Dirndl – sehr viel mehr als nur eine Tracht

Ulrich Kirstein
Kurz oder Lang / Grafik: UniBrand
Wir haben uns an dieser Stelle bereits mehrfach zum Thema Tracht und Wiesn geäußert. Einen gewissen Skeptizismus gegenüber dem größten Volksfest der Welt und der dabei in Mode gewordenen Tracht konnten wir dabei kaum verbergen. Bisher waren das Halstuch, die Lederhose und das meist rotkarierte Hemd Gegenstand der Betrachtung. Eindeutig männerlastig, typisch Finanzbranche! Deshalb kommen wir heute einmal auf das Dirndl zu sprechen.
 
Das ist allerdings nicht ganz ungefährlich. Der echte Bayer versteht unter Dirndl sehr viel mehr als nur eine Tracht, denn mit einem „feschen Dirndl“ ist kein schönes Kleid, sondern eine hübsche Frau gemeint. Schließlich leitet sich das Worts ursprünglich von „Dirn“ gleich „Dirne“ her, der pejorative Aspekt dieses Wortes ist erst eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bis dahin war die „Dirn“ die normale Bezeichnung für Magd, und das, was Mägde damals trugen, war schlicht ihr Dirndl-Gewand. Schlicht ist wörtlich zu nehmen, denn zum Arbeiten hatten die Frauen damals selbstverständlich kein reich verziertes und aus teuren Stoffen zusammengesetztes Gewand an wie sie Trachtenläden heute anbieten. Allerdings auch nicht den Synthetik-Schrott, den es in Billigläden rund um den Münchner Flughafen und am Bahnhof zur Wiesnzeit zu erwerben gibt.

Dirndl – das Kleid

Man könnte also – in Anlehnung an den Spruch von Volkswagen – unter Dirndl schlicht „Das Kleid“ verstehen. Genauer: Das Kleid zur Arbeit und mit anderer Schürze aufgepeppt für den Feierabend. Das Dirndl, wie wir es heute kennen, ist, wie die Lederhose, tatsächlich eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die weibliche, städtische Oberschicht trug Dirndl, wenn es in die Sommerfrische aufs Land ging. Was die dortigen Mägde dann darüber dachten, ist weniger bekannt. Eine gewisse Lust an der Verkleidung ist aber schon da erkennbar. Im 20. Jahrhundert galt ein Dirndl vor allem als günstig und praktisch, im Gegensatz zu den üblichen per Hand genähten Kleidern und Kostümen, die teuer und schwer zu pflegen waren.

Wie soll ein Dirndl aussehen?

Wie aber sollte ein solches Dirndl beschaffen sein? Schließlich gibt es alljährlich auf der Wiesn Dirndl zu besichtigen, die bis weit übers Knie oder bis zum Knöchel reichen, in gediegenen Farben oder knallbunt prangen, einen tiefen Einblick erlauben oder hoch geschlossen sind, mit allerlei Zierrat behängt oder schlicht daherkommen, und, und, und. Den tiefen Ausschnitt und die kurzen Ärmel hat die Tracht im Übrigen der „Reichsbeauftragten für Trachtenarbeit“ aus der Zeit des Nationalsozialismus zu verdanken, aber das wollen wir hier nicht unnötig vertiefen. Denn, auch wenn die ebenfalls aus dem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Trachtenvereine zur Bewahrung der heimischen Tracht es gerne verleugnen – auch die Tracht unterliegt der Mode.

Ein wenig Tradition

Als Ausgangspunkt für ein Dirndl dient heute vor allem die Miesbacher Tracht, die geradezu als Inbegriff bayerischer Tracht gilt. Das hat sie weniger ihrer Authentizität zu verdanken – sie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts – als ihrer Beliebtheit beim nahen städtischen Publikum Münchens. So trug der bayerische Prinzregent Luitpold gerne Miesbacher Tracht – aber natürlich kein Dirndl!
Im Prinzip gibt es drei Arten der bayerischen Frauentracht: Den Schalk (der erst nach dem 2. Weltkrieg offiziell zur Tracht erklärt wurde), das Röckigewand und das Kasettl.
 
Der Schalk ist ein kunstvoll verziertes, schwarzes Kleidungsstück, das zu hohen Festtagen und zur Hochzeit – man heiratete über lange Zeit hinweg in Schwarz – getragen wurde. Das Oberteil (Schalk-Janker) und der Rock (Kittl) werden aus Seidenbrokat hergestellt, also aus gemustertem Seidenstoff. Dazu trägt Frau eine einfarbige Schürze und einen kleinen, runden Hut. Um den Hals und Rücken gibt es eine Art Kragen, für Modefüchse ein Garnier, das aus etwa 50 Meter Spitze und 4 Meter Stoff aufwendig gearbeitet wird, um hier nur die wesentlichsten Stücke zu nennen, wir wollen ja kein Modelexikon erstellen.
 
Das Röckigewand und das Kasettl sind wesentlich einfacher gehalten und entsprechen insofern eher dem, was wir heute allgemein als Dirndl verstehen. Allerdings sind die Röcke immer lang, die Stoffe dunkel, meist schwarz, mit blauen oder weinroten Schürzen und mit kleinem, rechteckigem Ausschnitt versehen.
 
Übrigens, wo Frau ihre Schürze bindet, ob vorne links, rechts, mittig oder hinten, ist völlig bedeutungslos. Die Zuordnung zu einem bestimmten Status, vergeben, solo, Jungfrau oder Witwe, ist eine späte Erfindung.

Global oder regionales Bewusstsein?

Heute wird die Rückbesinnung auf Trachten ganz allgemein bei Alt und Jung auch als ein Zeichen gegen die allseits fortschreitende Globalisierung und Nivellierung gesehen. Da die bayerische Tracht inzwischen aber auch gerne von Bürgern mit dem unterschiedlichsten Migrationshintergrund, von Touristen aus aller Welt und sogar von Norddeutschen getragen wird, kann sie auch als globaler Ausdruck für eine besondere Verbundenheit zu Bayern gesehen werden.
 
Nun, nehmen wir es wie es ist, das Dirndl geht mit der Mode, wie auch nicht. Insofern wollen wir nur eine Einschränkung gelten lassen: Damit es nicht zur reinen Verkleidung verkommt, sollte auf Dauerhaftigkeit und Qualität geachtet werden, denn das war und ist immer das Wesen der Tracht.