John Vail, Nikko AM
Nichts wird im Jahr 2021 so positiv auf die Wirtschaft wirken wie flächendeckende Impfungen. Aber auch die Rückkehr der Inflation ist eine gute Sache. Inflation trifft Menschen mit niedrigem Einkommen am meisten, da sie fast ihr gesamtes Einkommen für den täglichen Bedarf und die Miete ausgeben. In der aktuellen Situation setzen die Zentralbanken jedoch vor allem auf die Beschäftigung. Reflation soll Arbeitsplätze schaffen. Im Mittelpunkt der US-Demokraten stehen denn auch umfassende Staatsausgaben, Infrastruktur-Investments und Mindesteinkommen. Das alles hilft Amerikanern mit niedrigem Einkommen.
Auch der virus-geschwächten Konjunktur sollte dieser Kurs auf die Beine helfen. Die Zinssätze werden durch die Käufe der Zentralbanken und die Befürchtungen der Anleiheinvestoren niedrig gehalten. Allerdings scheinen diese Ängste zu schwinden: Die Inflation(serwartungen) steigt(en) schneller als erwartet. Der Verbraucherpreisindex CPI liegt bereits über dem Niveau von vor der Pandemie. Zudem drosseln die Saudis die Ölproduktion, obwohl der Ölpreis in US-Dollar fast wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht hat. Das dürfte mit dem schwächeren US-Dollar zusammenhängen – in Euro liegt der Ölpreis weit unter diesem Niveau. Teureres Öl, ein schwächerer US-Dollar und steigende Lebensmittelpreise könnten den CPI in den USA im zweiten Quartal auf 4 Prozent treiben. Im zweiten Halbjahr sind deutlich über 3 Prozent möglich. Zum Teil ist dies auf Basiseffekte zurückzuführen, aber selbst auf annualisierter Sechsmonatsbasis dürften die Verbraucherpreise – wenn es nicht zu einer massiven Verlangsamung bei den Wohnungsmieten kommt – im gesamten Jahr 2021 bei 3 Prozent oder darüber und in einigen Monaten sogar bei 4 Prozent liegen. Gegen Jahresende könnte die Fed die Rückführung der Anleihekäufe signalisieren, aber sie müsste dies schnell tun, um die Inflation fürs Jahr 2022 einzudämmen. Ein erheblicher Gegenwind für die Reflationierung könnte darin bestehen, dass die Anleiherenditen viel schneller steigen als erwartet.

Inflationäres Wirtschaftswachstum

Auch Japan, Europa und ein guter Teil der übrigen Welt werden wahrscheinlich ein inflationäres Wirtschaftswachstum erleben, da die Öl- und Immobilienpreise weiter steigen. Wenn der US-Dollar schwach ist, kann die Inflation in anderen Ländern zwar etwas eingedämmt werden, aber wir gehen davon aus, dass Japan einiges dafür tun wird, um eine Yen-Stärke zu verhindern, und auch Europa wird sich einer Euro-Stärke bis zu einem gewissen Grad widersetzen. Da die gesellschaftlichen Unterschiede in den meisten anderen Industrieländern geringer sind als in den USA, dürften größere Erhöhungen des garantierten Einkommensniveaus außerhalb der USA nicht üblich sein. Das könnte die Inflationsängste dämpfen.

ESG wird die Investmentlandschaft prägen

Alle diese Faktoren verändern sich relativ schnell. Andere befördern einen langfristigen Aufwärtstrend. So legen ESG-Anlagethemen, einschließlich alternativer Energien und technologischer Verbesserungen, weiter zu. Sie werden die Investmentlandschaft für die nächsten Jahrzehnte prägen. Auch die Neugestaltung der globalen Lieferketten dürfte weitergehen. Die ASEAN-Länder werden weiterhin ein großer Nutznießer dieses Trends sein. Interessant wird sein, wie sehr die Regierung Biden die Rückverlagerung von Kapazitäten ins Inland betreiben wird. Chinas Unternehmen werden derweil weiterhin vom Ausbau des eigenen Internets und von der Förderung neuer Hi-Tech-Industrien profitieren.
John Vail ist Chief Global Strategist bei Nikko Asset Management