Börsenfalle Wahrnehmung kommt nicht von wahr

Norbert Betz
Bild: Getty/Hannele Lahti
Immer wenn die Berichtssaison auf Hochtouren läuft, verschlingen Anleger Zeitungen und Zeitschriften und versuchen, sich ein Bild zu machen von den Unternehmen, in die sie investiert haben oder investieren wollen. Doch wie »macht« man sich so ein Bild tatsächlich, wie nehmen wir solche Zahlen auf und wie funktioniert dieser Prozess in unserem Kopf eigentlich? Der Begriff der Wahrnehmung spielt in der Psychologie eine große Rolle und – sie ahnen es – damit auch in der Kapitalanlage.
 
Die Psychologie fasst mit dem Begriff Wahrnehmung alle Prozesse und Ergebnisse der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Sinneseindrücken zusammen. Der Schwerpunkt liegt aber auf den Sinneseindrücken, denn das, was wir wahrnehmen, gibt nicht eins zu eins die Realität wider, sondern nur ein individuelles Bild von dem, was wir für real halten. Zwischen der Realität und dem, was wir wahrnehmen, befinden sich mehrere Filter. Unsere Sinnesorgane können nur einen Teil von dem, was in der Realität tatsächlich existiert, aufnehmen. Wir müssen uns deshalb auf das wichtigste – oder das, was wir dafür halten – konzentrieren. Mit dem Auge können wir zum Beispiel nur einen kleinen Ausschnitt der Realität der existierenden elektromagnetischen Wellenlängen erkennen: Das sichtbare Licht mit Wellenlängen zwischen 400 nm (violettes Licht) und 700 nm (rotes Licht). Eigene Sensoren für radioaktive Strahlung, Gammastrahlen, Ultraviolettes Licht, Radiowellen oder Niederfrequenzen haben wir Menschen dagegen nicht. Insofern wird der erste Filter von den Fähigkeiten unseren Sinnesorganen definiert.

Wir suchen das Positive

Alle Mechanismen, die wir einsetzen, um aus der Fülle der Informationen mit überschaubarem Aufwand nur die wichtigsten (leider nicht immer die richtigen) herauszufiltern, um schnell zu einem Ergebnis zu kommen, werden Heuristiken genannt. Darunter fallen etwa Verhaltensweisen wie Schubladendenken, Faustregeln, Daumenregeln… Komplexität zu reduzieren und schnell ein Urteil zu fällen, steht dabei an erster Stelle. Aber was vormals richtig und wichtig war – eine schnelle Entscheidung zu treffen, ob es besser ist, wegzulaufen oder anzugreifen – entpuppt sich bei komplexen, vernetzten und dynamischen Prozessen als zu simpel, um zum Erfolg zu führen.
 
Ich möchte mich hier vordringlich mit der Confirmation Bias befassen – wobei es sich nicht um einen Verein evangelischer Konfirmanden handelt. Vielmehr wird mit der Confirmation Bias die Tendenz beschrieben, nur diejenigen Informationen auszuwählen, welche den eigenen Standpunkt bestätigen, die also genau in unser Bild passen. Nach dem Kauf eines Autos konzentrieren wir uns ausschließlich auf positive Fahrberichte, um unsere Entscheidung bestätigt zu sehen. Auf die Wertpapieranlage bezogen bedeutet das, dass wir nur diejenigen Informationen aufnehmen, die sich mit unserer Einstellung zu einer Aktie decken. Unternehmensmeldungen werden also nach unserer Positionierung am Markt wahrgenommen. Schlechte Meldungen zu einer Aktie, welche wir im Depot haben, kommen entweder gar nicht über die Filter hinweg und wenn sie es doch schaffen, spielen wir sie herunter und suchen sofort nach anderen Informationen oder Meinungen, welche unsere Zuversicht zu dieser Aktie bestärken und die negativen Nachrichten kompensieren.

Es kommt auf die Verpackung an

Interessant in diesem Zusammenhang ist der Framing Effekt, der Einbettungseffekt. Je nachdem, wie eine Nachricht verpackt ist, mit welchen Formulierungen sie verbreitet wird, reagieren wir ganz unterschiedlich auf sie. Ganze Werbestäbe und PR-Abteilungen leben von diesem Effekt – und sie leben gut davon. Ein inhaltlich ausgesprochen dünner Vortrag kann mit Hilfe einer eindrucksvollen Powerpoint-Präsentation so aufgepeppt werden, dass es kaum einem Zuhörer auffällt, dass er völlig substanzlos war. Weshalb sich nach neueren Untersuchungen ja auch 11 Prozent der Zuhörer und Zuseher einer Powerpoint-Präsentation nicht einmal an das Thema, das ihnen vermittelt werden sollte, erinnern können.

Der Rezenzeffekt (oder recency effect) beschreibt die Tendenz, dass den zuletzt genannten Informationen mehr Gewicht zugebilligt wird als den davor aufgenommenen. Wir sind auf „Neuigkeiten“ gepoolt und der Aufdruck »neu« ist für uns immer wieder ein Hingucker. Die Reihenfolge der Informationen übt einen Einfluss auf die Wahrnehmung, Erinnerung und Gewichtung aus. In der Steinzeit war es nachvollziehbar wichtiger, ob heute ein Säbelzahntiger unser Lager umschleicht oder ob er das schon gestern getan hatte.

Ab durch die Mitte

Der Primäreffekt (oder primacy effect) stellt das Gegenteil des Rezenzeffektes dar: Die erstgenannte, die früheste Information brennt sich bei uns ein und erhält so mehr Gewicht als sie oftmals verdient. Der einmal gezahlte »Preis« für eine Aktie oder der erste Emissionspreis gilt uns als Richtschnur und wir werden blind für alle anderen Entwicklungen oder ein sich eventuell völlig verändertes Marktumfeld.

In der Kombination aus Primäreffekt und Rezenzeffekt werden Informationen, die zeitlich oder im Text in der Mitte angesiedelt sind, häufig unterbewertet. Bedenken Sie jedoch, dass professionelle Kommunikatoren diese Regeln auch ganz genau kennen. Mein Tipp deshalb: Ab durch die Mitte, konzentrieren sich auf die »eingebetteten« Informationen, sie könnten die wichtigsten sein.

Nur wenn wir uns des Filters der confirmation bias in unserem Kopf bewusst sind, können wir versuchen, sie für uns zu nutzen oder zumindest die negativen Auswirkungen vermeiden.

Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung an der Börse München, setzt sich seit Jahren mit den Psychofallen an der Börse auseinander: als leidenschaftlicher Trader wie als distanzierter Marktbeobachter, als Referent und Autor. In seiner Serie zeigt er die Fallen auf, in die wir Anleger so gerne hineintappen, und gibt Tipps, wie sie vermieden werden können
Nachzulesen auch in Norbert Betz, Ulrich Kirstein:»Börsenpsychologie simplified«, 2. Auflage 2015
Das Buch befasst sich auf knapp 200 Seiten mit der Psychologie der Märkte und zeigt Anlegern an vielen Beispielen aus Theorie und Praxis, wie sie STUSS erkennen und vermeiden sowie mit dem STAR-Konzept zum Erfolg kommen können.