Warum Anleger kaum noch Corporate Bonds handeln können

Dr. Robert Ertl
Dr. Robert Ertl / Bild: Bayerische Börse AG
Stellen Sie sich vor, Sie möchten an der Börse Ihr Depot umschichten und einige Ihrer Anleihen großer, weltweit agierender Unternehmen aufstocken. Oder Sie haben zusätzliches Kapital zur Verfügung und wollen dies neu anlegen. Bei vielen börsennotierten Corporate Bonds erhalten Sie einen angemessenen Zinssatz, zumindest höher als bei Bundesanleihen oder dem Sparbuch, bei eingrenzbarem Risiko und festgelegtem Auszahlungsdatum. Die einmal emittierten Wertpapiere sind, wenn sie an der Börse notiert sind, außerdem jederzeit handelbar.
 
Das Problem: Sie bekommen diese Anleihen, obwohl sie vielleicht sogar welche im Depot liegen haben, mit großer Wahrscheinlichkeit heute nicht mehr. Was Sie als sicheren Halt in Ihr Depot gelegt hatten, wurde von zwei Gesetzesinitiativen ausgebremst: Der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive) und der Verordnung für Basisinformationsblätter PRIIPS (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products – also verpackte Anlageprodukte). Diese Gesetzesinitiativen legten es in den Giftschrank mit dem Vermerk: „Nur für Profis“! Sind die Anleihen plötzlich zu unsicher für Privatanleger geworden? Schwebt der Pleitegeier über den Unternehmen? Nein, es sind reine Bürokratie und missverstandener Anlegerschutz, die Sie künftig vor diesen Anlagen „schützen“.
 
Warum also können Sie schätzungsweise zwei Drittel aller Unternehmensanleihen als „normaler“ Privatanleger nicht mehr kaufen? Es sind im Prinzip drei Gründe, die es Ihnen nahezu unmöglich machen, in eine große Bandbreite von Anleihen zu investieren und Ihr Vermögen optimal zu diversifizieren.

Erstens: Die Sache mit der Zielmarktdefinition

Die Emittenten, die Bonds im Euroraum herausgeben wollen, müssen nach MiFID II im Rahmen der „Product Governance“ in einer Zielmarktdefinition festlegen, wer in ihr Produkt überhaupt investieren darf. Was ist für welche Kundengruppen geeignet? Mag es für komplexe Hebelprodukte noch sinnvoll erscheinen, diese für Anleger mit Erfahrung und tiefem Geldbeutel handelbar zu gestalten, erscheint das bei relativ sicheren und vor allem einfach zu verstehenden Anleihen unklar. Für Emittenten bedeutet eine Ausweitung der Zielmarktdefinition auf Privatanleger bürokratischen Mehraufwand und Haftung, so dass sie in der Regel davon Abstand nehmen.

Zweitens: Die Furcht vor „strukturierten Anlageprodukten“

Die ESMA (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde) klassifiziert aufgrund der neuen MiFID II-Regelungen Anleihen je nach deren Ausgestaltung als „strukturierte Anlageprodukte“. So enthalten fast alle US-Anleihen eine sogenannte „Make-Whole-Klausel“, die eine vorzeitige Rückzahlung durch den Emittenten erlaubt – in der Praxis selten genutzt. Das macht sie, zumindest in den Augen der ESMA, bereits zu „strukturierten Anlageprodukten“. Auch sogenannte „Floater“, also Anleihen, die während ihrer Laufzeit die Zinsen verändern (können), werden in diese Klasse geschoben. „Strukturierte Anlageprodukte“ unterliegen jedoch der PRIIPS-Verordnung. Das heißt, Privatanleger verstehen diese Produkte angeblich nur, wenn ein sogenanntes KID (Key Information Document)  in der Form eines Basisinformationsblattes für verpackte Finanzprodukte beigegeben wird.

Drittens: die unerreichbare Stückelung

Viele Unternehmen greifen zu einem anderen Mittel, um Bürokratie und Haftung mit der Ausweitung auf Privatanleger einzudämmen. Sie setzen die Mindest-Stückelung auf 100.000 Euro hoch. Das erspart Emittenten die aufwändige Prospekterstellung für die Emission. Schätzungsweise zwei Drittel aller neu emittierten Anleihen an der Börse München haben inzwischen eine Stückelung von 100.000 Euro – für die meisten Privatanleger eine Größe, in der nicht sinnvoll diversifiziert werden kann und durch die sie faktisch von dieser Anlageklasse ausgeschlossen werden.

Am Beispiel der Börse München

Die Börse München hat bei Bonds ganz allgemein (neben Unternehmens- auch Staatsanleihen aus mehr als 60 Ländern dieser Welt) im börslichen Handel einen Marktanteil von knapp 30 Prozent, Stand Mai 2019. Von den insgesamt etwa 12.500 handelbaren Bonds sind derzeit mehr als 8.800 Corporate Bonds. Bei einem Vergleich der Umsätze von Anleihen der ersten fünf Monaten 2018 mit den ersten fünf Monaten 2019 an der Börse München hat sich gezeigt: Anleihen sind weiterhin begehrt bei Anlegern, insbesondere in volatilen Zeiten an der Börse. Es sind aber vor allem die vermögenden Privat- und Firmenkunden, die von einer Investition in Anleihen profitieren, denn das Volumen pro Anleihe fiel deutlich größer aus. Daneben sind es auch institutionelle und semi-institutionelle Anleger, also beispielsweise Vermögensverwalter oder Family Offices, die größere Tickets handeln können.

Was die MiFID eigentlich wollte

Zum Schluss sei noch einmal daran erinnert, was die Intention der MiFID II eigentlich ist. Die Transparenz sollte erhöht, Anleger besser geschützt, und damit das Vertrauen in die Finanzindustrie verbessert werden. Im vorliegenden Fall ist eher das Gegenteil eingetreten: Anleger werden vor einer einfachen und vergleichsweise wenig volatilen Anlage „geschützt“. Klarheit, in welche Anleihen sie nun noch investieren können, ist nicht vorhanden und das Vertrauen in die Märkte (und den Gesetzgeber) ist keinesfalls verbessert worden.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Version und erschien zuerst in „Profil – das bayerische Genossenschaftsblatt“, dem Online-Magazin des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Dort kann er in voller Länge abgerufen werden. Robert Ertl nennt darin auch Alternativen zu Corporate Bonds für Anleger.
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