Das neue Jahr dürfte besser werden, aber nicht einfacher

Tobias Friedrich, Santander Asset Management Deutschland
Tobias Friedrich / Bild: Santander Asset Management Deutschland
Das abgelaufene Börsenjahr zählt zu den historisch schlechtesten Jahren für Investoren, in denen sowohl Aktien als auch Anleihen deutliche Kursrückgänge verzeichnen mussten. Die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, die über weite Strecken gelebte Null-Covid-Politik in China sowie die aggressivste geldpolitische Straffung der Notenbanken im Kampf gegen die ausufernde Inflation der vergangenen vier Jahrzehnte hat die Märkte ordentlich durcheinandergewirbelt.
So schlecht das Kapitalmarktjahr 2022 über weite Strecken auch war, es endete zumindest versöhnlich: Nachdem insbesondere die US-Inflation im Oktober erstmals niedriger überraschte und auch andere Regionen rückläufige Inflationszahlen verzeichneten, konnten die Aktienmärkte kräftig durchatmen. Mit Zinserhöhungen von jeweils ‚nur noch‘ 50 Basispunkten wurden die US-Notenbank Fed sowie die Europäische Zentralbank den Erwartungen eines geringeren Zinserhöhungstempos gerecht und die wichtigsten Aktien- und Rentenmärkte konnten im vierten Quartal Kursgewinne verbuchen.
 
Der Ausblick für das Jahr 2023 kann auf dieser positiven Tendenz aufsetzen, dennoch sehe ich im aktuellen Zinserhöhungszyklus den Höhepunkt noch nicht erreicht: Der rückläufige Inflationstrend dürfte sich zumindest in den USA verstetigen, Europa dürfte für die Trendwende bei der Teuerung aber noch ein paar Zinsschritte benötigen. Die Europäische Zentralbank hat unter anderem ihre langfristigen Inflationsprojektionen erst kürzlich erneut nach oben angepasst und damit ihren Kurs bekräftigt, weiter entschlossen gegen die noch immer zu hohe Inflation anzukämpfen, die trotz leichtem Rückgang noch weit von der Zwei-Prozent-Zielmarke entfernt ist. Trotz alledem gehe ich davon aus, dass der Zinserhöhungszyklus 2023 auslaufen wird, zunächst in den USA und gegen Ende des Jahres vermutlich auch hier in Europa.

Zur Jahresmitte dürfte die Wirtschaft wieder zulegen

Der Druck auf den Notenbanken sollte entsprechend abnehmen und konstruktive Perspektiven für die Wertpapiermärkte erwachsen. Die Wirkung der Geldpolitik auf die Realwirtschaft nimmt in der Regel etwa sechs bis neun Monate in Anspruch, um sich zu entfalten. So ist es durchaus sehr wahrscheinlich, dass sich die Konjunktur in Europa wie auch in den USA zunächst weiter abschwächt, eine rückläufige US-Industrieproduktion und schwache Einzelhandelsumsätze belegen bereits diese Entwicklung. Etwa zur Jahresmitte dürfte die Wirtschaft aber wieder zulegen können. Dafür sprechen drei Gründe: Zunächst der Inflationstrend selbst. Wenngleich noch immer hoch, ist die Preissteigerung in den USA per Dezember insgesamt sechs Monate rückläufig und markiert zum Jahresende den niedrigsten Jahresstand. Diese Tendenz sollte sich weiter fortsetzen, begünstigt auch vom niedrigen Ölpreis, der seit Mitte des vergangenen Jahres gut ein Drittel abgegeben hat, sowie die Abschwächung der Nachfrageseite durch höhere Zinsen. Dadurch entsteht für die Notenbank Handlungsspielraum, der zunächst in eine Beendigung des Zinserhöhungszyklus, später auch in Zinssenkungen münden kann. Für die Konjunktur sollten darüber hinaus der US Inflation Reduction Act, mit Investitionen in Höhe von USD 374 Mrd., sowie der sehr stabile Arbeitsmarkt eine unterstützende Rolle spielen. Auch die überraschende Abkehr von der Null-Covid-Politik Anfang Dezember dürfte die Entwicklung der Weltkonjunktur stützen.

Erholung in China im Frühjahr

Die chinesische Konjunktur hat Ende 2022 nach der Erholung im dritten Quartal wieder merklich an Schwung verloren. So nahm die Industrieproduktion im November nur um 3,9 Prozent zum Vorjahr zu. Die Einzelhandelsumsätze lagen im gleichen Monat um 3,5 Prozent unter dem Vorjahrsniveau, die Ausfuhren schrumpften sogar um 8,7 Prozent.
 
Zudem haben sich wichtige Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes im November wegen erneuter Mobilitätsbeschränkungen im Rahmen der langanhaltenden und sehr strikten Null-Covid-Strategie überwiegend deutlich verschlechtert. Der überraschendeKurswechsel mit einer weitgehenden Aufhebung der Maßnahmen und einem rasanten Anstieg der Corona-Infektionen führte zu einer weiteren Verschlechterung der Aussichten.
 
Dennoch dürfte die Eintrübung der Stimmung, wie in früheren Phasen der Coronapandemie, vorübergehend seinh. Daher ist ab dem Frühjahr mit einer Erholung zu rechnen. Zudem hat die chinesische Notenbank zur Stimulierung der Kreditvergabe die Mindestreservesätze Ende November um 25 Basispunkte gesenkt. Und die Regierung hat Erleichterungen für den Immobilienmarkt beschlossen. Insgesamt ist die chinesische Wirtschaft im zurückliegenden Jahr nur um 3 Prozent
gewachsen – für China ein deutlich unterdurchschnittliches Konjunkturplus. Im neuen Jahr könnte sich der Anstieg der Wirtschaftsleistung aber wieder auf circa 4,5 Prozent verstärken.

Besser, aber nicht einfacher

Beruhigung der Inflation, Höhepunkt der Zinserhöhungen der Notenbanken, konjunkturelle Bodenbildung. Das typische Drehbuch für solche Phasen präferiert zunächst Anleihen, die zuerst mit Kursgewinnen die Konjunkturabschwächung und das Ende der Zinserhöhungen antizipieren, danach Aktien, die das Ende der Konjunkturverlangsamung und den nächsten Aufschwung vorwegnehmen.
 
Das neue Jahr zwar besser werden dürfte, aber nicht einfacher. Der Weg zurück in die Normalität dürfte nicht ohne Hindernisse verlaufen. Die Schwankungen an den Kapitalmärkten dürften auch im Jahr 2023 hochbleiben, aberdamit auch immer wieder Chancen ergeben, um mit günstigeren Kursen in den Markteinzusteigen oder gar das Portfolio weiter auszubauen.
Tobias Friedrich ist Senior Manager Markets & Clients bei Santander Asset Management Germany