Ausblick 2023: Nach der Rezession geht’s langsam weiter

Dr. Jürgen Michels, Bayerische Landesbank
Dr. Jürgen Michels / Bild: Bayerische Landesbank
Das Jahr 2023, das Jahr eins nach der Zeiten- und Zinswende, beginnt in Deutschland und anderen Industrieländern in einer Rezession. Während die erwartete Beruhigung der Inflation nach dem dramatischen Anstieg 2022 zu einer Verschnaufpause bei den Zinsen führen sollte, ist die Zeitenwende – weitgehend unabhängig vom Kriegsverlauf in der Ukraine – erst dabei, ihre Wirkung zu entfalten.

Zinsschritte im reduzierten Tempo

Trotz einiger Hoffnungsschimmer, die auf ein schnelles Verflüchtigen des Inflationsdrucks hindeuten, dürfte sich während des Winters noch kein klarer Trend sinkender Inflationsraten etablieren. Daher werden die Entscheider in der Fed, der EZB und den meisten anderen G20-Zentralbanken trotz des teilweise deutlichen Nachfragerückgangs im Umfeld robuster Arbeitsmärkte bis ins Frühjahr hinein weitere Zinsschritte durchziehen – wenn auch mit reduziertem Tempo. Danach findet die Straffung der Geldpolitik „nur“ noch durch Abbau der während der Corona-Pandemie massiv ausgeweiteten Bilanzen statt. Dank abnehmender Inflationserwartungen und der (zumindest im Fall der Fed) berechtigen Hoffnungen auf Zinssenkungen im Jahr 2023 dürften die Staatsanleiherenditen im Jahresverlauf etwas sinken. Aufgrund der weniger entspannten Liquiditätssituation, die nicht zuletzt durch eine Kehrtwende japanischer Anlageströme zum Problem werden könnte, wird die Volatilität am Rentenmarkt hoch bleiben, was auch auf andere Asset-Klassen ausstrahlen sollte. Zudem werden die Auswirkungen des höheren Zinsniveaus auf dem Immobilienmarkt erst nach und nach sichtbar werden.

Neuordnung der Geopolitik

Die mit der Zeitenwende verbundene Neuordnung der Geopolitik dürfte sich 2023 vor allem in dem sich zuspitzenden Wettbewerb zwischen den USA und China zeigen. Dabei wird sich Europa entscheiden müssen, ob es nur als Verbündeter der USA reagiert oder mit seiner vorhandenen Wirtschaftsmacht gegenüber China und den USA eigenständiger agiert. Zudem muss Europa große Anstrengungen unternehmen, um sich nachhaltig von der Abhängigkeit russischer Energie zu emanzipieren. Trotz einer Reihe von Chancen, die sich z.B. aus dem zügigen Ausbau von erneuerbaren Energien ergibt, bedeutet das wegen der Zeitenwende unsichere geopolitische Umfeld wenig Gutes für die Konjunkturentwicklung.
Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB in München. Vor seinem Start bei der BayernLB arbeitete er zwischen 2002 und 2013 als kapitalmarktorientierter Euro-Raum Volkswirt bei der Citigroup in London, seit  2008 als Euro-Raum Chefvolkswirt. Von 1997 bis 2002 war er als Volkswirt bei Sal. Oppenheim in Köln und von 1996 bis 1997 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn tätig. Dr. Michels studierte Volkswirtschaft an der Universität Bonn. Er promovierte mit einer Arbeit zu Zentralbankstrategien an der Universität Frankfurt.