Börsianer während der Wiesnzeit / Bild: BBAG
Am Wochenende startete in München wieder die fünfte Jahreszeit. Fünfte Jahreszeit ist insofern passend, weil ähnlich wie in den Faschings-, Karnevals- und Fastnachtshochburgen, zu denen München schon lange nicht mehr zählt, vor allem auch die Verkleidung eine wichtige Rolle einnimmt. Klar ist die Rede vom Oktoberfest, der Wiesn, und dem inzwischen zum Standardoutfit gewordenen Trachtentragen. Wobei hier Tracht ein ähnlich breites Spektrum einnimmt wie beim Fasching: von der wirklich traditionellen Ausrüstung etwa in der alemannischen Fasnacht über das tatsächliche Verkleiden als Polizist, Pastor oder Scheich, bis hin zum reinen Fantasiegebilde. All dies findet sich auch auf der Wiesn wieder, die traditionelle, auf das 19. Jahrhundert zurückgehende Tracht des Münchner Umlandes, gezeigt vor allem von den Mitgliedern der Trachtenvereine, über mehr oder wenig lustig und ästhetisch zusammengestückelten Trachtenanmutungen bis hin zum Bierkrughut, Wikingerhelm oder Gorillakostüm.
Woher kommt rot-weiß?
Warum ein Städter und gebürtiger Bayer eher nicht zum Trachtentragen neigt, darüber habe ich mich schon voriges Jahr ausgelassen, gerne nachzulesen unter Eine ganz besondere (Heimat-)Bindung. Dieses Jahr interessieren mich die inzwischen die männlichen Trachten dominierenden rot- oder blau-weiß-karierten Hemden, deren Herkunft mir schleierhaft ist. Natürlich resultiert die physische Herkunft vor allem aus den wie Pilze aus dem Boden schießenden Billigtrachtenshops rund um den Münchener Hauptbahnhof, werden aber auch genauso in Edeltrachtenshops in Markenversion angeboten.
Herkunft unbekannt?
Aber wieso soll ein solches Hemd zur »bayerischen Tracht« gehören und den Platz zwischen dem Ende der Lederhose und dem Beginn des meistens nicht bayerischen Kopfes einnehmen? So ist beispielsweise bei der Miesbacher Tracht, die in und um München am häufigsten getragen wird, aber eigentlich erst um 1900 durch die damals entstandenen Trachtenvereine »kreiert« wurde, frei von rotweiß oder weißblau. Das Hemd ist vielmehr aus weißem oder elfenbeinfarbenem Leinen und mit Perlmuttknöpfen versehen. Erst mit der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts kamen verstärkt billigere Baumwollhemden auf - in weiß.
Vom Holzfällerhemd zum Wiesnhit
Machen wir uns also auf die Suche nach dem so gerne getragenen »Kleinkarierten«. Ursprünglich trug der Bauer weiße Hemden um zu zeigen, dass er sich regelmäßiges Waschen leisten konnte. Erst im 20. Jahrhundert wurden farbige und auch gestreifte Hemden Mode. Als reine Arbeitskleidung galten Flanellhemden – und hier wären wir endlich bei karierten Hemden. Sie kommen – wie die Jeans – aus Nordamerika und wurden dort zur Arbeit getragen, was sich noch in der Bezeichnung »Holzfällerhemd« erhalten hat. Da sie mehr aushalten als normale Hemden, werden sie gerne zu Freizeitbeschäftigungen wie Wandern getragen. Tatsächlich fällt in den bayerischen Bergen während des Sommers eine hohe Dichte rotweiß karierter Hemden auf. Da beim Wandern auch gerne Bundhosen getragen werden, könnte über diesen schweißtreibenden »Umweg« tatsächlich das so karierte Hemd Einzug in das, was man unter bayerische Tracht versteht, gehalten haben.
Ein Hemd macht noch keinen Alain Delon
Eine andere, historisch vielleicht stringentere, Herleitung wäre die vom typischen Arbeitshemd, meist tatsächlich rotweiß oder blauweiß kariert. Es handelt sich dabei um das Vichy-Karo, ein vordringlich für Wäsche und Hemden genutzter Stoff aus dem französischen Kurort Vichy, der seit dem 18. Jahrhundert auch in den ländlichen Regionen Frankreichs, Deutschlands und Spaniens in Gebrauch kam. Getragen wurde er eher von Knechten als Bauern, er galt als ärmlich. Kein Bauer wäre jedenfalls auf die Idee gekommen, ein solches Hemd auf der Wiesn zu tragen, schließlich lag beim Oktoberfest der Schwerpunkt auf dem Fest. Ins Reich der Mode zog das Vichy-Karo so erst in den 1950er Jahren durch Träger(innen) wie Brigitte Bardot, Alain Delon oder Gunther Sachs. Wobei Bardot nicht in karierten Hemden übers Oktoberfest lustwandelte, sondern einen karierten Bikini an der Côte d’Azur ausführte.
Fazit: Karierte Hemden im Bierzelt sind zumindest Farbtupfer, einen Alain Delon machen sie aber noch nicht aus einem Wiesnbesucher und gegen ausgewachsene Bierbäuche helfen Längsstreifen besser, wie schon Obelix beweist.