Europäische Zentralbank überrascht die Marktteilnehmer – Rezession in Sicht?

Morgane Delledonne, Global X ETFs
Morgane Delledonne / Bild: Global X ETFs
Das gab es seit mehr als 20 Jahren nicht mehr: Zum ersten Mal seit Juni 2000 hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen um ganze 50 Basispunkte erhöht. Eine Verzweiflungstat? Wie haben die Marktteilnehmer reagiert?
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Marktteilnehmer mit einer deutlichen Anhebung ihrer Leitzinsen um 50 Basispunkte überrascht. Der Euro stieg daraufhin gegenüber dem US-Dollar um 0,53 Prozent. Die Entscheidung der Währungshüter kam angesichts der politischen Unruhe in Italien, der Ausweitung der Spreads zwischen Kern- und Peripherieanleihen und der Verschlechterung des Geschäftsklimas in der gesamten Region und vor allem in Deutschland völlig unerwartet.
 
Der sehr restriktive Schritt der EZB sieht fast wie eine verzweifelte letzte Gelegenheit zur Erhöhung der Zinssätze aus, bevor die Region im Herbst in eine Rezession stürzt. In ganz Europa, insbesondere in Italien, führt die anhaltende Inflation zu politischer Instabilität. Dies ist eine sehr schwierige Zeit für die EZB. Sie tut natürlich alles, um die Inflation zu bekämpfen und die Inflationserwartungen zu verankern – selbst auf die Gefahr hin, eine Rezession herbeizuführen.

Konjunkturabschwächung und Zinserhöhung

Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine Zentralbank ‚Konjunkturabschwächung‘ und ‚Zinserhöhung‘ im gleichen Satz nennt. Die EZB hat in der Vergangenheit die Zinssätze immer auf dem Höhepunkt des Konjunkturzyklus angehoben. Daher könnte dieser restriktive Schritt ein Signal für eine möglicherweise noch vor Jahresende bevorstehende Rezession sein.
 
Unter den Marktteilnehmern haben die Rezessionsängste die Inflationssorgen abgelöst. Sie sind von der restriktiven Haltung der EZB nicht überzeugt: Der Overnight Index Swap preist niedrigere Zinsänderungen zum Jahresende ein als vor der Ankündigung.

Welche Branchen unter Druck geraten könnten

Aus Anlegersicht sind defensive Sektoren wie Gesundheitswesen, Versorger und Basiskonsumgüter am wenigsten anfällig für bevorstehende Zinsschocks und Konjunkturabschwächungen. Zyklische Sektoren, insbesondere europäische Industriewerte, könnten dagegen anfälliger für steigende Energiepreise sein. Höhere Energiekosten in Europa dürften ihre Gewinnspannen schmälern und könnten zu vorübergehenden Schließungen oder Verzögerungen in der Produktion führen.
Morgane Delledonne ist Director Research bei GlobalX, einem 2008 gegründeten Finanzdienstleister, der Anlegern unerforschte und intelligente Lösungen bietet. Die Produktpalette umfasst mehr als 80 ETF-Strategien und ein verwaltetes Vermögen von über 40 Milliarden US-Dollar. Global X gehört zur Mirae Asset Financial Group, einem weltweit führenden Anbieter von Finanzdienstleistungen mit einem verwalteten Vermögen von mehr als 620 Milliarden US-Dollar.