Behalten die Wachstumskräfte die Oberhand?

Ann-Katrin Petersen, BlackRock
Ann-Katrin Petersen / Bild: BlackRock
In den vergangenen Monaten waren Inflationssorgen – angeheizt durch verschärfte Angebotsknappheiten (Ukraine-Krieg, erneute Lockdownmaßnahmen in Ostasien) – und die ausgeprägte Neubewertung der Geldpolitik dominierende Faktoren an den Kapitalmärkten. Die Aussicht auf höhere Leitzinsen und eine weniger üppige Zentralbankliquidität bei anhaltend hoher geopolitischer Unsicherheit ließen Aktienbewertungen abschmelzen. Mit anderen Worten sank die Zahlungsbereitschaft der Aktieninvestoren für den erwarteten Ertragsstrom.

Von Zins- zu Konjunktursorgen: Schaukelbörse setzt sich fort

Nun scheint sich die Großwetterlage allmählich zu verändern. Die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer richtet sich vermehrt auf die schwelenden Abwärtsrisiken für die globale Konjunktur. Damit geraten nun weniger die bereits abgeschmolzenen Bewertungsvielfache, sondern vielmehr die Erwartungen für die Unternehmensgewinne, das fundamentale Rückgrat der Aktienmärkte, unter Druck.

Unlängst schürten insbesondere drei Entwicklungen zusätzlich die nun verstärkt ins Blickfeld geratenen Konjunktursorgen:
  1. Die noch schärfere Rhetorik seitens der US-Notenbank Fed: Es bleibt mit einem Fragezeichen behaftet, ob der Fed im Kampf gegen Inflationsrisiken eine „sanfte Landung“ der US-Konjunktur gelingt – zumindest sofern sie ihren immer kernigeren Worten Taten folgen lässt. An den US-Rentenmärkten führte die Erwartung einer möglicherweise abgewürgten Nachfrage und US-Rezession zwischenzeitlich dazu, dass Zinserhöhungen für das Jahr 2023 weitgehend ausgepreist und sogar mit fallenden Zinsen gerechnet wurde. So verlautbarte der Fed-Vorsitzende Jay Powell jüngst, dass der avisierte geldpolitische Kurs mit „wirtschaftlichem Schmerz“ für die größte Volkswirtschaft der Welt verbunden sei. Bereits jetzt stemmt sich die Fed mit allen Mitteln – vorgezogene und scharfe Zinserhöhungen („Frontloading“), zügige Bilanzabschmelzung, falkenhafte Forward Guidance – gegen das Risiko erhöhter Inflationserwartungen. Denn erschwerend kommt hinzu, dass die Teuerungsdynamik primär auf Angebotsknappheiten zurückzuführen ist und damit außerhalb des direkten Einflussbereichs der Zentralbanken liegt. Solange jedoch die Sorge vor sich verselbständigenden Inflationserwartungen und Zweitrundeneffekten, etwa einer Lohn-Preis-Spirale, kursiert, werden die Falken in den geldpolitischen Entscheidungsgremien der Fed, aber auch der Europäischen Zentralbank (EZB), die Oberhand behalten.
  2. Meldungen zu eingetrübten Gewinnaussichten bei großen US-Einzelhändlern: Nicht nur stark gestiegene Kosten angesichts verschärfter Lieferprobleme und Knappheiten (Material, Arbeitskräfte) schlagen zu Buche, sondern es mehren sich die Anzeichen einer Kaufzurückhaltung bei den Kunden. Mit anderen Worten könnten die Gewinnmargen sowohl kostenseitig als auch in Bezug auf das Umsatzwachstum unter Druck geraten.
  3. Schwache Konjunkturindikatoren aus China: Die strikte Corona-Politik und gestiegene Rohstoffpreise haben die kurzfristigen Wachstumsperspektiven der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt eingetrübt und lassen das Wachstumsziel der Regierung von 5,5 Prozent für das Jahr 2022 ehrgeizig erscheinen. Die kräftige Zinssenkung der chinesischen Zentralbank (People’s Bank of China) in der vergangenen Woche stützt für sich genommen die Nachfrageseite (Investitionen, Konsum). Allerdings entfalten geldpolitische Entscheidungen ihre volle Wirkung für gewöhnlich erst mit einer zeitlichen Verzögerung.

Weltweite Konjunktursorgen lasten auf Gewinnerwartungen

Für den Ausblick an den Aktienmärkten bedeutet dies: Ging der Kursrutsch an den Börsen zunächst mit sinkenden Bewertungsvielfachen einer, die angesichts erhöhter Zinserwartungen unter Druck geraten waren, sind es nun die Gewinnerwartungen, die sich verstärkt eintrüben könnten. Mit der Aussicht auf schwächeres Umsatzwachstum geraten Nachfragekomponenten damit zunehmend in den Blick.

Unsere Erwartung:

  • Das gesamtwirtschaftliche Umfeld bleibt auf absehbare Zeit herausfordernd. Die in dieser Woche veröffentlichten globalen Einkaufsmanagerindizes dürften auf eine Verlangsamung des weltweiten Wachstumstempos hindeuten. Ohne Zweifel ist die Liste an Bremsfaktoren lang – darunter Lieferengpässe, die die Produktionstätigkeit beeinträchtigen, Kostensteigerungen, die private Haushalte und Unternehmen belasten, straffere Finanzierungsbedingungen, und ein hohes Maß an Unsicherheit. Die Weltwirtschaft rutscht unserer Einschätzung nach jedoch nicht in eine Rezession, sofern sich keine weitere Verschärfung der hinlänglich bekannten Unwägbarkeiten abzeichnet oder zusätzliche Abwärtsrisiken aufkeimen.
  • In regionaler Hinsicht federt in Ostasien eine Lockerung der Wirtschaftspolitik Konjunkturrisiken ab. In Europa sind die Stagflationssorgen noch nicht gebannt, jedoch stützen die aufgehobenen Corona-Beschränkungen, üppigen Ersparnisse der Verbraucher, volle Auftragsbücher in der Industrie und fortgesetzt niedrige Zinsen die Konjunktur. So hat sich die Stimmung in den deutschen Chefetagen, gemessen an dem am Montag veröffentlichten ifo-Geschäftsklimaindex, im Mai aufgehellt. Die deutsche Wirtschaft erweist sich trotz zahlreicher Widrigkeiten als robust. Anzeichen für eine Rezession sind derzeit nicht sichtbar – sofern es nicht zu einem Stopp der russischen Gaslieferungen kommt. In den USA legt die Fed unserer Einschätzung nach keine geldpolitische Vollbremsung hin, während der feste Arbeitsmarkt fortgesetzt den privaten Konsum – der wichtigste Pfeiler der US-Konjunktur - stützt.
  • Die Gesamtinflationsraten erreichen auf absehbare Zeit ihren Gipfel, sofern die Rohstoffpreise nicht noch einmal kräftig anziehen, verharren jedoch auf erhöhten Niveaus. In den USA könnte der am Freitag veröffentlichte PZE-Bericht einen nachlassenden monatlichen Inflationsdruck signalisieren, da Konsumenten ihre Ausgaben im Zuge des wirtschaftlichen Neustarts hin zu Dienstleistungen und weg von Waren verlagern.
  • Die Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks normalisieren zügig ihre Geldpolitik und zeigen sich handlungsbereit, um die Inflationserwartungen einzuhegen, legen aber keine Vollbremsung der Wirtschaft hin. Die Fed lässt Worten nur begrenzt Taten folgen, hebt ihren Leitzinskorridor nicht nennenswert über ein neutrales Niveau von ca. 2,5 Prozent und legt im kommenden Jahr eine Verschnaufpause ein, um die Wirkung ihrer Zins- und Bilanzpolitik auf die Realwirtschaft zu eruieren.

Taktisch neutrale Haltung für Aktien der Industrieländer

Doch es könnten angesichts der unübersichtlichen gesamtwirtschaftlichen Gemengelage Monate vergehen, bis sich die Börsen von den Zins- und Konjunktursorgen erholen, die Fed eine Pause im Zinserhöhungszyklus signalisiert und andere Risikofaktoren wie die verschärften Lieferprobleme in der Wahrnehmung wieder in den Hintergrund rücken. Das BlackRock Investment Institute (BII) hat vor diesem Hintergrund im Rahmen des ganzheitlichen Portfolioansatzes eine weitere Risikoreduktion vorgenommen und bevorzugt eine neutrale Position bei Aktien der Industrieländer gegenüber der Benchmark. An den Rentenmärkten erwarten wir nach wie vor eine Versteilerung der US-Staatsanleihenkurve mit Chancen bei kurzlaufenden Papieren sowie bei inflationsgeschützten Staatsanleihen.
Ann-Katrin Petersen, CFA und Senior Kapitalmarktstrategin bei Blackrock. Zuvor arbeitete Petersen sieben Jahre bei Allianz Global Investors.
Alle Meinungen und Schätzungen in diesem Dokument, einschließlich Renditeprognosen, spiegeln unsere Beurteilung bei Redaktionsschluss wider, können ohne vorherige Ankündigung geändert werden und beruhen auf Annahmen, die sich möglicherweise nicht als zutreffend erweisen.

Risikohinweise

Kapitalanlagerisiko. Der Wert von Anlagen und die daraus erzielten Erträge können sowohl steigen als auch fallen und sind nicht garantiert. Anleger erhalten den ursprünglich angelegten Betrag möglicherweise nicht zurück.

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für aktuelle oder zukünftige Ergebnisse und sollte nicht der einzige Faktor sein, der bei der Auswahl eines Produkts oder einer Strategie berücksichtigt wird.

Änderungen der Wechselkurse zwischen Währungen können dazu führen, dass der Wert von Anlagen sinkt oder steigt. Bei Fonds mit höherer Volatilität können die Schwankungen besonders ausgeprägt sein, und der Wert einer Anlage kann plötzlich und erheblich fallen. Steuersätze und die Grundlagen für die Besteuerung können sich von Zeit zu Zeit ändern.

Rechtliche Informationen

Herausgegeben von BlackRock (Netherlands) B.V., einem Unternehmen, das von der niederländischen Finanzmarktaufsicht zugelassenen ist und unter ihrer Aufsicht steht. Eingetragener Firmensitz: Amstelplein 1, 1096 HA, Amsterdam, Tel.: +31(0)-20-549-5200. Handelsregister Nr. 17068311. Zu Ihrem Schutz werden Telefonate üblicherweise aufgezeichnet.

Alle hier angeführten Analysen wurden von BlackRock erstellt und können nach eigenem Ermessen verwendet werden. Die Resultate dieser Analysen werden nur bei bestimmten Gelegenheiten veröffentlicht. Die geäußerten Ansichten stellen keine Anlageberatung oder Beratung anderer Art dar und können sich ändern. Sie geben nicht unbedingt die Ansichten eines Unternehmens oder eines Teils eines Unternehmens innerhalb der BlackRock-Gruppe wieder, und es wird keinerlei Zusicherung gegeben, dass sie zutreffen.

Dieses Dokument dient nur Informationszwecken. Es stellt weder ein Angebot noch eine Aufforderung zur Anlage in einen BlackRock Fonds dar und wurde nicht im Zusammenhang mit einem solchen Angebot erstellt.

© 2022 BlackRock, Inc. Sämtliche Rechte vorbehalten. BLACKROCK, iSHARES, BLACKROCK SOLUTIONS, BAUEN AUF BLACKROCK und WAS ALSO SOLL ICH MIT MEINEM GELD TUN sind Handelsmarken von BlackRock, Inc. oder ihren Niederlassungen in den USA und anderen Ländern. Alle anderen Marken sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber.