Rückt ESG angesichts drohender Rezession in den Hintergrund?

Johnny Russell, Nikko Asset Management
Johnny Russell / Bild: Nikko Asset Management
In jüngster Vergangenheit gingen die Rohstoffpreise zurück, wenn es zur Rezession kam – und wenn es nach den Zentralbanken geht, könnte eine solche ins Haus stehen. Anleger sollten sich Gedanken darüber machen, in welchen Bereichen Kürzungen vorgenommen werden könnten. Einige liegen auf der Hand, z. B. bei Werbung und Marketing. Dort haben die Einschnitte bereits begonnen, wie man am Niedergang von Google oder Meta sehen kann. Für viele andere fängt die Gewinnrezession gerade erst an. Umfragen zufolge sind auch bei den Investitionen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit erhebliche Kürzungen zu erwarten.

Alternativen zu fossilen Energien gesucht

Für viele überraschend, zielen dagegen die politischen Veränderungen in Europa und den USA (unter anderem) darauf ab, nicht die Versorgung mit fossilen Energieträgern zu beschleunigen, sondern Anreize und Zielvorgaben für Alternativen wie Wind, Sonne und Wasserstoff auszuweiten. Einen entsprechenden Plan hatte die Europäischen Kommission Anfang 2022 ins Leben gerufen, um die Abhängigkeit der EU von russischen Brennstoffen zu verringern. Dieser sieht vor, dass die EU bis 2030 20 Millionen Tonnen (mT) Wasserstoff verbraucht, statt der 5 mT, die erst wenige Monate zuvor genannt wurden. Die Dekarbonisierung scheint bei allem kurzfristigen Energiebedarf vorerst das vorrangige gesellschaftliche Ziel zu bleiben.
 
Doch wie schon in früheren Rezessionen ist davon auszugehen, dass ESG weniger im Fokus von Managementteams stehen wird, die ihre Aufmerksamkeit auf kurzfristige Herausforderungen lenken oder sich einfach nur über Wasser halten wollen.

Revival der 1970er Jahre?

Was die Energieknappheit anbelangt, so erinnert manches an die 1970er Jahre – übrigens auch die Infragestellung des Primats der Aktionäre. ESG sind ein wichtiges Element, wenn der Stakeholder-Kapitalismus funktionieren soll. Der Wandel zum Stakeholder-Kapitalismus ist ein ideologischer. Daher sollte es niemanden überraschen, dass wir derzeit eine ESG-Gegenreaktion erleben, die sich in erster Linie gegen Greenwashing richtet. Aber nicht nur: Umfragen zeigen, das drei von vier institutionellen Anlegern Unternehmen nicht zutrauen, ihre Nachhaltigkeitsziele und -verpflichtungen zu erreichen. Auch die Messung von ESG-Daten ist schwierig. Kapital-Fehlallokationen könnten die Folge sein. Einige Regulierungsbehörden, z. B. in den republikanisch geführten US-Bundesstaaten, versuchen bereits, ESG-Investitionen ganz zu verbieten.

ESG-Entscheidungen gewinnen an Bedeutung

Und dennoch treffen viele Unternehmen heute wichtige Entscheidungen, wie z. B. die Einstellung von Aktivitäten in Russland und den Schutz von Mitarbeitern in Risikoländern. Sie verpflichten sich auch weiterhin zu wissenschaftlich fundierten Zielen und legen Pläne zur Umsetzung dieser Verpflichtungen fest und führen sie aus. Dies deutet darauf hin, dass ESG-Überlegungen bei der langfristigen Entscheidungsfindung von Unternehmen nicht zurückstehen, sondern an Bedeutung gewinnen. Wir sind sogar der Meinung, dass Unternehmen einen Stakeholder-Ansatz verfolgen sollten, um ihre Organisationen zukunftssicher zu machen und langfristig wirkmächtig zu sein.
Johnny Russell ist im Global Equity Team von Nikko Asset Management

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