US-Wirtschaft ist nach Zinssenkung längst nicht aus dem Schneider

Naomi Fink, Nikko AM
Naomi Fink / Bild: Nikko AM
Eine der ersten Aufgaben des neuen US-Präsidenten bzw. der neuen US-Präsidentin werden Verhandlungen über die Schuldenobergrenze sein. Keine/r der Kandidaten hat sich bisher für eine Politik der finanzpolitischen Vorsicht ausgesprochen. Zudem hat der Kongress in der Vergangenheit die Obergrenze stets angehoben, solange die politischen Absichten der verhandelnden Seiten erfüllt wurden. Gehen die Verhandlungen nicht mit einer größeren Finanzdisziplin einher, könnte es an den Anleihemärkten zur Unruhe unter den ausländischen Gläubigern der USA kommen.

Risko durch steigende Staatsausgaben bei sinkenden Zinsen

Defizite bei Handel und Haushalt bedeuten, dass die USA ein Gleichgewicht finden müssen zwischen den Anreizen für die heimische Wirtschaft und ausreichend hohen Zinsen, die das Interesse ausländischer Investoren an US-Anleihen aufrechterhalten. Da die Zinsen in den USA derzeit höher sind als bei vielen Handelspartnern, besteht zwar keine unmittelbare Gefahr. Sollten sich die Zinsunterschiede aber verringern und die Wechselkurse stärker schwanken, könnte die Kombination aus steigenden Staatsausgaben und sinkenden Zinsen riskant werden. Daher könnte es sich lohnen, sich gegen extreme Schwankungen der langfristigen Zinsen abzusichern.

Mythos: US-Wirtschaft dank KI dynamischer

Dass Technologie irgendwann die Produktivität der USA steigern wird, ist kaum zu bezweifeln. Allerdings ist ein solches Produktivitätswachstum trotz der Dominanz der großen Tech-Unternehmen in den US-amerikanischen – und damit den globalen – Aktienindizes noch nicht ablesbar. Die totale Faktorproduktivität der USA stieg in den ersten Jahren des Jahrtausends im Durchschnitt weit über 5 Prozent; derzeit liegt sie trotz jahrelanger Zinsen unter 1 Prozent. Wenn sich die USA mit Wachstum aus der Verschuldung herausinflationieren wollen, sollte und kann das Produktivitätswachstum wahrscheinlich höher sein. Die USA haben solche Übergänge bereits früher geschafft (z. B. in den 1970er und 1980er Jahren, als Inflation, Zinsen und Steuern höher waren).
 
Von einer solchen Verschiebung zu profitieren, dürfte aber wieder aktive Risiken bedeuten. Die heute beliebtesten Firmen müssen nicht unbedingt die Nutznießer dieses Produktivitätsanstiegs sein. Beim Telekommunikationsboom in den 90er Jahren waren z. B. die Infrastruktur-Aufbauer nicht immer diejenigen, die letztendlich die meiste Rentabilität daraus zogen. Anleger müssen daher Unternehmen aus allen Sektoren auswählen, die Technologien und Mitarbeiter einsetzen, um ihre Konkurrenten zu übertreffen. Diese aktive Aktienauswahl dürfte umso wirkungsvoller sein, je weiter wir im Zyklus voranschreiten.
Naomi Fink ist Global Strategist bei Nikko Asset Management