Zwei gängige Lederhosen-Typen, bereit auf die Wiesn zu gehen / Bild UK
Das Ende des Sommers naht mit Siebenmeilenstiefeln - in München ein deutliches Zeichen, dass die Wiesnzeit vor der Tür steht. Dieses Jahr werden wir Besucher aus Sicherheitsgründen eingezäunt, das dürfte den Charakter des weltweit größten Freigeheges für Menschen in bedenklichen Zuständen und merkwürdigen Verkleidungen noch mehr unterstreichen.
 
Über die Frage ob Tracht oder Verkleidung haben wir uns an dieser Stelle bereits mehrmals geäußert und auch typische Merkmale dieser Verkleidung – um es gleich beim Wort zu nennen – wie Halstuch und rot-weiß-kariertes Wiesnhemd vorgestellt beziehungsweise doch wohl eher »verrissen«. Um die männliche Bekleidung quasi abzuschließen, wollen wir uns in diesem Jahr der Lederhose zuwenden, ohne uns in sie zu zwängen, die auch als Krachlederne oder Wichs bezeichnet wird. Seit einigen Jahren bedeutet sie für männliche - und leider, leider, nicht nur männliche - Besucher fast schon ein Muss.

Schaf oder Ziege

(Trachten-)Lederhosen, denn um die soll es hier ausschließlich gehen, also weder um Motorradkluft noch um hautenge Glanzstücke für Fetischisten, unterscheiden sich nach der Länge, dem Material und der Art und Weise der Verzierung einschließlich der Hosenträger fundamental. Doch werfen wir erst einen Blick in die Historie, um die Herkunft und Verbreitung dieses seltsamen Gebildes besser nachvollziehen zu können, auch wenn hier, wie die Historiker gerne schreiben, wenn sie nichts und das auch noch nicht genau wissen, die Anfänge im Dunklen liegen.
 
Knielange Hosen wurden über die Jahrhunderte hinweg ausschließlich bei Hofe getragen, stilbildend war dabei der französische Hof Ludwig des XIV. Hosen und Strümpfe waren aus Seide oder anderen hochwertigen Materialien. Doch die Bewohner der Alpen übernahmen Ende des 18. Jahrhunderts dieses Muster und übersetzten es in ihr gebräuchliches und widerstandsfähiges Material, nämlich Leder. Das Leder stammte damals aber nicht vom Hirschen – der bäuerlichen Gesellschaft war die Jagd untersagt wie die vielen Geschichten um Wilderer belegen, die die heimlich erlegten Hirsche auch kaum als Hosen offen getragen hätten – sondern von Haustieren wie Ziege oder Schaf. Oft wurden die Hosen schwarz eingefärbt und, weil es in erster Linie Arbeitshosen waren, selbstverständlich nicht bestickt oder mit sonstigem Zierart versehen. Sie sollten vor allem bequem, praktisch und reißfest sein und auch die Bauersfrau freute sich, da das Waschen entfiel.

Sittenwidrige Kniehösler

Da sich unter Städtern bereits seit der Französischen Revolution lange Hosen durchgesetzt hatten und die Landbevölkerung es gerne den Städtern nachmachte, waren die Knielangen Hosen gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahezu ausgestorben – wenn dieser Ausdruck für Hosen aus deutlich toten Tieren überhaupt erlaubt ist. Das brachte wiederum Bewahrer von Volks- und Brauchtum auf den Plan und in die Hose, denn es war ein gewisser Josef Vogl, Lehrer in Bayerischzell, der sich 1883 für die Erhaltung alter Trachten einsetzte und zusammen mit anderen Interessenten den »Verein zur Erhaltung der Volkstracht im Leitzachthal« gründete.
 
Die ersten Vereinsmitglieder ließen sich nur bis zum Knie reichende Lederhosen anfertigen und wurden dafür von den Bauern als »Kniehösler« verspottet. Es waren also eher Lehrer und Handwerker, aber auch die Knechte und Tagelöhner, die sich in Lederhosen kleideten – und einer bis heute im ländlichen Bayern eher seltenen Spezies angehörten, nämlich SPD-Wähler zu sein. Die echten Bauern trugen viel lieber einen schwarzen Anzug. Bestes Beispiel für den Kniehösler späterer Zeit: der Revolutionär, Dichter und Bäckergeselle Oskar Maria Graf, der fast ausschließlich kurze Lederhosen trug – auch noch im New Yorker Exil. Den Kniehöslern wurde von der Kirche prompt verboten, in diesem Outfit bei Prozessionen mitzumachen und noch 1913 erklärte das erzbischöfliche Ordinariat in München diese Hosen für sittenwidrig!

Könige in Lederhosen

Doch von romantischen Bestrebungen erfüllt waren es gerade auch der bayerische und der Wiener Hof, die Volkstrachten beziehungsweise das, was sie dafür hielten, unterstützen. Schon König Maximilian II., eher als Förderer der Wissenschaften bekannt, zeigte sich auf der Jagd in Trachtenjacke (Janka) und Lederhose, wie auch der österreichische Kaiser Franz Joseph. Der bayerische Märchenkönig Ludwig II. unterstütze die Gründung von Trachtenvereinen tatkräftig, selbst in der bayerischen Landeshauptstadt wurde ein solcher Gebirgstrachtenverein gegründet, auch wenn hier schon ein kräftiger Föhn herrschen muss, um sich den Bergen wirklich nahe zu fühlen. Jetzt war die Lederhose endgültig keine im Hochgebirge getragene Arbeitshose mehr sondern Zeichen für das auch von Städtern offensiv vermarktete Bajuwarentum. Damit in Folge ging auch ein Verzierungswahn einher, von den einzelnen Trachtenvereinen eher phantasie- als nach historischen Belegen fest- und dann auch vorgeschrieben.
 
Erst die Nationalsozialisten versuchten, die Lederhose als deutsche Nationaltracht von den Bergen bis zum Meer zu definieren mit der Folge, dass anderen Bevölkerungsgruppen das Tragen von Lederhosen verboten wurde! Ausbaden musste diesen deutschlandweiten Versuch die Nachkriegsgeneration, denn in den 1950er und 1960er Jahren war die kurze Lederhose die häufigste Kleidung für Jungen, ersparte sie den Müttern doch die tägliche Wäsche, damals ja meistenteils noch per Hand. Erst in den 1970er Jahren setzte sich langsam aber sicher die Jeans durch, erworben ausschließlich in reinen Jeans-Shops, wenn auch anfänglich noch als eine Art Hippie-Tracht verschrien. Von der alpenländischen Tracht wechselte die Jugend so in die Tracht der amerikanischen Cowboys und es war nebensächlich, dass die einen nie Berge und die anderen keine Pferde zu sehen bekamen.

Der Hosenäquator liegt bei München

Soweit unser Ausflug in die Historie. Warum aber gibt es lange (Knöchel), Kniebund- und kurze Hosen? Verdammen wir lange Lederhosen dahin, wo sie hingehören, in den Orkus der Geschmacklosigkeiten. Ehedem galt jedenfalls, dass die (ganz) kurzen Hosen zur Jagd (der Hofgesellschaft) und Arbeit, die Kniebundhosen jedoch als Festtagsgewand getragen wurden. Nun kann man einen Wiesnbesuch als Arbeit deklarieren - tatsächlich tragen die arbeitenden Kellner ausschließlich kurze Hosen - oder als Festtag, da spräche dann für die Kniebundhosen.

Ursprünglich wurde die kurze Hose zwar nur im Alpenraum und im Süden Bayerns getragen, aber München war in etwa das geographische Ende oder der Anfang der kurzen Hose, je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt. Aber auch die kurze Hose reicht bis oberhalb des Knies und nicht bis kurz unterhalb des Gesäßes, soviel Leder muss sein.

Heute werden (echte) Lederhosen meist aus besonders weichem Hirschleder gefertigt, schließlich ist das Jagdverbot aufgehoben und selbst Lederhosenträger bevorzugen eher weiches Material. Die Hirsche allerdings stammen überwiegend nicht aus dem bayerischen Oberland sondern aus Australien oder Neuseeland – wenn also Australier auf der Wiesn in Lederhosen kommen, tragen sie bestenfalls »heimisches Leder«. Meist allerdings sieht man sie in maschinell gefertigten und am Flughafen günstig erworbenen Hosen durchs Bierzelt schwanken, und deren Leder ist meist aus billigem Rindsleder – wahrscheinlich von denjenigen Rindern, deren Fleisch sie bereits in Burgern als Grundlage für den Wiesnbesuch verzehrt haben.

Und die Moral von der Geschicht?

Auch Trachten wandeln sich...so die Moral. Und wenn man es ernst nimmt mit der Übersetzung von Tracht als Tragen, dann ist erlaubt was gefällt. Umgekehrt wird aber auch ein Haferlschuh draus, nämlich, man sollte unterlassen zu tragen, was nicht gefällt. Übertriebener Schmuck auf Lederhosen etwa, der eher an Almabtrieb als ans Bierzelt erinnert. Und Frauen sehen im Dirndl prächtig aus, in kurzen Lederhosen aber, seien wir ehrlich, eher lächerlich. Und wer's noch weitertreiben will, der geht geschmacklich wie echt Baden in einer einer Lederhose nachempfundenen Badehose.