Von einer globalen Pandemie, Lockdowns und Rekordständen

Thomas Metzger, Bankhaus Bauer
Thomas Metzger / Bild: Bankhaus Bauer
Das Jahr 2020 war im negativen Sinne historisch. Die Corona-Pandemie führte zu Millionen Kranken und Hunderttausenden Toten. Die Weltwirtschaft brach ein, unser Alltag war seit März quasi durchgehend eingeschränkt – mal mehr, mal weniger. Dennoch schlossen die Aktienleitindizes weltweit auf oder im Dunstkreis ihrer Allzeithochs.

Ein Knall mit Ankündigung

Das vergangene Jahr startete für Aktien zunächst erfreulich. Noch Mitte Februar verzeichneten die führenden Indizes in Europa und den USA Allzeit- beziehungsweise Mehrjahreshochs. Dabei wurden zu dieser Zeit in China schon Städte mit einer Millionenbevölkerung vollständig isoliert. Damals erkannte man in der westlichen Welt jedoch noch nicht die Gefahr, die sich für die Menschen rund um den Globus anbahnte. Erst Anfang März, dafür umso schneller, reagierten auch die Märkte in Europa und Amerika und crashten innerhalb von rund zwei Wochen in vorher selten gesehenem Umfang und Tempo. Investoren waren panisch, der Interbankenmarkt, mit dessen Hilfe sich Kreditinstitute Geld leihen, trocknete vorübergehend, ähnlich wie der Markt für Unternehmensanleihen aus.
 
Im zweiten Quartal kam es zu den erwarteten deutlichen Konjunktureinbrüchen in allen Teilen der Welt. An den Aktienmärkten war der Schock zu dieser Zeit jedoch bereits verdaut und es fand eine gewisse Entkoppelung von der Realwirtschaft statt. Von den Tiefpunkten Mitte März setzten Dividendenpapiere zu einer starken und nachhaltigen Erholung an, welche die Leitindizes bereits bis Mitte Juni wieder auf Niveaus hievten, die von denen am Jahresanfang nicht weit entfernt lagen oder diese sogar übertrafen. So stand der amerikanische S&P 500 per Schlusskurs am 9. Juni seit Jahresbeginn marginal im Plus, während der Nasdaq (US-Technologieindex) sogar schon einige Tage zuvor ein neues Allzeithoch erreichen konnte, welches im weiteren Jahresverlauf sukzessive weiter ausgebaut wurde. Begründet lag diese starke Erholungsbewegung vor allem in den umfangreichen Hilfsmaßnahmen von Notenbanken und Staaten. Unter anderem senkte die amerikanischen Zentralbank Fed den Leitzinskorridor von 1,50 -1,75 Prozent im März in zwei Schritten auf 0 - 0,25 Prozent und die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte ihren „Whatever it takes-Moment“, als sie am 18. März die Auflegung des „Pandemic Emergency Purchase Programme“ (PEPP) bekannt gab, ein Programm zum Ankauf von Anleihen öffentlicher und privater Schuldner. Das Paket hatte zunächst einen Umfang von 750 Mrd. Euro und sollte bis Ende 2020 gelten. Anfang Juni wurde es sogar auf 1.350 Mrd. Euro aufgestockt und bis Juni 2021 verlängert. Wohlgemerkt, dieses Rettungsprogramm galt in Ergänzung zum ohnehin bestehenden Kaufprogramm der EZB („Asset Purchase Programme“, APP), welches erst wenige Tage zuvor um 120 Mrd. Euro bis Ende 2020 aufgestockt wurde. Die schier unglaubliche Menge an Liquidität, die von den Notenbanken zur Verfügung gestellt wurde, und die Aussicht darauf, dass die Maßnahmen inklusive der Nullzinspolitik länger gelten sollten als die Auswirkungen der Pandemie die Wirtschaft schwächen, führte dazu, dass die Attraktivität von Aktien wieder zunahm.

Konjunkturelle Erholung im dritten Quartal

Weiter unterstützt wurden die Börsen zudem von einer (teils erstaunlich schnellen) konjunkturellen Erholung zu Beginn des dritten Quartals. Bis Ende September schien die Welt für die Aktienmärkte daher in Ordnung: Die Wirtschaft kehrte vermeintlich zurück zur Normalität, die Stützungsmaßnahmen von Notenbanken und Staaten dürften noch einige Zeit beibehalten werden und an Impfstoffen wurde ja auch bereits gearbeitet. Im Oktober wurden die Investoren jedoch vorübergehend wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die Quartalsergebnisse vieler Unternehmen zeigten, dass die Wirtschaft keineswegs schon „über den Berg“ ist und selbst vermeintliche Gewinner von den Umständen teils er-heblicher betroffen sind als gedacht. Der Weg zurück zu den Niveaus von 2019 schien doch langwieri-ger, als von manchem Optimisten zuvor erwartet.

Die erwartete zweite Welle – pünktlich zum Showdown in den USA

Im Alltag wurde noch deutlicher, dass die Pandemie eher weiter auf dem Vormarsch als auf dem Rückzug war. Vor allem in den USA blieben die Infektionszahlen außer Kontrolle und Europa sah sich der erwarteten „zweiten Welle“ ausgesetzt. Frankreich ging in den Lockdown, Deutschland sollte später folgen und in dieser Gemengelage wurde zusätzlich auch ein zweites Thema akut: Die US-Präsidentschaftswahl. Nach zuvor recht eindeutigen Prognosen wurde das Rennen zwischen Amtsinhaber Donald Trump und Joe Biden bis zur Wahl am 3. November immer enger.
 
Die hohe Unsicherheit in beiden Themen führte bis Ende Oktober zu einer deutlichen Korrektur an den Märkten, wenngleich die Tiefstände aus März bei weitem nicht erreicht wurden. Pünktlich am Tag nach der US-Wahl endeten die Kursrückgänge jedoch und es setzte eine erneute Kehrtwende ein. Obwohl das Ergebnis, nämlich kein eindeutiger Gewinner, unserem „Worst Case-Szenario“ entsprach, zogen die Aktienmärkte seit diesem Tag wieder an. Neben dem sich in den Folgetagen herauskristallisierenden Gewinn Joe Bidens war die Rallye an den Märkten vor allem darin begründet, dass sowohl Biontech/Pfizer als auch Moderna kurz nach der Wahl überzeugende Studienergebnisse ihrer Impfstoffe gegen das COVID-19-Virus präsentierten und die Zulassung beantragten. Das Licht am Ende des Tunnels ließ die Investoren zum Ende des Jahres auf ein besseres 2021 hoffen.

Wenn's einmal läuft, dann läuft's

Den Unsicherheitsfaktor „US-Präsidentschaftswahl“ hinter sich gelassen und aufgrund der Zulassung von Impfstoffen wurde die Hoffnung auf eine konjunkturelle Erholung in 2021 gestärkt. Als wenn diese Nachrichten nicht genug wären, unterstrichen die Notenbanken in den USA und Europa, dass die offensive Geldpolitik noch etwas anhalten dürfte. Während die US-Fed ihren expansiven „Fahrplan“ zunächst nur kommunikativ bekräftigte, schritt die EZB Mitte Dezember zur Tat und erhöhte das Pande-mierettungsprogramm um weitere 500 Mrd. Euro auf nunmehr stolze 1,85 Billionen Euro. Gleichzeitig sollen die Maßnahmen bis März 2022 oder länger gelten, die Liquidität fälliger Wertpapiere soll sogar bis mindestens Ende 2023 reinvestiert werden.
 
Die „Kirsche auf der Sahne“ bekamen Aktieninvestoren schließlich in den letzten Tagen des alten Jahres präsentiert. Nicht nur konnten sich Demokraten und Republikaner in den USA endlich auf ein weiteres Konjunkturpaket einigen. Auch die vermeintliche Never-Ending-Story rund um den Brexit fand kurz vor Toresschluss mit einem (Handels-) Abkommen zwischen Großbritannien und der EU ein Happy End.
 
Auch wenn die Corona-Pandemie weiterhin nicht im Griff ist und der Impfprozess in vielen Ländern sicherlich länger und weniger gradlinig verlaufen dürfte als mancher sich aktuell wünschen mag, das Umfeld für Aktien konnte in den letzten Tagen des Jahres kaum besser sein. Dies machte sich auch in den Leitindizes weltweit bemerkbar. Die amerikanischen Börsenbarometer beendeten das Jahr allesamt auf ihren Allzeithöchstständen und auch der deutsche DAX verblieb nur leicht darunter. Lediglich der Euro Stoxx 50 fiel demgegenüber etwas ab und verbuchte im Jahresverlauf eine negative Entwicklung.

2021 – Die Zeit nach Corona

Beenden die Aktienindizes das Jahr auf, beziehungsweise in der Nähe, ihrer Allzeithochs, stellen sich viele Investoren automatisch die Frage, wie weit der Aufschwung an den Börsen denn noch gehen kann. Steht uns nicht ein schwieriges Aktienjahr 2021 bevor, zumal unser Alltag durch die Corona-Pandemie ja weiterhin stark beeinträchtigt ist? Vielen Anlegern kommt diese Diskrepanz aus „Stillstand im Alltag“ und Rekordständen an den Aktienmärkten wie ein Widerspruch vor. Nüchtern betrachtet erscheint das Umfeld für Aktien jedoch gut wie lange nicht mehr. Zwar wird die Weltwirtschaft durch die zweite Infektionswelle aktuell ausgebremst, allerdings blicken die Investoren bereits jetzt auf die Zeit danach. Die wirtschaftliche Talsohle sollte im ersten Quartal durchschritten werden, im weiteren Jahresverlauf ist anschließend eine deutliche Erholung zu erwarten. Der bereits international angelaufene Impfprozess, in Kombination mit besserem Wetter ab dem Frühjahr, dürften dafür sorgen, die Pandemie im Jahresverlauf zumindest größtenteils in den Griff zu bekommen. Die gleichzeitig expansive Fiskal- und Geldpolitik von Staaten und Notenbanken sollte die Spätfolgen der Pandemie für die Wirtschaft zudem in der Breite in Grenzen halten. Natürlich sehen sich weite Teile des stationären Einzelhandels und die Gastronomie genauso großen Herausforderungen ausgesetzt wie beispielsweise die Tourismusbranche – einen „Flächenbrand“, inklusive Bankenkrise, erwarten wir jedoch nicht. Darüber hinaus dürften die konjunkturstützenden Maßnahmen von Staaten und Notenbanken auch mittelfristig beibehalten werden. Dauer-Themen wie ein unberechenbarer US-Präsident oder der Brexit sind ebenfalls Geschichte und von einem nennenswerten Zinsniveau sind wir, vor allem in Europa, wahrscheinlich noch Jahre entfernt. In Anbetracht des günstigen Umfelds für Aktien und mangelnden Alternativen erscheinen uns weiter steigende Kurse daher als wahrscheinlichstes Szenario.

Die ungerade Linie

Nach diesem Plädoyer für Aktien folgt natürlich das typische „aber“: Auch wenn wir mit steigenden Notierungen rechnen, wird sich ein Kursanstieg auch in diesem Jahr nicht als gerade Linie entpuppen. Vielmehr dürfte die Volatilität in 2021 hoch bleiben – zuletzt nicht trotz, sondern auch wegen der Geldflut der Notenbanken. Denn wo viel Geld in die Finanzmärkte fließt, kann auch schnell viel Geld wieder hinausfließen. Temporäre Korrekturen sind also mindestens ebenso wahrscheinlich wie langfristig steigende Aktienkurse. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich die Kursrückgänge in diesem Jahr in Grenzen halten werden und langfristig eher Kaufgelegenheiten bieten. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Entwicklung rund um Corona, im Gegensatz zum Frühjahr 2020, jedem Investor zwangsläufig täglich bewusst gemacht wird. Insofern sind extrem negative und plötzliche Überraschungen beim weiteren Verlauf der Pandemie eher unwahrscheinlich. Als größte Risikofaktoren sehen wir hier vor allem Probleme beim weiteren Impfprozess (bspw. durch logistische Verzögerungen oder auftretende Unsicherheit durch Nebenwirkungen in Einzelfällen) oder aber weitere Mutationen des Virus, gegen welche die Impfstoffe zunächst nicht unmittelbar wirken. Auch Enttäuschungen hinsichtlich des Tempos der wirtschaftlichen Erholung könnten zwischenzeitlich bremsend wirken. Letztlich sehen wir diese Schwächephasen jedoch, wie oben bereits erwähnt, eher als langfristige Chancen an.

Die langfristigen Folgen der Corona-Maßnahmen

Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie stellten sich viele die Frage, wie die Staaten weltweit ihre seit Jahren ansteigende Verschuldung überhaupt eines Tages wieder reduzieren wollen. Die Stützungsmaßnahmen in der Krise und die dadurch nochmals deutlich gestiegenen Schulden lassen dieses Problem noch akuter werden. Die Frage ist, ob der „Point of no return“, die letztmalige Chance einer Umkehr der Schuldenpolitik, nicht schon passé ist. Wirklich kritisch dürfte die Situation in der Eurozone werden, falls die Konjunktur und in der Folge die Inflation mittelfristig anziehen sollten. Im Sinne ihres Ziels der Preisstabilität wäre die EZB dann gezwungen, die Zinsen zu erhöhen. Dies dürfte die Euro-Problemkinder um Italien jedoch vor immense Probleme stellen, haben sie ihre strukturellen Probleme doch niemals wirklich behoben. Die Notenbanken müssten also den Spagat vollführen, Preisstabilität zu erreichen, ohne die seit rund zehn Jahren erfolgten Anstrengungen zur Stabilisierung der Eurozone zu gefährden. Etwas Zeit könnte sich die EZB beispielsweise erkaufen, indem sie der neuen Politik der US-Fed folgt. Diese hatte zuletzt erklärt, dass nach mehreren Jahren mit einer Inflation unterhalb des Zielwerts ein Überschießen der Teuerungsraten in Zukunft für eine gewisse Zeit tolerierbar wäre. Doch auch wenn sie diesem Pfad folgt, wäre dies eben nur ein Spiel auf Zeit. Eine langfristig höhere Inflation in der Eurozone würde über kurz oder lang zwangsweise zu nachhaltigen Problemen im Währungsraum führen. Dieses Szenario gilt es daher im Blick zu behalten, selbst wenn es erst in einigen Jahren akut werden dürfte.
Thomas Metzger (42) ist seit 13 Jahren Leiter Vermögensverwaltung beim Stuttgarter Bankhaus Bauer. Bereits zuvor war er im Portfolio Management, Wertpapierhandel und Aktien-Research sowie für mehrere Banken in den USA tätig. Zusätzlich doziert er an mehreren Hochschulen zu den Themengebieten Portfolio Management und derivative Finanzinstrumente. Bei einem breiten Publikum hat sich Metzger durch seine zahlreichen TV-Interviews, Fachbeiträge etc. einen Namen als Investmentspezialist gemacht.

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