Schaufenster mit gekonnt gekünstelt gelegtem Halstuch - Bild: BBAG
»Das Halstuch« hieß ein 1962 im Fernsehen ausgestrahlter Krimi nach dem britischen Autor Francis Durbridge. Der Sechsteiler war ein absoluter Straßenfeger – damals allerdings keine Kunst, denn Konkurrenzsender gab es noch nicht, das ZDF nahm erst am 1. April 1963 den Sendebetrieb auf. Heute zieht nicht einmal mehr ein »Tatort« von der Wiesn so viele Millionen von Zuschauern in den Bann. Leider allerdings wird die Wiesn immer mehr zum Tatort von Halstüchern – und das millionenfach.
Denn gefühlt trägt inzwischen jeder zweite männliche Besucher des Oktoberfests ein Halstuch – entweder mit »typischem Wiesn-Outfit« (oftmals als »Tracht« missverstanden – siehe Eine ganz besondere (Heimat-)Bindung) oder gar als alleiniges Merkmal des Wiesngangs. Nun ist es jedem selbst überlassen, in welcher Form er sich verkleidet, um im desolat-betrunkenen Zustand von Verwandten, Bekannten und Freunden nicht erkannt zu werden. Trotzdem wollen wir dem Halstuchtragen und der Verbindung mit Tracht einmal näher auf den, dem Halse nahen, Zahn fühlen, auch wenn wir wahrscheinlich letzten Endes scheitern werden mit dieser Ursachenforschung, ähnlich wie im vorigen Jahr beim rotkarierten Hemd.
Große Mode im Barock
Richtig in Mode kamen Halstücher im Zeitalter des Barock. Damals setzte sich der Trendsetter der Zeit, Ludwig XIV., nicht nur eine üppige Allongeperücke aufs Haupt, sondern band sich ein Tuch um den Hals. Damals war das Seidentüchlein noch reichlich mit Spitzen besetzt und stark parfümiert, was das Bad ersetzte, galt Wasser doch als gefährlich. Während der französischen Revolution war es üblich, bis zu drei Halstücher übereinander zu tragen und den Kragen dafür als »Vatermörder« nach oben zu klappen. Leider schützten starrer Kragen und Halstücher nicht vor der »Ermordung« durch die Guillotine.
Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts trug »Mann« vor allem Halstuch, anfänglich einfarbig schwarz, manchmal breit und manchmal schmal, bis das modische Tüchlein schließlich von der Krawatte verdrängt wurde. Gehalten hat sich das Halstuch aber bei militärischen Uniformen oder etwa der Kluft der Pfadfinder. Mit ihren Trägern ausgestorben hingegen ist es bei den jungen Pionieren der DDR.
Ein Schnupftuch gehört nicht um den Hals
Doch wie sieht es bei der bayerischen Tracht aus, zu der das Halstuch auf der Wiesn ja vordringlich getragen wird – Pfadfinder stellen hier ja eher die Minderheit. Liest man einschlägige Anzeigen, wird es – natürlich nur zur Wiesnzeit – in Trachtenshops mit sprechenden Namen wie »Trachten-Wahn« verkauft als »Trachtentuch« oder gar als »Isar-Trachten-Tuch«. Erwerben kann es der potenzielle Wiesnbesucher als Hals- oder Nickituch oder sogar als Loop-Schal.
Rotweiß kariert werden sie gar als »Klassiker« gehandelt, wobei zu fragen bleibt, Klassiker von was? Prompte Antwort eines Bayern wäre wahrscheinlich: »als klassischer Tourist«. Denn der echte Bayer besitzt zwar ein wagenradgroßes Schnupftuch, das er nach dem Gebrauch von Schnupftabak auch dringend benötigt. Gerne schlägt er auch einmal eine Brotzeit darin ein, am besten allerdings vor dem Gebrauch als Schnupftuch. Aber dieses oftmals in herzhaften Farben gewirkte Tuch trägt er in der Hosentasche und wickelt es sich bestimmt nicht um den Hals.
Vom Bindl zum Halstuch
Ein Blick auf die typischen »Gebirgs-Trachten« der Umgebung Münchens, die quasi stilbildend wirkten, also etwa die Miesbacher, Werdenfelser, Chiemgauer, Inntaler, Berchtesgadener und Isarwinkler Tracht, zeigt allzu deutlich: Männer tragen, wenn überhaupt, ein breite Seitenkrawatte (die Miesbacher), Frauen ein Schulter- oder Brusttuch. Am ehesten mit den auf der Wiesn gezeigten Halstüchern ist vielleicht noch das sogenannte »Bindl« der Berchtesgadener Tracht zu verwechseln – aber das ist ein rautenförmiges Seidentuch und wird sorgfältig gefaltet wie eine Krawatte getragen – nicht lose um den Hals geschlungen wie ein Schal.
Kurzum, wer Angst vor Halsweh hat, der kann selbstverständlich vorbeugend zum Tuch greifen, aber dies nicht als Tracht verbrämen. Und außerdem – die typische Nach-Wiesn-Heiserkeit kommt weniger vom durchs Maßkrugaufsetzen ausgelösten Luftzug als vom Inhalt plus Mit-Singen der Wiesn-Hits. Ansonsten kann man sich statt eines Halstuchs auch ein Schild um den Hals hängen, wo »Nordlicht« draufsteht, um einmal das gebräuchlichere, aber sehr viel deftigere, bayerische Wort für Bewohner jenseits des Weißwurstäquators zu vermeiden.
Nachspann
Beim erfolgreichen Fernseh-Sechsteiler »Das Halstuch« spielte im Übrigen bereits Horst Tappert mit – aber nicht als Inspektor Derick, sondern als Vikar. Das Halstuch war damals die Mordwaffe, das Motiv Habsucht und es wurde keine schuldmindernde Trunkenheit diagnostiziert. Und, der Autor, Mister Durbridge, war nach dem Studium eine kurze Zeit als Börsenmakler tätig, bevor er sich zum Schreiben entschloss. Sein erstes Stück hieß »Promotion« – promoviert wurde er aber nicht. In seiner Heimat und bei allen Hörspielfreunden ist der Brite vor allem für seine Paul Temple Krimis bekannt.