Schätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2036 sogar jeder dritte Einwohner 65 Jahre oder älter sein. Die alternde Bevölkerung des Landes hat keine so hohe Konsumbereitschaft wie die jüngeren Verbraucher in den USA und Europa. Die effektive Lohninflation wird begrenzt, da Japan keine Covid-bedingten Ausgangssperren für seine Einwohner erlassen hat, wodurch die Wirtschaft kein neues Personal einstellen musste.

Marktstimmung darf nicht über fundamentale Werte hinwegtäuschen

Würden aktuell die Energiepreise nicht rasant ansteigen, könnte die Inflation sich sogar im Minusbereich bewegen. Folglich ist der typische Schaden, den die Inflation dem Standardmodell des diskontierten Cashflows zufügt, nicht so groß wie in anderen Regionen. Eine Abkehr von japanischen Wachstumswerten macht keinen Sinn, außer die Fundamentaldaten des Unternehmens sind nicht gut. Einige Qualitätsunternehmen mussten allein aufgrund der allgemeinen Marktstimmung Kursverluste hinnehmen. Im Januar 2022 fielen zum Beispiel die Aktienkurse von M3 und Sysmex, zwei großen japanischen Wachstumsunternehmen, genauso stark wie der Kurs der Amazon-Aktie während der Dotcom-Blase. Betrachtet man jedoch nur die Performance der beiden Unternehmen, gibt es keinen offensichtlichen Grund für den Rückgang. M3 bietet Medizinern ein Online-Portal für den Austausch fachlicher Informationen – etwa wie man eine Krankheit richtig diagnostiziert – und entsprechende Dienstleistungen. Das Unternehmen hat eine operative Gewinnmarge von fast 30 Prozent und ist Teil des japanischen Gesundheitswesens, das reif für Modernisierung und Digitalisierung ist.

Wachstumsunternehmen in Wachstumsbranchen

Das auf Diagnosegeräte spezialisierte Unternehmen Sysmex hat eine ähnliche Geschichte vorzuweisen, wobei dessen Aktienkurs seit Januar 2022 ebenfalls stark gefallen ist. Nichtsdestotrotz hat das Unternehmen einen Vorsprung vor nicht-japanischen Konkurrenten, da in Japan die Nachfrage nach Tests für Krankheiten wie Magenkrebs und Diabetes traditionell höher ist. Derzeit entwickelt Sysmex Roboter zum Assistieren bei chirurgischen Eingriffen und arbeitet an einem Verfahren zur Erkennung von Alzheimer. In einer alternden Gesellschaft gibt es nur wenige Sektoren, die so viel Rückenwind erfahren wie medizinische Tests und diagnostische Dienstleistungen. Der Cashflow und das vorhersehbare Gewinnwachstum sind nach wie vor stark, was Sysmex unserer Meinung nach zu einer bedeutenden japanischen Wachstumsstory macht. Die Abkehr von so einem Unternehmen erachten wir daher nicht als sinnvoll. Ein weiteres Beispiel ist GMO Payment Gateway, der größte Anbieter von Online-Zahlungen und bargeldlosen Transaktionsdiensten in Japan. Dieses Thema wird vermutlich von Experten in allen Regionen als vielversprechend eingeschätzt, aber Japan geht erst langsam zum bargeldlosen Zahlungsverkehr über, was bedeutet, dass es noch viel Luft nach oben gibt. GMO Payment Gateway erlebte in den letzten 12 Monaten einen starken Kurseinbruch, der jedoch nicht durch Verschulden des Unternehmens entstanden ist – das KGV war nämlich sehr hoch, wurde aber durch transparente Gewinne bzw. transparentes Gewinnwachstum gerechtfertigt.

Value-Aktien mit rauerem Klima konfrontiert

Die Geschichte der japanischen Wachstumsaktien ist aktueller denn je. Das Land hat im Frühling endlich seine letzten Covid-Beschränkungen aufgehoben und der Alltag sowie die Erträge der Unternehmen normalisieren sich wieder, sodass vielversprechende Unternehmen noch deutlicher erkennbar sind. Es ist daher davon auszugehen, dass mehrere zyklische Sektoren, wie Banken und Immobilien, die aufgrund der Inflationsangst der Anleger einen Aufschwung erlebten, bald mit einem raueren Klima konfrontiert sein könnten, sodass die wirklich nachhaltigen Wachstumsstorys in den Vordergrund treten. Einige der stärksten Unternehmen Japans haben schon viele Krisen überstanden, beispielsweise 70 Jahre Währungsaufwertung, Mangel an natürlichen Ressourcen, Beschränkung von bewohnbarem Land, Diebstahl von geistigem Eigentum und Naturkatastrophen. Aus langfristiger Perspektive ist Japan ein gutes Argument gegen breit angelegte Sektor-Wetten. Denn die Flucht in Value-Aktien macht keinen Sinn, wenn die Inflation im weltweiten Vergleich immer noch gering ist. Anleger laufen dann verstärkt Gefahr, starke Wachstumsunternehmen zu verpassen.
Richard Kaye ist Portfoliomanager bei der internationalen Fondsgesellschaft Comgest und Portfoliomanager des Comgest Growth Japan.
Stand der Daten: 31. Mai 2022
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